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Psychologen auf Abwegen

Archivmeldung vom 25.05.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.05.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: Daniela B. / PIXELIO
Bild: Daniela B. / PIXELIO

Seit Monaten konzentriert sich die öffentliche Debatte um sexuellen Missbrauch bzw. „sexualisierte Gewalt“ vor allem auf die katholische Kirche. Als Täter wird besonders der zölibatäre (ehelose) Priester unter die Lupe genommen und nicht selten pauschal im Sinne eines Generalverdachts an den Pranger gestellt.

Das änderte sich selbst dadurch nicht wesentlich, dass namhafte Fachleute, vor allem forensische Psychiater (darunter Prof. Dr. Hans-Ludwig Kröber und Dr. Reinhard Haller) übereinstimmend feststellten, dass der Täter-Anteil katholischer Geistlicher weit unter dem gesellschaftlichen Durchschnitt liegt:

Wie der evang. Gerichtspsychiater Kröber der Öffentlichkeit bereits im Februar 2010 mitteilte, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein zölibatärer katholischer Priester zum Missbrauchstäter wird, 36 x geringer als bei anderen (nichtzölibatären) Männern. Laut Dr. Haller kommen 99,7% der Missbrauchs-Täter aus dem nicht-kirchlichen Bereich, lediglich 0,3% betreffen katholische Priester.

Diesem vergleichsweise geringfügigen Anteil steht ein anderer Berufszweig gegenüber, der weitaus höhere Zahlen aufweist, was dennoch bislang keine öffentliche Aufmerksamkeit auslöste: es geht um Psychotherapeuten, von denen jeder Zehnte irgendwann zum Missbrauchstäter wird, indem er sexuelle Handlungen an Patienten - und damit an Schutzbefohlenen - vornimmt.

Als der Publizist, Psychiater und Psychotherapeut Manfred Lütz im Februar 2010 in zahlreichen Veröffentlichungen hierauf aufmerksam machte, erhob sich nirgendwo ein Proteststurm, auch nicht von Kollegenseite, nicht einmal ein Windstoß machte sich bemerkbar.

Weshalb das große Schweigen? – Wohl weil man im Psycho-Spektrum genau weiß, dass der bekannte Sachbuchautor sich auf präzise Fakten stützen kann. Der Kölner Psychiater hatte wörtlich erklärt: „Zehn Prozent der Psychotherapeuten überschreiten irgendwann einmal die Grenze zum Missbrauch.“

In diesen Fällen ist meist der Täter männlich und das Opfer weiblich. Die Initiative zum sexuellen Kontakt geht vom Therapeuten aus. Im online-Psychologie-Lexikon www.psychology48.com wird überdies berichtet: „Etwa jeder zweite Psychotherapeut hat mindestens einmal Patienten in der Psychotherapie, die von einem Kollegen missbraucht worden sind.“

Sodann heißt es: „In Übereinstimmung mit internationalen Forschungsergebnissen ist davon auszugehen, da jeder zehnte Psychotherapeut im Laufe seines Berufslebens mindestens einmal sexuelle Beziehungen zu einer Klientin aufnimmt.“

Das Fachlexikon fügt hinzu: „Dies ist neben dem individuellen Leid der Betroffenen auch eine Bedrohung der gesamten Profession von Psychotherapeuten und professionellen psychosozialen Helfern.“ - Hier folgt der Link zur betreffenden Seite:
http://www.psychology48.com/deu/d/sexueller-missbrauch-in-der-psychotherapie/sexueller-missbrauch-in-der-psychotherapie.htm

Ähnliches berichtete unlängst die Nachrichtenagentur KNA:

„Rund 300 Patienten werden jährlich in Deutschland einer Studie der Universität Köln zufolge Opfer sexueller Übergriffe in der Therapie. Befragungen zeigten, dass jeder zehnte männliche Therapeut schon einmal sexuellen Kontakt zu einer Patientin gehabt habe. Dies berichtet die Zeitschrift „Der Allgemeinarzt“ in der April-Ausgabe 2010 über die Forschungen der Psychologin Christiane Eichenberg.

Viele Therapeuten vergriffen sich wiederholt, berichtet Eichenberg im Fachorgan für Fortbildung und Praxis des Deutschen Hausärzte-Verbands... Viele Täter hätten eine gute Ausbildung: Mehr als die Hälfte sei Dipl.-Psychologe, mehr als ein Drittel Arzt, zumeist mit einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.

Der sexuelle Missbrauch habe für die Patienten „massiv negative“ Auswirkungen. Durch die sexuelle Beziehung würden fast 90% der Patienten traumatisiert. Eine vom Bundesfamilienministerium Anfang der 1990er Jahre in Auftrag gegebene Studie belege die negativen Konsequenzen dieser sexuellen Übergriffe.

Eichenberg verweist auf ein 1998 erlassenes Gesetz, das den sexuellen Kontakt zwischen Therapeut und Patientin unter Strafe stellt. Aber nur wenige Opfer können sich dazu durchringen, den Täter anzuzeigen. Die betroffenen Patienten hätten vielfach Angst davor, daß ihnen nicht geglaubt werde...Zudem verjährten diese Missbrauchsfälle nach 5 Jahren.“

Angesichts dieser dokumentierten Tatsachen erscheint es überfällig, dass sich Medien, Fachwelt und Politik verstärkt mit den Irrungen, Wirrungen und Abwegen innerhalb der Therapeuten-Szene befassen, zumal hier die Täterquote nachweisbar weitaus höher liegt als im kirchlichen Bereich, der gleichwohl seit Monaten im Mittelpunkt öffentlicher Erregung steht.

Quelle: Christoferuswerk

 

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