Kritische Richter und Staatsanwälte: Statt Corona-Aufarbeitung kommt ein globales Gesundheitsregime

Der Bundestag und Bundesrat befassen sich mit der Zustimmung zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften. Von der Öffentlichkeit unbemerkt geht es um die Ausweitung des WHO-Notstandsrechts, die Begünstigung der Entwicklung und Verteilung von Impfstoffen sowie um Informationskontrolle. Dies berichtet Larua Kölsch vom Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte n.e.V. (KRiStA).
Kölsch weiter: "Der Entwurf für ein Zustimmungsgesetz zu den Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) liegt vor (Drs 392/25) und bietet Anlass, sich mit den Inhalten der IGV und ihrem Einfluss auf das nationale Recht zu befassen. Die Bundesregierung hat ihren Entwurf dem Bundesrat mit Datum vom 15.08.2025 übermittelt. Die Vorlage hat sie als besonders eilbedürftig eingestuft und dem Bundesrat eine Frist zur Beratung bis zum 26.09.2025 gesetzt, dem Tag der ersten Sitzung des Bundesrates nach der Sommerpause. Im Anschluss wird der Bundestag den Gesetzentwurf beraten.
Infolge von Corona waren die IGV – ein völkerrechtlicher Vertrag unter dem Dach der WHO mit 196 Vertragsstaaten – einer Überarbeitung unterzogen worden. Der zweijährige Verhandlungsprozess machte durch erhebliche Rechtsverstöße auf sich aufmerksam. Dennoch stimmten die Vertreter der Vertragsstaaten in der Weltgesundheitsversammlung, im Falle der Bundesrepublik Ex-Gesundheitsminister Lauterbach, im Juni 2024 den IGV-Änderungen zu.
Die Änderungen erhalten für die Bundesrepublik auf der völkerrechtlichen Ebene Gültigkeit nach Ablauf einer Frist von zwölf Monaten ab Notifikation, im konkreten Fall ab dem 19. September 2025. Für die innerstaatliche Wirksamkeit bedarf es darüber hinaus eben dieses aktuell vorliegenden Zustimmungsgesetzes, durch das die Inhalte der geänderten IGV-Vorschriften den Rang eines formellen Bundesgesetzes erlangen (Art. 59 Abs. 2 GG). Damit stehen die IGV im Rang unter dem Grundgesetz und sind an diesem zu messen. Mit der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat wird der von der Regierung vollzogene Vertragsabschluss demokratisch legitimiert. Eine bloße Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums, wie sie bei geringfügigen IGV-Änderungen technischer Art (z. B. Fristverkürzungen) üblich ist, kommt wegen der Einführung wesentlicher Begriffe und Instrumente in die IGV nicht in Betracht.
Der tatsächliche Gesetzestext des Entwurfes beschränkt sich auf die Aufzählung aller geänderten IGV-Vorschriften sowie die pauschale Zustimmung dazu und enthält ihre amtliche Übersetzung. Als Ermächtigungsgrundlage für staatliche Maßnahmen kann das pauschal gehaltene Zustimmungsgesetz nicht verwendet werden, da es schon den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots nicht genügt. Deshalb scheiden unmittelbare Grundrechtsverletzungen durch das Zustimmungsgesetz selbst aus. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die erforderliche konkretisierte Umsetzung durch die Ergänzung des IGV-Durchführungsgesetzes von 2013 und möglicherweise anderer Gesetze und Rechtsverordnungen noch bevorsteht. Erst aufgrund dieser gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen können Grundrechtseingriffe erfolgen, die im Falle ihrer Unverhältnismäßigkeit verfassungswidrig wären. Die in manchen Medien für Aufregung sorgende Ankündigung von Grundrechtseinschränkungen zur Erfüllung des Zitiergebots nach Art. 19 GG erfolgt im aktuellen Gesetzentwurf wohl in Vorausschau auf die konkretisierenden Rechtsakte. Die Annahme des Zustimmungsgesetzes verpflichtet zur innerstaatlichen Umsetzung, daher ist es folgerichtig, den Gesetzgeber schon an dieser Stelle zu warnen und zur Besinnung zu rufen. Die Meinungs- und Informationsfreiheit nach Art. 5 GG fällt im übrigen nicht unter das Zitiergebot, obwohl die Umsetzung der IGV deren Einschränkung erforderlich macht.
