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Sexualdelikte sind immer noch Taten mit geringem Risiko

Archivmeldung vom 29.10.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.10.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Missbrauch, Gewalt und Vergewaltigung (Symbolbild)
Missbrauch, Gewalt und Vergewaltigung (Symbolbild)

Bild: RS / pixelio.de

Trotz Gesetzesverschärfungen werden noch immer zwei Drittel aller Ermittlungsverfahren wegen Sexualstraftaten in Deutschland eingestellt. Zugleich steigt die Zahl der Ermittlungsverfahren in diesem Bereich deutlich.

Eine bundesweite Datenrecherche von rbb24 Recherche und ARD-KONTRASTE hat ergeben, dass die Zahl der Ermittlungsverfahren von gut 50.000 im Jahr 2015 auf beinahe 82.000 vier Jahre später angestiegen ist. Das sind umgerechnet 224 Verfahren pro Tag oder 9 Fälle pro Stunde. Allein im letzten Jahr der Erhebung von 2018 auf 2019 stieg die Zahl der Ermittlungsverfahren um rund 10.000 an - eine Zunahme von 27 Fällen pro Tag. Experten gehen davon aus, dass der Anstieg mit der Reform des Sexualstrafrechts 2016 sowie der #metoo-Bewegung zusammenhängt. Seit 2016 ist auch sexuelle Belästigung, die zuvor nur als Beleidigung verfolgt werden konnte, strafbar.

Die Einstellungsquote hat sich indes nicht verändert: Deutschlandweit werden 66 Prozent der Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt, in manchen Bundesländern sogar weit über 70 Prozent. Auch die Verurteilungsquote ist mit einem Wert um die 10 Prozent seit 2015 gleichbleibend niedrig.

Für die hohe Zahl der eingestellten Verfahren sehen Experten mehrere Gründe: In der Regel werden Sexualstraftaten nicht von Unbekannten begangen. Die weitaus meisten Übergriffe geschehen im Bekanntenkreis oder im familiären Umfeld. Dort gibt es oft weder Zeugen noch Beweismittel. Wenn Aussage gegen Aussage steht, ist die Frage der Glaubwürdigkeit entscheidend. Experten bemängeln in dem Zusammenhang die Ermittlungsarbeit der Behörden, besonders der Polizei. Deren Ausbildung sei mangelhaft, zu wenig Personal könne die zunehmende Arbeit nicht mehr leisten. Mit Belastungszeuginnen werde oft nicht sensibel genug gesprochen.

Der Berliner Fach-Staatsanwalt Sebastian Büchner regt deshalb eine Reihe von Verbesserungsmaßnahmen auf Ermittlerseite an: Polizisten, Staatsanwälte und Richter sollten besser aus- und regelmäßig fortgebildet werden. Die Staatsanwaltschaft sollte die Möglichkeit bekommen, Opfern eine psychosoziale Prozessbegleitung beizuordnen. Richterliche Videovernehmungen, die Mehrfachbefragungen und damit Retraumatisierungen verhindern, sollten regelmäßiger durchgeführt werden. Eine Spezialisierung aller Beteiligten an Verfahren zu Sexualdelikten sei wünschenswert.

Für Prof. Christian Pfeiffer, den langjährigen Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, ist die Situation der Opfer von Sexualstraftaten "eines Rechtsstaates nicht würdig." Frauen würden, etwa in polizeilichen Vernehmungen, nicht die Behandlung erhalten, die ihnen zustünde. Auch Prof. Tatjana Hörnle, Direktorin des Max Planck Instituts zur Erforschung von Kriminalität in Freiburg, kritisiert, dass Verurteilungsquoten von 10 Prozent bei Sexualdelikten mit der Unschuldsvermutung nicht mehr "vernünftig" zu erklären seien: "Da gibt es sicher Spielraum für Verbesserungen bei den Methoden der Vernehmungen und bei den Ressourcen der Staatsanwaltschaften."

Quelle: Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) (ots)


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