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Ampel-Koalition uneinig über Afghanistan-Politik - Hilfsorganisationen und SPD fordern mehr deutsche Unterstützung

Archivmeldung vom 27.04.2023

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.04.2023 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Mary Smith
Symbolbild
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Bild: Eigenes Werk /OTT

Die Berliner Regierungskoalition ist nach Recherchen von NDR Info angesichts der humanitären Krise in Afghanistan uneins über die künftige Art und den Umfang von Hilfe für das von Taliban regierte Land. Auch eine Wiedereröffnung der deutschen Botschaft auf Arbeitsebene ist innerhalb der Koalition umstritten. Während die SPD neben Nothilfe auch eine Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe fordert, lehnen FDP, Grüne und das Auswärtige Amt dies derzeit ab. Sie verweisen dabei unter anderem auf das Dekret der Talibanführung, das Frauen die Arbeit für Hilfsorganisationen verbietet. Das ergab eine Abfrage der Bundestagsfraktionen und der beteiligten Ministerien durch NDR Info.

22 deutsche Nichtregierungsorganisationen hatten im Februar in einem Brief an Außenministerin Baerbock appelliert, die humanitäre Arbeit "wieder in vollem Umfang zu ermöglichen - politisch wie finanziell" und dem Versprechen der Bundesregierung, "die Menschen in Afghanistan nicht im Stich zu lassen", nachzukommen. Welthungerhilfe-Geschäftsführer Mathias Mogge sagte dem NDR, die humanitäre Nothilfe gehe zwar weiter, aber mit mehr Geld der internationalen und deutschen Geber auch für Entwicklungshilfe-Projekte könnte man "wesentlich mehr umsetzen".

Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, man habe für 2023 bislang 39 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für Afghanistan zugesagt, 2022 waren es noch 330 Millionen Euro. Das Entwicklungsministerium (BMZ) finanziert derzeit nur Projekte für die Sicherung der menschlichen Grundbedürfnisse, umfassende Entwicklungsprojekte wie vor der Machtübernahme der Taliban liegen auf Eis. Der Umfang des Engagements hängt nach Angaben eines Ministeriumssprechers davon ab, "ob und inwieweit es möglich sein wird, mit Frauen für Frauen in Afghanistan tätig zu sein". Hilfsorganisationen berichten, dass in vielen Regionen Hilfe in Absprache mit den dortigen Verantwortlichen der Taliban auch mit Beteiligung von Frauen möglich sei. "Wir haben nach wie vor den Eindruck, dass wir sicherstellen können, dass die Hilfe bei den Bedürftigsten ankommt", so Mathias Mogge von der Welthungerhilfe, auch bei Frauen und Kindern, "das können wir nach wie vor garantieren".

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gabriela Heinrich sagte NDR Info ausdrücklich auch mit Bezug auf Entwicklungshilfe: "Überall da, wo man mit Organisationen direkt an die Menschen kommen kann, muss man es weiter machen, muss man es weiter probieren, so lange und soweit es eben geht." Dagegen erklärte der entwicklungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Till Mansmann, auf Anfrage: "Unter den aktuellen Voraussetzungen ist Entwicklungszusammenarbeit schlicht nicht möglich und sollte ausgesetzt bleiben - auch um nicht die Politik eines menschenfeindlichen Regimes zu stützen". Die Grünen-Abgeordnete Schahina Gambir befürwortete lediglich humanitäre Hilfe und forderte von den Taliban, das Beschäftigungsverbot für Frauen zurückzunehmen. "Die Taliban benachteiligen so gezielt Frauen als Ziel von humanitärer Hilfe, denn allein durch männliche Mitarbeiter in den NGOs werden sie nicht erreicht. Sie verhindern so die lebensrettende Hilfe für ihre eigene Bevölkerung. Sie nehmen sie in Geiselhaft." Gabriela Heinrich von der SPD sprach von einem Dissens in der Koalition, sei aber optimistisch, dass die Koalition in dieser Frage weiterkommen werde, unter anderem weil andere Länder ihre Aktivitäten in Afghanistan derzeit verstärkten.

Die Welthungerhilfe schlägt die Wiedereröffnung der Deutschen Botschaft in Kabul auf Arbeitsebene vor, um Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit vor Ort zu unterstützen. Das befürwortet auch die SPD-Politikerin Heinrich. FDP und Grüne lehnen es dagegen strikt ab und sähen darin ein falsches Signal an die Taliban-Regierung. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es dazu, angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen gebe es derzeit keine Pläne für eine Wiedereröffnung der Botschaft in Kabul. Klar sei, "dass wir uns mit der internationalen Hilfe nicht zum Handlanger der Taliban machen können, die mit ihrem Vorgehen grundlegenden humanitären Prinzipien widersprechen".

In der Bundestagsopposition gehen die Meinungen stark auseinander. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen sprach sich für umfassende Entwicklungshilfe und die Eröffnung der Botschaft aus. Sie sei dagegen, die Afghanistanhilfe als Druckmittel einsetzen zu wollen. "Es ist eine wohlfeile Illusion, dadurch die reaktionäre Politik der Machthaber ändern zu können. Wir brauchen dringend eine humanitäre Wende der deutschen Afghanistanpolitik." Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt fordert dagegen Zugeständnisse der Taliban. "Wenn wir Entwicklungshilfeprojekte oder auch Hilfsprojekte organisieren, dann gilt natürlich dann immer, dass wir auch auf die Einhaltung von Menschenrechten und von Grundrechten achten. Das ist nicht gewährleistet." Der entwicklungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Markus Frohnmaier sieht "derzeit keine Grundlage für weitere Hilfsleistungen". Afghanistans Probleme könnten nicht von außen gelöst werden, Deutschland solle sich zurückziehen. "Afghanistan ist entwicklungspolitisch ein Fass ohne Boden."

NDR Info berichtet an diesem Donnerstag, 27. April, im Rahmen des Thementages "Afghanistan - Der vergessene Konflikt" in Radio, Fernsehen und Onlineangeboten. Nach aktuellen Beiträgen, Reportagen und Interviews in den Nachrichtenprogrammen beschäftigt sich am Abend ab 20.33 Uhr auch die Redezeit auf NDR Info mit Publikumsbeteiligung mit dem Thema. Online wird der Tag unter ndr.de/afghanistan gebündelt.

Quelle: NDR Norddeutscher Rundfunk (ots)

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