Das WHO-Notstandsrecht und der Einfluss nichtstaatlicher Akteure
Die IGV sind das zentrale internationale Vertragsinstrument zum Umgang mit grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren. Sie haben 196 Vertragsstaaten und gehen zurück auf Sanitäts- und Quarantäneregelungen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts zwischen handeltreibenden Staaten erarbeitet wurden und der Kontrolle weniger Infektionskrankheiten (z. B. Cholera, Gelbfieber, Lungenpest) innerhalb des grenzüberschreitenden Personen- und Warenverkehrs sowie der Verhinderung von Handelshemmnissen dienten. Infolge von SARS wurden 2005 die bis heute maßgeblichsten IGV-Änderungen verabschiedet. Denn es erfolgte der Umbau der IGV in ein System der Global Health Security aus Überwachungs- und Bekämpfungsmaßnahmen für zahlreiche Infektionskrankheiten sowie biologische, chemische und nukleare Gefahren. Dazu gehörten die Verpflichtung zur Schaffung nationaler IGV-Anlaufstellen mit zahlreichen Melde- und Berichtspflichten an die WHO und – ganz maßgeblich – die Einführung der Gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite (Public Health Emergency of International Concern – PHEIC). Der PHEIC ist der zugrundeliegende Hebel zur Lenkung der Aufmerksamkeit auf neu auftretende Krankheitserreger und zur Rechtfertigung für alle mit Eilbedürftigkeit und Gefährlichkeit begründeten Folgemaßnahmen. Seine „kleine deutsche Schwester“ ist die 2020 eingeführte epidemische Lage von nationaler Tragweite nach dem Infektionsschutzgesetz, die der Anknüpfungspunkt für die bundes- und landesrechtlichen pandemiebezogenen Maßnahmen ist. Der Bundestag kann sie feststellen, wenn die WHO einen PHEIC ausgerufen hat.
Der WHO-Generaldirektor kann einen PHEIC im Alleingang ausrufen, wenn er der Ansicht ist, dass ein „außergewöhnliches Ereignis vorliegt, das durch die grenzüberschreitende Ausbreitung von Krankheiten eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit in anderen Staaten darstellt und möglicherweise eine abgestimmte internationale Reaktion erfordert“. Der Generaldirektor kann befristete Empfehlungen an die Vertragsstaaten zum Umgang mit der ausgerufenen Notlage aussprechen. Bei Corona waren das beispielsweise Maske tragen, Handhygiene, Abstand halten, Menschenansammlungen meiden, Einbeziehung der Privatwirtschaft in die Impfstoffplanung und -einführung, Förderung der Impfstoffakzeptanz, Förderung der Impfstoffspenden an benachteiligte Staaten, das Erreichen von Impfquoten und die Förderung der Einhaltung von Gesundheits- und Sozialmaßnahmen mit dem Argument der Solidarität.
Die aktuellen IGV-Änderungen infolge von Corona perfektionieren das global gesteuerte (top down), gleichmachende (one-size fits all-approach) und kommerzialisierte Notstandssystem. Dies ist überhaupt nur möglich, weil die WHO in weiten Teilen nur noch auf dem Papier von ihren Mitgliedsstaaten gesteuert wird. Seit 2016 existieren völkervertragsrechtliche Grundlagen für nichtstaatliche, global agierende Akteure wie Nichtregierungsorganisationen, akademische Institutionen und Stiftungen, denen Eingaberechte und Verhandlungsteilnahmen zugestanden werden. Außerdem finanziert sich die WHO überwiegend aus privaten, zweckgebundenen Zuwendungen bzw. zukünftig aus ihrem neuen Investmentprogramm, für das sie hohe Renditen in Aussicht stellt. Die Verträge mit privaten Geldgebern (sog. Stakeholder) über Höhe, Zweckbindung und weitere Bedingungen bleiben weitgehend unter Verschluss. Auch wenn letztendlich nur die WHO-Mitgliedstaaten über die Vertragsinhalte abstimmen, ist die mögliche Einflussnahme der Geldgeber und ihrer Interessen auf die Vertragsgestaltung und auf die Maßnahmen des WHO-Generaldirektors nicht von der Hand zu weisen. Kontrollmechanismen gibt es keine.
Die pandemische Notlage als neue Eskalationsstufe im WHO-Notstandsrecht
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht u. a. die Zustimmung für die Einführung einer neuen „pandemischen Notlage“ (pandemic emergency) in die IGV vor. Dabei handelt es sich um eine gesteigerte Form des PHEIC, die ebenfalls vom Generaldirektor ausgerufen und mit Empfehlungen begleitet werden kann.
