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Politische Gesetzesbrecher auf höchster Ebene

Archivmeldung vom 11.03.2005

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.03.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Was schon lange gemunkelt wurde, hat der diese Woche publizierte Sasson-Bericht bestätigt: Die gleichen israelischen Regierungen und Beamten, die seit Jahren die Räumung illegaler Aussenposten in der Westbank versprechen, genehmigen – ebenfalls seit Jahren – deren Errichtung und Finanzierung.

Von Jacques Ungar

Dieser Tage ist zur Gewissheit geworden, was jahrelang als Gerücht und Vermutung kolportiert wurde: Alle israelischen Regierungen der letzten Jahrzehnte haben offen das Gesetz gebrochen, indem sie die Errichtung illegaler (laut offizieller Diktion «unbewilligter») Aussenposten in der Westbank abgesegnet und finanziert haben. Das hält die Anwältin Talia Sasson in ihrem Bericht zur Thematik fest, den sie auf Ersuchen von Premierminister Ariel Sharon angefertigt und diesem am Dienstagabend vorgelegt hat. Regierungsbüros hätten zusammen mit den Siedlern in den Gebieten eine «ungestörte kriminelle Aktivität» entwickelt, schreibt die Autorin des Berichts. Dieser geht in seiner Aussage und der Klarheit der gewählten Sprache weit über alles hinaus, was bisher in Israel zur umstrittenen Frage der illegalen Aussenposten publiziert worden ist. Zwar hatten Rechtsberater der Regierung schon in der Vergangenheit den Verdacht auf Gesetzesverletzungen durch Staatsbeamte geäussert, doch ist in keinem der Fälle je die Eröffnung einer Untersuchung gefordert worden, etwa gegen den damaligen Wohnbauminister Ariel Sharon oder diverse «Berater in Siedlungsfragen» von Verteidigungsministern.

Wie die Praxis aussah, und vielleicht immer noch aussieht, schildert die Zeitung «Haaretz» anhand eines konkreten Beispieles. In einer Stellungnahme hielt der damalige Generalstaatsanwalt Eliakim Rubinstein im Mai 1997 fest, die Siedlung Har Hemed in der nördlichen Westbank sei illegal. Dessen ungeachtet zweigte das Innenministerium im November 1998 250000 Schekel «für ein neues Wohnviertel in Har Hemed» ab, das Wohnbauministerium steuerte 150000 Schekel bei und die zionistische Weltorganisation weitere 125000. Dieses Beispiel ist typisch für das Vorgehen, wie es seit jeher üblich ist: Die Siedler lancieren eine Initiative, die Siedlungsabteilung der zionistischen Weltorganisation gewährt Unterstützung, das Wohnbauministerium liefert die Finanzierung, und die Armee errichtet Strassen und Zäune, da für sie der Grundsatz gilt, Juden seien zu beschützen, wo immer sie sich aufhalten mögen.

In ihrem Bericht beschreibt Talia Sasson die herrschenden Zustände ebenso klar wie erschreckend: «Die treibende Kraft hinter dem Beschluss der Errichtung von Aussenposten waren die Regionalräte in Judäa und Samaria, die Siedler und die von der ideologischen Motivation durchdrungenen Aktivisten, das israelische Siedlungswerk in den Gebieten der Westbank zu festigen. Ihnen zugesellt haben sich Teile der Beamten der Siedlungsabteilung der zionistischen Weltorganisation und Mitarbeiter des Wohnbauministeriums, welche sich für die Förderung des Baus nicht bewilligter Aussenposten einsetzten. All dies geschah allem Anschein nach mit dem Segen verschiedener Wohnbauminister. Einige drückten einfach ein Auge zu, andere gewährten Unterstützung, während wieder andere Ministerien ebenfalls die Prozesse beschleunigten und sogar halfen, sei es auf der Beamtenebene oder auf der Ebene der politischen Führung des betreffenden Ministeriums. In der Folge wurde die Exekutive zur Legislative, ohne dass sie dazu ermächtigt worden wäre. Im Widerspruch zu Regierungsbeschlüssen und ohne politisch-öffentliche Verantwortung begann sie, der politischen Ebene ihren Stempel aufzudrücken.»

