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"Panorama": Fünf Jahre hinter Gittern - Staatsanwaltschaft verschwieg entlastendes Material"

Archivmeldung vom 24.06.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.06.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Fünf Jahre lang saß Ralf Witte im Gefängnis - vielleicht völlig unschuldig. Jetzt musste er erst einmal freigelassen werden, denn es stellte sich heraus: Die Staatsanwaltschaft Hannover hatte entlastendes Material zurückgehalten. Wittes neuer Verteidiger, der Hamburger Anwalt Johann Schwenn, spricht von einem "Justizskandal".

Ralf Witte war von dem damals 15-jährigen Mädchen Jennifer W. im Jahr 2001 beschuldigt worden, sie mehrfach brutal vergewaltigt und dabei entjungfert zu haben. Witte wurde daraufhin vom Landgericht Hannover zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und acht Monaten verurteilt. Das Landgericht Lüneburg hat jetzt aber die sofortige "Unterbrechung der Vollstreckung" angeordnet. Der 45-jährige Witte konnte nun, nachdem er bereits fünf Jahre gesessen hat, die Justizanstalt Sehnde bei Hannover verlassen. "Es gibt inzwischen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin", also Jennifer W., sagte Bernd Gütschow, Sprecher des Landgerichts Lüneburg, gegenüber dem ARD-Magazin "Panorama" vom Norddeutschen Rundfunk.

Drei Monate nach der Verurteilung von Ralf Witte im Sommer 2004 kam das vermeintliche Opfer Jennifer W. mit ganz neuen Aussagen, die ihre Glaubwürdigkeit erschütterten. So behauptete sie nun auf einmal, schon seit ihrem achten Lebensjahr Opfer eines Mädchenhändlerrings gewesen zu sein. Sie sei über Jahre hinweg vergewaltigt und dabei gefilmt worden. Zudem habe sie miterlebt, wie Babys gegen die Wand geworfen und getötet worden seien.

Diese Angaben hat die Staatsanwaltschaft Hannover ergebnislos überprüft. Ihr gelang es weder, die Beschuldigten zu identifizieren noch den angeblichen Tatort zu lokalisieren. Diese erheblichen Zweifel tauchten bei der Staatsanwaltschaft auf, als das Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof noch nicht abgeschlossen war. Trotzdem leitete sie ihre Erkenntnisse nicht weiter.

Stattdessen hat die Staatsanwaltschaft Hannover das Ermittlungsverfahren dann über drei Jahre lang ruhen lassen.  "Wir haben in dieser Zeit immer wieder versucht, mit Jennifer W. weitere Gespräche zu führen, um konkretere Angaben über den Mädchenhändlerring zu bekommen. Das ist uns aber in dreieinhalb Jahren nicht gelungen", so die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hannover, Kathrin Söfker, gegenüber "Panorama". Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Hannover das Verfahren ergebnislos eingestellt.

Der Hamburger Anwalt Johann Schwenn nennt das Verhalten der Staatsanwaltschaft Hannover einen "Justizskandal". Die Ermittler hätten die Widersprüche zwischen beiden Aussagen nicht aufgeklärt. "Der verurteilte Ralf Witte kann Jennifer W. nicht entjungfert haben, wenn das Mädchen tatsächlich schon seit ihrem achten Lebensjahr von einem Kinderhändlerring vergewaltigt worden sein will." Außerdem sei es nicht verständlich, dass die Staatsanwaltschaft Hannover über dreieinhalb Jahre die Ermittlungen habe ruhen lassen. "Wenn man die Aussagen der Zeugin auch nur möglicherweise für richtig hält, dann muss man bei diesen schweren Anschuldigungen mit Nachdruck ermitteln", so Schwenn gegenüber "Panorama". "Oder man glaubt ihr nicht, dann allerdings muss man die Glaubwürdigkeit der Zeugin auch insgesamt in Frage stellen. Das Verfahren einfach ruhen zu lassen, ist meiner Meinung nach versuchte Strafvereitlung, das Verschweigen der Vernehmung im Verfahren Witte halte ich für Rechtsbeugung." Die Staatsanwaltschaft Hannover weist diese Vorwürfe zurück.

Auch der möglicherweise zu Unrecht verurteilte Ralf Witte kritisiert die Staatsanwaltschaft Hannover scharf. "Das kommt einem Verbrechen gleich, dass man diese Aussage solange zurückgehalten hat", sagte er gegenüber "Panorama". "Spätestens seit dieser Aussage musste der Staatsanwaltschaft Hannover klar gewesen sein, dass das alles nicht sein kann, was Jennifer erzählt hat. Seitdem hat man mich meiner Freiheit beraubt." Witte hatte die Taten immer bestritten und seine Unschuld beteuert.

Inzwischen hat auch das Landgericht Lüneburg eine neues Glaubwürdigkeitsgutachten über Jennifer W. erstellen lassen. Darin kommt der psychologische Gutachter Jörg Wiederhold zu dem Ergebnis, dass es "deutliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit" der Zeugin gebe. In seinem Kurzgutachten, das "Panorama" vorliegt, schreibt er, dass die Angaben der Zeugin zum Mädchenhändlerring "möglicherweise falsch sind". Dies könne auch bedeuten, dass "sie auch in ihren früheren Aussagen (über Ralf Witte, Anm.) unter Umständen falsche Angaben gemacht habe".

Insgesamt wertete das Landgericht Lüneburg die nachträglichen Aussagen von Jennifer W. über den Mädchenhändlerring als neue Tatsache und erklärte damit die Wiederaufnahme des Verfahren von Ralf Witte für zulässig.

Quelle: NDR Norddeutscher Rundfunk

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