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Kriegsverschollene - "Wissen Sie, wer ich bin?"

Archivmeldung vom 23.03.2005

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.03.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Michael Dahlke

Auch 60 Jahre nach Kriegsende sucht das Rote Kreuz noch Verschollene. Mit erstaunlichem Erfolg:

Seit dem Kriegsende gingen über 17 Millionen Suchanfragen beim Roten Kreuz ein, 1,3 Millionen Fälle sind nach wie vor ungeklärt. Bis 1982 wurden Findelkinder in ganz Deutschland noch plakatiert.

Auch 60 Jahre nach Kriegsende sucht das Rote Kreuz noch Verschollene. Mit erstaunlichem Erfolg: "Wir führen jedes Jahr 600 bis 700 Menschen wieder zusammen", sagt Klaus Mittermeier, Leiter des DRK-Suchdienstes in München. Bewegt hat ihn der Fall einer Frau aus Russland, die anfragte, ob sie noch Angehörige in Deutschland habe. Als kleines Mädchen war sie mit ihrem Vater 1930 von Deutschland nach Moskau gezogen, ihre Mutter sollte nachkommen. Doch die Mutter erhielt kein Visum, der Vater starb, das Mädchen kam in ein russisches Waisenhaus. Mit Detektivarbeit ermöglichte das Rote Kreuz ein kaum noch zu erhoffendes Wiedersehen: "Wir haben ihre Mutter hier gefunden in einem Altenheim - über 90, aber noch sehr vital", erzählt Mittermeier. "Ich habe dort ihre Betreuerin angerufen, sie soll die Frau ganz behutsam darauf vorbereiten, dass sie in Kürze ihre Tochter in die Arme schließen kann."

Seit dem Kriegsende gingen über 17 Millionen Suchanfragen beim Deutschen Roten Kreuz ein. Die meisten wurden in den ersten Nachkriegsjahren geklärt. Als die Bundesregierung 1950 dazu aufrief, alle noch Vermissten registrieren zu lassen, wurden 2,5 Millionen gemeldet. Durch Befragung von Kriegsheimkehrern konnte das Rote Kreuz eine weitere Million Schicksale klären. "Wir haben ihnen Fotos gezeigt aus ihrer jeweiligen Truppeneinheit. Da erinnerten sich viele: 'Ach ja, der ist da gefallen. Und der war mit mir im Lager.'"

Erst seit 1992 bekommt das Deutsche Rote Kreuz von den russischen Behörden Personalbögen, Entlassungs- und Sterbelisten von Gefangenen - ein Durchbruch: "Wir klären jetzt im Jahr zwischen 10.000 und 20.000 Schicksale aus dem Zweiten Weltkrieg", sagt Mittermeier. Das entscheidende Hilfsmittel auf der anderen Seite sind 60 Millionen Karteikarten von 28 Millionen Menschen, die vermisst werden, ihre Angehörigen suchen oder Aufklärung über ihr eigenes Schicksal erhoffen. Bei Kriegsende waren 500.000 Kinder von ihren Familien getrennt. Bis 1982 wurden Findelkinder in ganz Deutschland plakatiert: "Wissen Sie, wer ich bin? Wie ich heiße? Woher ich komme?"

Vor wenigen Monaten erst hat Karin K. das herausgefunden. Sie wuchs während des Krieges bei einer Pflegefamilie in Danzig auf, nach der Flucht gen Westen fand sich die Fünfjährige plötzlich allein in einem Auffanglager wieder. "Ich wusste nur meinen Vornamen", erinnert sie sich. Nur weil ihre greise Mutter jetzt wegen eines anderen Verwandten anfragte, konnte das Rote Kreuz die beiden doch noch zusammenführen.

Die Zentrale des Suchdienstes in München besteht aus einer endlos erscheinenden Folge hoher Stahlregale, in denen dicht an dicht 40.000 Karteikästen mit den Namen von Suchenden und Gesuchten stehen. "Das Schicksal einer Nation spiegelt sich darin", sagt Mittermeier. "Der Zweite Weltkrieg macht fast 90 Prozent unserer Arbeit aus." Das Dutzend Karteikästen mit den Namen der deutschen Tsunami-Vermissten, um die sich der Suchdienst ebenfalls kümmert, hat auf zwei Regalbrettern Platz.

"Wir sind jetzt bei Buchstabe B" Mittermeier, früher Uni-Dozent für Geographie, kam 1981 zum Suchdienst. "Ich fand, das klang detektivisch, spannend", sagt er. "Wir sind alle Seiteneinsteiger." Unter den 85 Mitarbeitern gibt es Theaterwissenschaftler und Archäologen, die Computer werden von einem Romanisten betreut. "Wir haben 21 Sprachen. Russisch ist mehrfach vorhanden", sagt der Chef. Schrittweise werden die 60 Millionen Karteikarten nun gescannt, das soll die Arbeit beschleunigen. "Wir sind jetzt bei Buchstabe B. In zehn Jahren wird das alles in zwei Rechnern gespeichert sein, zusammen mit den Akten aus Moskau", sagt Mittermeier.

Noch heute gehen jedes Jahr 1.000 bis 2.000 neue Suchanfragen ein - aus den neuen Bundesländern, von Russlanddeutschen, von Kindern von Besatzungssoldaten, die ihren Vater suchen. "Ich rechne damit, dass der Suchdienst noch 20 Jahre arbeiten wird am Zweiten Weltkrieg", sagt Mittermeier. Jede Woche kläre das Rote Kreuz 300 Schicksale. Viele schrieben daraufhin Dankesbriefe - "Tenor: Es reißt zwar Wunden auf, aber wir sind froh, dass wir jetzt endlich Gewissheit haben." Diese Gewissheit sei vielen ein Trost, meint Mittermeier.

In Deutschland seien heute noch 1,3 Millionen Fälle ungeklärt. Viele Gefangene seien in provisorischen Sammelstellen und auf Fußmärschen gestorben, noch bevor sie registriert werden konnten. Wenig Informationen gebe es auch aus den ehemaligen Partisanengebieten, Jugoslawien zum Beispiel - Namenslisten toter Feinde seien dort nicht angelegt worden. "Am Ende wird wohl eine Million Schicksale bleiben, die man nie wird klären können." Roland Losch/AP

Quelle: http://www.stern.de/politik/historie/538099.html?nv=cp_L1_tt

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