Konkrete Massnahmen empfohlen

Neben der Eröffnung strafrechtlicher Verfahren gegen die Fehlbaren, die oft den Rang von Generaldirektoren in Ministerien bekleiden oder bekleidet hatten, empfiehlt Talia Sasson konkrete Massnahmen wie:

* Unbewilligte Aussenposten sollen weder ans Strom- noch ans Wassernetz angeschlossen werden. Wo dieser Anschluss bereits stattgefunden hat, soll er rückgängig gemacht werden.
* Die Errichtung einer Siedlung oder ihre Erweiterung bedarf eines Regierungsbeschlusses. Der Verteidigungsminister kann eine Bewilligung nicht mehr, wie bis anhin, ohne Genehmigung der politischen Ebene erteilen.
* Das Wohnbauministerium darf eine Siedlung in den Gebieten erst nach Abklärung der Bodenbesitzverhältnisse planen. Die Errichtung einer Siedlung oder eines Wohnviertels ohne vorherige Absegnung durch die politische Ebene ist dem Ministerium ebenso untersagt wie die nachträgliche Bewilligung eines illegal errichteten Aussenpostens. Das Ministerium darf auf Boden, der nicht Staatsboden ist, weder planen noch Gelder investieren oder bauen.
* Jeder Erwerb von Mobilheimen bedarf der Bewilligung des Premierministers und des Verteidigungsministers. Der Verteidigungsminister veranlasst die Anfertigung monatlicher Luftaufnahmen.

Im Anschluss an die Veröffentlichung des Sasson-Berichts hat Innenminister Ofir Paz-Pines (Arbeitspartei) Rechtsberater Menachem Mazuz aufgefordert, polizeiliche Untersuchungen gegen die im Bericht erwähnten Personen und Kreise im Zusammen mit der Errichtung illegaler Aussenposten und deren Förderung zu eröffnen. Allerdings ist es zurzeit noch alles andere als sicher, dass der Bericht trotz seines skandalösen Inhalts auch wirklich konkrete Massnahmen oder gar ein Umdenken unter den zuständigen Entscheidungsträgern nach sich ziehen wird. Der Journalist Amos Harel («Haaretz») fürchtet, der Bericht werde nicht mehr als «heuchlerisches Augenrollen» auslösen, aber kaum echte Veränderungen. «Kann Sharon», fragt Harel, «der sich gerne vor aufgelegten Landkarten die Nächte in der Gesellschaft seines Freundes Zeev Hever, des ‹Vaters der Aussenposten›, um die Ohren geschlagen hat, wirklich schockiert sein über die Schlussfolgerungen des Berichts?» Mehr als eine «autorisierte Geschichte des Geschehenen» wird der Sasson-Bericht laut Amos Harel kaum werden.

Amerikanischer Druck auf Israel

An ihrer Sitzung vom Sonntag will das Kabinett Sharon den Sasson-Bericht und seine möglichen Auswirkungen besprechen. Die ersten internationalen Reaktionen auf den Inhalt des Berichts dürften der Kabinettsdebatte eine gewisse Dringlichkeit verleihen. So forderte die US-Administration Israel auf, alle in der Westbank seit März 2001 errichteten illegalen Aussenposten zu räumen, da sonst die bilateralen Beziehungen und vielleicht sogar die amerikanische Finanzhilfe an Israel beeinträchtigt werden könnten. Gegenüber Sharon-Berater Dov Weissglas meinte US-Aussenministerin Condoleezza Rice, Präsident Bush erwarte von Jerusalem unverzügliche Handlungen auf Grund der Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Sasson-Berichts. Ins gleiche Horn stiess Javier Solana, Koordinator der EU-Aussenpolitik. Gegenüber dem israelischen Aussenminister Silvan Shalom meinte Solana, die EU betrachte die Evakuierung der Aussenposten als wesentlichen Schritt auf dem Weg zur Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern. Wie Washington erhob auch Solana den Warnfinger, indem er meinte, jede weitere Verzögerung bei der Umsetzung des Versprechens von der Räumung der Aussenposten könnte die Beziehungen zwischen Israel und der Europäischen Union beeinträchtigen.

Wenn Premier Ariel Sharon und Präsident George W. Bush zusammensitzen, kommt nie Langeweile auf. Höchstwahrscheinlich aber wird der Sasson-Bericht für eine Würzung der Unterhaltung sorgen, wenn die beiden Staatsmänner sich vermutlich am 12. April in Washington erneut gegenübersitzen. Bis dahin allerdings muss Sharon sein Problem mit dem Staatshaushalt 2005 gelöst haben. Weil ihm die für dessen Verabschiedung in der Knesset nötige Mehrheit noch immer fehlt, musste er die für kommende Woche geplant gewesene zweite und dritte Lesung des Gesetzes ein weiteres Mal verschieben. Der 31. März ist aber definitiv und unumstösslich der letzte Termin für dieses Vorhaben. Misslingt es, bleiben nur noch der Gang zum Staatspräsidenten und anschliessend Neuwahlen.

Quelle:  tachles Jüdisches Wochenmagazin

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