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Experte: Erbschaftsteuerreform sprachlich unverständlich

Archivmeldung vom 13.07.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.07.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Bild: Gerd Altmann / pixelio.de
Bild: Gerd Altmann / pixelio.de

Der Gesetzentwurf der Koalition zur Reform des Erbschaftsteuerrechts ist nicht nur in der Sache kompliziert - er ist auch sprachlich schwer zu verstehen: Zu diesem Urteil kommt der Kommunikationswissenschafter Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim. Brettschneider hat den Entwurf für die "Welt am Sonntag" analysiert.

Der Wissenschaftler hat mit Kollegen einen sogenannten Verständlichkeitsindex entwickelt - von 0 (formal völlig unverständlich) bis 20 (formal sehr verständlich). Der seit dieser Woche vorliegende Gesetzentwurf erreicht Brettschneider zufolge gerade einmal einen Wert von 7,3.

Zum Vergleich: Die Reden, die die Chefs der 30-DAX-Konzerne in diesem Jahr auf den Hauptversammlungen ihrer Unternehmen gehalten haben, waren deutlich verständlicher, sie erreichen einen Verständlichkeitswert von 13,1. Und die Berichte von Qualitätszeitungen über Wirtschaftsthemen landen meist bei 12 bis 15 Index-Punkten.

In dem Gesetzentwurf finden sich Wörter wie "Verbundvermögensaufstellung", "Verschonungsbedarfsprüfung" und "Zahlungsverjährungsfrist". In der dem Entwurf beigefügten Begründung ist sogar von einem "Regel-Ausnahme-Rückausnahme-Verhältnis" die Rede. Ein Text sollte, um verständlich zu sein, Sätze enthalten, die im Durchschnitt höchstens zwölf Wörter lang sind, sagte Brettschneider. Im Gesetzentwurf zur Erbschaftsteuer aber liege der Wert doppelt so hoch - nämlich bei 23,2 Wörtern.

Auch hätten die Ministerialbeamten bei ihren Formulierungen ungewöhnlich viele Passivsätze gewählt. Brettschneider zufolge sollten in Texten der Verständlichkeit halber nicht mehr als 15 Prozent der Sätze Passivkonstruktionen enthalten. In dem Gesetzentwurf aber tun dies 21,8 Prozent.

"Es handelt sich formal um einen für relevante Teile der Bevölkerung unverständlichen Gesetzentwurf", sagte Brettschneider. "Falls der Entwurf Gesetz wird, ist er für viele Menschen relevant. Er ist politisch umstritten. Und er ist komplex. Daher sollte es zumindest sprachlich für viele Menschen verständlich sein." Denn nur das, was verstanden werde, könnte auch demokratisch diskutiert werden. Daher, so Brettschneider, "wäre eine andere Vorlage wünschenswert".

DIHK: Erbschaftsteuergesetz wird Unternehmenslandschaft verändern

In der Wirtschaft reißt die Kritik an den Erbschaftsteuerplänen auch nach den Korrekturen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nicht ab: "Leider scheint noch immer nicht bei allen angekommen zu sein, wie sehr das neue Erbschaftsteuergesetz die Unternehmenslandschaft in Deutschland verändern wird", sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, der "Welt am Sonntag". "Denn der Kreis der Steuerpflichtigen, die im Gegenzug für eine Verschonung die Beschäftigung halten müssen, wird durch die Einbeziehung Hunderttausender Kleinbetriebe erheblich erhöht."

Die Politik solle froh sein, wenn Firmennachfolger in der eigenen Familie gefunden werden, sagte Schweitzer. "Trotzdem bestraft die neue Erbschaftsteuer die Übertragung auf die nächste Generation. Und das völlig ohne Not: Denn es besteht nachweislich keinerlei Zwang, von den bisher 20 auf jetzt drei Beschäftigte runterzugehen." Vergleiche man die kleinen Betriebe mit großen Mittelständlern, die einige Hundert Beschäftigte haben, "würde auch eine Grenze von zehn Beschäftigten die Vorgabe des Verfassungsgerichts erfüllen", so Schweitzer.