Die pandemische Notlage soll ausrufbar sein, wenn eine übertragbare Krankheit sich auf mehrere Staaten ausdehnt, die Leistungsfähigkeit von Gesundheitssystemen übersteigt, schwere soziale und/oder wirtschaftliche Störungen verursacht und ein schnelles, gerechtes und verstärktes koordiniertes internationales Handeln mit ressortübergreifenden und gesamtgesellschaftlichen Ansätzen erfordert. Es genügt ausdrücklich, wenn alle diese Voraussetzungen nur mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegen. Verzichtet wurde auf Definitionsmerkmale mikrobiologischer, epidemiologischer und klinischer Art wie Erregerart, Übertragungsweise und Mortalität.
An dieser Stelle haben die offiziellen Begründungen für das Corona-Maßnahmenregime Aufnahme in einen Rechtstext gefunden. „Ressortübergreifend“ lässt zudem an die Beteiligung des Verteidigungsministeriums denken, „gesamtgesellschaftlich“ weckt Erinnerungen an erzwungene Solidaritätsmaßnahmen und Lockdowns.
Die pandemische Notlage, die sich begrifflich sicherlich besser zur Gefahrvermittlung und Maßnahmenbegründung eignet als der sperrige PHEIC, ist eine Schnittstelle zum Pandemievertrag und seinen Mechanismen, die WHO für ihre Stakeholder durch Zuarbeit der Vertragsstaaten zur treibenden Kraft bei der Suche nach und Erforschung von neuen Erregern und zu einer Art globalen Beschaffungs- und Verteilungsagentur für Pandemieprodukte auszubauen.
Rechtlich sind die Empfehlungen, die der Generaldirektor infolge einer pandemischen Notlage oder eines anderen PHEICs ausspricht, für die Vertragsstaaten nicht bindend. Die Staaten können einen anderen Umgang mit der erklärten Gefahr wählen. Ein Souveränitätsverlust liegt aus rechtlicher Sicht somit nicht vor. Faktisch haben allerdings fast alle Staaten diese Empfehlungen während der Covid-19-Jahre umgesetzt, auch die Bundesrepublik. Sie hat WHO-Empfehlungen übernommen, obwohl ihre Umsetzung auch zu Grundrechtsverletzungen beigetragen hat. Gründe dafür sind sicherlich eng verknüpft mit den genannten Einflussnahmen nichtstaatlicher Akteure. Mitentscheidend ist auch das deutsche politische Bestreben, seit 15 Jahren eine führende Rolle innerhalb dieser Global Health Governance einzunehmen.
Die zunehmende Bedeutung von Impfstoffen, Tests und Schutzausrüstung
Die Volksvertreter würden mit der Annahme des Gesetzentwurfs der Konzentration von Forschung, Entwicklung, Produktion, Verteilung und Finanzierung auf bestimmte Gesundheitsprodukte wie Impfstoffe, Tests oder Masken während einer ausgerufenen gesundheitlichen Notlage zustimmen. „Maßgebliche Gesundheitsprodukte“ (relevant health products) werden von nun an in den IGV definiert und in zahlreiche Vorschriften integriert. Damit wird das während Covid-19 praktizierte Vorgehen, existierende Medikamente für unbrauchbar zu erklären, fragwürdige Testungen zum maßnahmensteuernden Diagnosemittel zu erheben, jedermann mit verpflichtenden Masken auszustatten sowie die Erforschung, Herstellung und Verwendung neuartiger Produkte zu forcieren, legitimiert und für die Zukunft kodifiziert.
„Maßgebliche Gesundheitsprodukte“ werden definiert als „Gesundheitsprodukte, die als Reaktion auf gesundheitliche Notlagen von internationaler Tragweite, einschließlich pandemischer Notlagen, benötigt werden; sie können Arzneimittel, Impfstoffe, Diagnostika, Medizinprodukte, Produkte zur Vektorbekämpfung, persönliche Schutzausrüstung, Dekontaminierungsprodukte, Hilfsprodukte, Antidote, Zell- und Gentherapien und sonstige Gesundheitstechnologien umfassen.“
Die befristeten Empfehlungen des WHO-Generaldirektors zum Umgang mit den Notlagen werden sich in Zukunft vermehrt auf die als maßgeblich eingestuften Produkte beziehen (z. B. spezifische Produktempfehlungen, Empfehlungen zur Empfängerpriorisierung, Know-how-Transfer, Produktionssteigerung und Aufrechterhaltung der internationalen Versorgungsketten für maßgebliche Gesundheitsprodukte).
