Ausländische Direktinvestitionen in Osteuropa schrumpfen um ein Viertel
Internationale Investoren scheuen zunehmend Investitionen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Zu diesem Ergebnis kommt ein neuer Bericht des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) über die in der Region getätigten und angekündigten ausländischen Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment – FDI).
Gegenüber dem Jahr 2023 sanken die ausländischen Direktinvestitionen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa im vergangenen Jahr um insgesamt rund ein Viertel von etwa 100 Milliarden Euro auf gut 75 Milliarden Euro.
Auch in den EU-Mitgliedern der Region lief es mit einem Minus von 24% schlecht. Besonders negativ verlief die Entwicklung in Polen (-48%), aber auch Rumänien scheint an Attraktivität für ausländische Investoren zu verlieren (-15%). „Die Krise der deutschen Industrie und die Unsicherheiten in Bezug auf Donald Trumps zweite Amtszeit als US-Präsident schlugen im vergangenen Jahr offenbar voll auf die Region durch“, sagt Olga Pindyuk, Ökonomin am wiiw und Autorin des Berichts. Im negativen Trend lag auch die Ukraine mit einem Minus von rund 26%, wobei die dortige Situation angesichts des russischen Angriffskrieges gegen das Land natürlich ein Sonderfall ist.
Trotzdem gibt es auch positive Ausnahmen. Tschechien (+7,9%), Kroatien (+38,7%), Ungarn (+5,1%), Litauen (+28,8) und die Slowakei (rund zehnmal mehr als im Jahr davor) verzeichneten Zuwächse, was zum Teil aber auf einzelne Großprojekte zurückzuführen ist, die die Statistik etwas verzerren. Beispiele dafür sind die Investitionen chinesischer Firmen in die Produktion von Elektroautos und Batterien in der Slowakei und in Ungarn. Auch die sechs Staaten am Westbalkan (+17,4%) – allen voran Serbien und Nordmazedonien – und die Türkei (+5,5%) konnten 2024 mehr ausländische Direktinvestitionen anziehen. Das ändert aber nichts am negativen Gesamttrend.
Aktuelle Daten zu angekündigten ausländischen Greenfield-Investitionen – also zu neuen Projekten auf der grünen Wiese – deuten darauf hin, dass sich die Situation im heurigen Jahr weiter verschlechtert hat. Sowohl die Anzahl der angekündigten neuen Projekte (-26% gegenüber dem Q1 2024) als auch das zugesagte Kapital (-55% gegenüber dem Q1 2024) befanden sich im ersten Quartal 2025 auf einem neuen Fünfjahrestief. „Das lässt den Schluss zu, das ausländische Investoren derzeit noch weniger Vertrauen in die Region haben als zu Beginn der Covid-Krise oder der russischen Invasion in der Ukraine“, analysiert Pindyuk.
Generell ist diese negative Entwicklung in den meisten Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas zu beobachten. Einziger Lichtblick: In Albanien, im Kosovo, der Ukraine, Lettland und Rumänien wurden im ersten Quartal 2025 wieder mehr neue Investitionsprojekte angekündigt als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Auch die Kapitalzusagen im Kosovo, Polen, Slowenien, Rumänien und der Ukraine waren im Jahresvergleich wieder höher.
Interesse deutscher Investoren schwindet, österreichische Investoren zurückhaltend
Deutsche und österreichische Firmen, die traditionell zu den größten Investoren in der Region zählen, stehen bei Neuinvestitionen auf der Bremse. Vor allem Investitionszusagen aus Deutschland haben sich mit nur mehr 5,4 Milliarden Euro zwischen dem zweiten Quartal 2024 und dem ersten Quartal 2025 gegenüber der Vergleichsperiode 2023 bis 2024 (10,6 Milliarden Euro) de facto halbiert. Die Anzahl der angekündigten Projekte sank dabei um 21% von 257 auf 203.
Investoren aus Österreich haben in diesem Zeitraum Kapitalzusagen über rund 1,4 Milliarden Euro getätigt und damit kaum mehr als in der Vergleichsperiode davor (1,3 Milliarden Euro). Die Anzahl der aus Österreich angekündigten Projekte in der Region reduzierte sich dabei von 49 auf 34. „Zwar bleibt die Region für Österreich wichtig und wird von dort auch weiterhin Investitionen bekommen. Angesichts der schwachen Konjunktur im Land und der großen weltwirtschaftlichen Unsicherheiten – Stichwort Trump – agieren seine Investoren aber äußerst vorsichtig“, sagt Pindyuk.
Die meisten angekündigten Neuinvestitionen kommen wieder aus China
China bleibt trotz einer annähernden Halbierung bei neu zugesagten Investitionen – wie das auch bei jenen aus Deutschland der Fall ist – mit einem zugesagten Investitionsvolumen von rund 11,2 Milliarden Euro der größte Neuinvestor in der Region Mittel-, Ost und Südosteuropa. Jedoch liegt der Anteil der vorhandenen chinesischen Direktinvestitionen an den gesamten FDI-Beständen in der Region nur bei gut 1%, während rund 70% der Bestände an Direktinvestitionen laut wiiw FDI-Datenbank nach wie vor aus den EU-Staaten stammen. „Der starke Einbruch bei den chinesischen Kapitalzusagen für Neuinvestitionen zeigt, dass auch Chinas Bäume in Osteuropa nicht in den Himmel wachsen“, konstatiert Olga Pindyuk.
Gemessen an den neu angekündigten Projekten ist Polen zum wichtigsten Investitionsziel für China in der Region geworden und zog in den letzten vier Quartalen insgesamt zwölf von insgesamt 65 chinesischen Greenfield-Projekten an – doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Damit liegt es gleichauf mit der Türkei, die ebenfalls zwölf neue Projekte aus China an Land ziehen konnte. Auf beide Länder entfallen damit rund ein Drittel (37%) aller chinesischen Projekte in der Region. Anders sieht es allerdings bei den chinesischen Kapitalzusagen aus. Der Löwenanteil davon entfällt auf die Türkei (34%) und Kasachstan (26%), Polen kommt nur auf 3%.
Auslaufmodell „verlängerte Werkbank“
Volkswirtschaftlich betrachtet sinkt die Bedeutung ausländischer Direktinvestitionen für das Wirtschaftswachstum in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, vor allem in den EU-Mitgliedern Mitteleuropas. Gegenüber 2019 reduzierte sich der Anteil der bestehenden Direktinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt in vielen Ländern der Region. Der Anteil der neuen Direktinvestitionen war gemessen an der Wirtschaftsleistung vielerorts sogar noch geringer.
„Das deutet auf einen Strukturwandel in der Region hin, vor allem in jenen Ländern, die für große Direktinvestitionen im produzierenden Sektor bekannt sind, allen voran in der Automobilindustrie“, sagt Olga Pindyuk. „Das ostmitteleuropäische Wachstumsmodell, das bisher zu einem guten Teil auf der Anziehung ausländischer Direktinvestitionen beruhte, könnte also mittelfristig ausgedient haben.“
Darauf hat das wiiw in mehreren Studien auch immer wieder hingewiesen. Die Konzentration auf Produktion und verarbeitendes Gewerbe – also das Modell „verlängerte Werkbank“ für westliche Konzerne – dürfte langfristig nicht für eine Absicherung oder Mehrung des Wohlstandes in der Region reichen. Das wiiw empfiehlt diesen Ländern daher mehr Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung und eine durchdachte, maßgeschneiderte Industriepolitik.
Quelle: Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) (ots)