Studie: Steuer- und Abgabenlast im vergangenen Jahrzehnt kaum gesunken

Trotz des Booms am Arbeitsmarkt ist die Steuer- und Abgabenquote in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren kaum gefallen. Dies geht aus Berechnungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hervor, die der "Welt am Sonntag" vorliegen.

"Die Abgabenbelastung der Bürger ist in den letzten zehn Jahren nur geringfügig gesunken", sagte ZEW-Forscher Andreas Peichl. So verringerte sich für einen Arbeitnehmer mit einem Jahresbruttoeinkommen von 20.000 Euro die Belastung im vergangenen Jahrzehnt marginal von 31,3 auf 30,8 Prozent.

Für einen Durchschnittsverdiener mit 40.000 Euro Bruttoeinkommen ging die Belastung von 41,9 auf 39,5 und für einen Spitzenverdiener mit 80.000 Euro von 45,9 auf 43,9 Prozent zurück. Auch die am Freitag vom Bundesrat beschlossene Absenkung der kalten Progression und des Grundfreibetrags bringt für die Steuerzahler kaum Entlastung, wie Berechnungen des Rheinisch-Westfälisches-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) für die "Welt am Sonntag" zeigen.

So führe der höhere Grundfreibetrag in diesem Jahr zu einer Entlastung von 850 Millionen Euro. Durch die zweite Stufe im kommenden Jahr - eine weitere Erhöhung des Freibetrags und den Abbau der kalten Progression - kämen 2,5 Milliarden Euro hinzu. Auch Berechnungen des Bundes der Steuerzahler zeigen, dass der beschlossene Abbau der kalten Progression nur wenig Entlastung für die Steuerzahler bringt.

So liege die Entlastung für das Jahr 2016 für einen Arbeitnehmer mit einem Bruttojahresverdienst von 30.000 Euro bei 72 Euro im Jahr. Ein Single mit einem Einkommen von 50.000 Euro habe 128 Euro mehr in der Geldbörse. Bei Ehepaaren mit einem Einkommen liege die Entlastung bei 110 Euro im Jahr und bei 50.000 Euro bei 124 Euro im Jahr 2016.

Ökonomen fordern, einen größeren Anteil von den Haushaltsüberschüssen an den Steuerzahler zurückzugeben. "Trotz der Tarifreform 2009 und der weiteren Anhebungen des Grundfreibetrags sind seit dem Jahr 2005, dem Jahr der letzten großen und politisch so gewollten Steuerreform, rund zehn Milliarden Euro bei der kalten Progression aufgelaufen", sagte Wirtschaftsweise Lars Feld der "Welt am Sonntag". "Die Steuer- und Abgabenlast für die Mittelschicht ist zu hoch." Feld fordert eine "vollständige Korrektur" der kalten Progression der letzten Jahre.

Auch in der Politik wird der Ruf nach Steuersenkungen lauter. "Nachdem wir die kalte Progression angegangen sind, muss als nächstes der Soli fallen: wie versprochen 2019 und zwar endgültig", sagte CDU-Politiker Carsten Linnemann.

Auch die SPD spricht sich für Entlastungen aus. "Die Entscheidung zum Wahlprogramm fällt erst 2017, aber eine Entlastung für die arbeitende Mitte ist anzustreben", sagte SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider und weiß dabei die Gewerkschaften an seiner Seite.

"Es läuft grundsätzlich was falsch in der Steuerpolitik", findet DGB-Vorstand Stefan Körzell. "Einerseits wird der Staatshaushalt immer stärker durch Lohn- und Mehrwertsteuer finanziert, was vor allem Gering- und Durchschnittsverdiener belastet. Anderseits verlieren Steuern auf Gewinne und große Vermögen ständig an Bedeutung." Deshalb müsse der "Anstieg des Steuertarifs für geringere Einkommen abgeflacht werden", fordert Körzell.

Quelle: dts Nachrichtenagentur

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