Ein Blick auf begleitende WHO-Plattformen und Programme verrät, wie umfassend dieses profitorientierte System bereits ausgestaltet ist. Das WHO-Emergency Use Listing ist ein Verfahren, das Unternehmen einlädt, ihre noch nicht zugelassenen Produktkandidaten für eine Art Präqualifikation einzureichen, um diese im Falle einer ausgerufenen Notlage auf schnellstem Wege den zuständigen Behörden für die beschleunigte Zulassung zur Verfügung zu stellen. Weltweit empfohlen hat der WHO-Generaldirektor während des COVID-19-PHEIC solche Impfstoffe, die EUL-gelistet waren. Für Impfstoffkandidaten ist das EUL-Listing eine Voraussetzung, um über privat-öffentliche Allianzen wie COVAX oder GAVI weltweit vertrieben zu werden. Die WHO-R&D Blueprint Plattform setzt hingegen noch früher an und bietet Anreize und Kooperationen zur Erforschung von priorisierten Virus- und Bakterienfamilien mit Pandemiepotenzial mit dem Ziel der beschleunigten Produktentwicklung. Beste Vorrausetzungen für einen Wettlauf um das profitabelste Massenprodukt zulasten der individuellen Gesundheit.
Der verpflichtende Umgang mit Fehl- und Desinformationen
Die Vertragsstaaten müssen seit den IGV-Änderungen von 2005 Kernkapazitäten aufbauen. Bei ihnen handelt es sich ausdrücklich um Verpflichtungen, die der Staat fristgebunden umsetzen muss. Dazu gehören bereits seit 2005 detaillierte Pflichten für eine kommunale, mittlere und nationale Ebene, gesundheitsrelevante Ereignisse zu erfassen, zu beobachten, zu bewerten und innerstaatlich und schließlich ggf. der WHO zu melden. Diese Meldungen können die Basis bilden für die Ausrufung von PHEICs durch den WHO-Generaldirektor.
Die aktuellen IGV-Änderungen enthalten eine Kernkapazität bedenklichen Inhalts, wonach die Vertragsstaaten sich verpflichten, im Hinblick auf Gefahren für die öffentliche Gesundheit „die Risikokommunikation, einschließlich des Umgangs mit Fehl- und Desinformation, zu schaffen, zu stärken und zu erhalten.“ Die WHO hat in diesem Zusammenhang unter dem Oberbegriff der Infodemie bereits zahlreiche Publikationen und sogar eine Fortbildung zum Infodemiemanager erarbeitet. Ihrer Auffassung nach ist eine Infodemie eine zu große Informationsmenge, darunter auch falsche oder irreführende Informationen, in digitalen und physischen Umgebungen während eines Krankheitsausbruchs. Risikokommunikation findet sich als Konzept in vielen Sachgebieten wie auch dem Katastrophenschutz. Sie adressiert die Bevölkerung vornehmlich in Krisensituationen auf unterschiedlichste Weise, etwa über klassische Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, auf Veranstaltungen, in Publikationen wie Ratgebern oder Plakaten oder im Internet und Social Media. Dass zukünftig im Rahmen der Risikokommunikation bezüglich pandemischer Notlagen auch mit Fehl- und Desinformationen „umgegangen“ werden soll, kann von der Veröffentlichung von Gegenargumenten über das Verschweigen alternativer Inhalte bis zu deren Löschung alles bedeuten. Man darf gespannt sein, wie der Gesetzgeber diesen peinlichen Drahtseilakt umsetzen wird. Denkbar ist, dass er als nationales Instrument zur Löschung rechtswidriger oder sogar bloß anderweitig schädlicher Inhalte mit Bezug zur öffentlichen Gesundheit von Online-Plattformen die umstrittene EU-Verordnung des Digital Services Acts heranzieht.
Parlamentarische Zustimmung zum globalen Gesundheitsregime statt Aufarbeitung und Politikwechsel
Bisherige Beschlüsse des Bundestags die WHO betreffend lassen wenig Hoffnung auf das Scheitern des Zustimmungsgesetzes. Unsere Volksvertreter stimmen mit allergrößter Wahrscheinlichkeit zum wiederholten Mal einer teilprivatisierten, global verordneten Gesundheitspolitik zu. Wie üblich werden sie zur Begründung anführen, dass Pandemien die allgegenwärtige Gefahr unserer Zeit sind und der einzig sichere Umgang damit das international gesteuerte Notstandsregime und neuartige Pandemieprodukte seien. Sie müssten es besser wissen."
Quelle: Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte n.e.V. (KRiStA)