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Größte Wahlstudie startet: Wie verändern Wechselwähler die repräsentative Demokratie?

Archivmeldung vom 07.05.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.05.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Wie kommt es, dass die großen Volksparteien immer weniger mit ihren Stammwählern rechnen können, dass Bürger ihre Wahlentscheidung erst kurz vor dem Urnengang treffen? "Die mobilere Wählerschaft stellt eine hoch komplexe Herausforderung dar - mit potenziell weitreichenden Konsequenzen für die repräsentative Demokratie in Deutschland", konstatiert die Frankfurter Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Sigrid Roßteutscher, die im Leitungsteam mit drei anderen Wissenschaftlern aus Mannheim und Berlin die bislang umfangreichste deutsche Wahlstudie startet.

"Unsere erste Datenerhebung hat schon Ende April mit einer Reihe von Online-Befragungen begonnen, die sich nicht nur auf die bevorstehende Bundestagswahl beschränken, sondern auch Meinungen zur Bundespräsidenten-, Europa- und zu Landtagswahlen erheben", so Roßteutscher. Ziel ist es, das Wählerverhalten während der einzelnen Wahlkampagnen und in der Mobilisierungsphase vor den Wahlen zu erfassen und zu erklären. Das Kernstück der Datenerhebung stellen jedoch mündliche persönliche Befragungen von 4200 Bürgerinnen und Bürgern dar, die von August bis November 2009 stattfinden. "Hierdurch wollen wir nicht nur herausfinden, was die Befragten von den Parteien und Politikern halten, sondern auch, wie sich ihre soziale Situation darstellt und wie diese im Zusammenhang mit politischem Verhalten steht", erläutert die Frankfurter Professorin.

Rot-schwarz, Jamaica, Ampel, schwarz-grün, rot-grün, rot-rot-grün - alle Regierungskombinationen scheinen inzwischen nach einer Wahl möglich, die ehemals großen Parteien verlieren ihre Vormachtstellung, müssen sich inzwischen sogar mit "20 plus" begnügen. Die Deutsche Nationale Wahlstudie ("German Longitudinal Election Study" - GLES), die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft in einer ersten Projektphase rund um die kommende Bundestagswahl mit 2,4 Millionen Euro gefördert wird, geht weit über das Wahlverhalten bei den Bundestagswahlen 2009, 2013 und 2017 hinaus. Dazu Roßteutscher: "Da der Meinungsbildungsprozess der Wähler nicht am Wahltag endet, sondern sich Einstellungen auch über den Zeitraum zwischen zwei Wahlen entwickeln und verändern, gilt es nicht bloß, eine einzelne Wahl und den ihr vorausgehenden Wahlkampf zu beobachten, sondern mit verschiedenen - und untereinander verbundenen - Instrumenten mehrere aufeinanderfolgende Wahlen zu erfassen und die Dynamik der Interaktion zwischen Wählern, Parteien und Medien über den gesamten Wahlzyklus zu verfolgen." Dabei beschäftigen sich die Forscherinnen und Forscher unter anderem mit den Fragen: Welche politischen Positionen nehmen die Wahlberechtigten zwischen den einzelnen Bundestagswahlen ein? Wie hängen diese mit den Europa- und Landtagswahlen zusammen? Inwieweit führen aktuelle politische Ereignisse und ihre Inszenierung in den Medien zu Einstellungsveränderungen? Kurz: Wie stabil oder mobil ist die deutsche Wählerschaft tatsächlich?

"Wir wollen keine Prognosen für die Wahlen abgeben, uns interessiert vielmehr, wohin sich unser repräsentatives Demokratiesystem langfristig entwickelt", umschreibt die Frankfurter Professorin das Ziel der umfänglichen Studie, die sich damit deutlich von den Prognosen kommerzieller Unternehmen unterscheiden wird. Drei von insgesamt neun Studienkomponenten werden unter Leitung von Prof. Sigrid Roßteutscher an der Goethe-Universität durchgeführt; darüber hinaus übernimmt Dr. Evelyn Bytzek von Frankfurt aus das Projektmanagement für die gesamte Studie. Die Deutsche Nationale Wahlstudie ist ein Kooperationsprojekt der Universitäten Frankfurt und Mannheim (Prof. Dr. Rüdiger Schmitt-Beck), des Wissenschaftszentrums Berlin (PD Dr. Bernhard Weßels) sowie der "Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen e.V." (GESIS) (Prof. Dr. Hans Rattinger).

Damit beginnt eine neue Ära der Wahlforschung an deutschen Universitäten; anstelle der kleinteiligeren Forschungen in den vergangenen Jahrzehnten tritt nun eine detailreiche, über einen Zeitraum von neun Jahren angelegte Großstudie: Als bislang ehrgeizigstes Forschungsprogramm der deutschen Wahlforschung wird das Projekt eine umfassende, komplexe und integrierte Datenbasis generieren und analysieren. Dazu Roßteutscher: "Unser Projekt versteht sich auch als wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Infrastruktur qualitativ hochwertiger Programme sozialwissenschaftlicher Datenerhebung in Deutschland. Alle Daten werden als öffentliches Gut behandelt und interessierten Sozialwissenschaftlern unverzüglich zugänglich gemacht." Die neue Förderstrategie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die unter dem Namen "Langfristförderung Geisteswissenschaften" firmiert, hat dieses Großprojekt erst möglich gemacht.

Parallel zu den Befragungen von Wahlberechtigten, die in verschiedenen Phasen mit unterschiedlichen Zielen und wechselnden Befragungsmodi, persönlich-mündlich, telefonisch und online, durchgeführt werden, zielen die Wissenschaftler auf eine Analyse der Medienberichterstattung im Vorfeld der Bundestagswahl sowie auf die Untersuchung des Wahlkampfs der Kandidaten. Besondere Beachtung verdienen hierbei Reaktionen auf das TV-Duell zwischen den beiden Spitzenkandidaten.

Die Initiative für diese größte nationale Wahlstudie ging von der Deutschen Gesellschaft für Wahlforschung (DGfW e.V.) aus, an deren Gründung Sigrid Roßteutscher und ihre Kollegen maßgeblich beteiligt waren. Und obwohl die Deutsche Nationale Wahlstudie somit der Mitte der deutschen Wahlforschung entsprang, ist der Kreis der Adressaten nicht auf die wissenschaftliche Gemeinschaft beschränkt. "Wir hoffen, dass es bald einen regen Austausch mit den Medien und den kommerziellen Wahlforschern geben wird. Wir können alle davon profitieren", so Roßteutscher. Schon bald nach der Bundestagswahl 2009 ist aus dem von der DFG geförderten Projekt eine erste große Buchveröffentlichung zu erwarten - "ein Anstoß für eine fruchtbare Diskussion!"

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.

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