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Rheinische Post: Gestern Wutbürger, heute Guttbürger

Archivmeldung vom 26.02.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 26.02.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Es ist immer das Gleiche: ob für den harten, aber fairen Talkmaster im Ersten, die Anrufsendung im WDR-Radio, die Leserbriefredakteure jeder deutschen Zeitung oder die Meinungsforscher jedes deutschen Senders. Sie alle sehen sich dem Phänomen Dr. a. D. Karl-Theodor zu Guttenberg gegenüber. Was immer an Vorwürfen publiziert wird, der Verteidigungsminister an Fehlverhalten einräumt, er bleibt der Deutschen sympathischster, vertrauenswürdigster Politiker.

Zwar fallen seine Beliebtheitswerte leicht, dafür stoßen aber Rücktrittsforderungen aus Politik und Publizistik bei drei Viertel der Bundesbürger auf Ablehnung oder sogar aggressives Unverständnis. Kein Argument gegen den Minister findet derart Widerhall, dass es die Guttenbergsche Stärke ernsthaft erschütterte: weder sein Lavieren noch die offensichtlichen Plagiate oder der Verlust bürgerlichen Ansehens, auch von Würde, den er erlitten hat. Die Kritik an zu Guttenberg findet den Minister als Ziel, aber sie trifft ihn nicht grundsätzlich. In zu Guttenbergs Fall wird die zunehmende Entfremdung zwischen der politischen Klasse, auch Teilen der mit ihr verwobenen medialen Kaste und einem Gutteil der Bevölkerung offensichtlich. Es beginnt bei der Perspektive, aus der die Plagiatsvorwürfe bewertet werden. Die akademisch geprägten Schichten, aus denen sich Politik und Medien rekrutieren, sehen mit Blick auf ihre eigene Biografie Guttenbergs Taten als "Kapitalverbrechen am System der Wissenschaft" (der Politologe Jürgen Falter). Wer aber mit diesem System nicht vertraut ist oder wie viele Hochschulabsolventen vor allem die berufsvorbereitende Dimension eines Studiums kennengelernt hat, rückt Guttenbergs Vorgehen in den Rang der "Googlelei-Schummelei", des Kavaliersdelikts. In diesen Kreisen wird derzeit gern auf den häufig nur behaupteten, aber nicht belegten Wert wissenschaftlichen Arbeitens an Universitäten verwiesen. Der Doktortitel gilt hier als eine Art Meisterprüfung für Mediziner und ansonsten als reihenweise vergebene Auszeichnung von lediglich schmückendem Wert. Wer so denkt, der ist empfänglich für den zu Guttenbergschen Umgang mit seiner Krise. Zu Guttenberg setzt auf die Strategie, die sein engster Verbündeter im Überlebenskampf, die "Bild"-Zeitung, pardon, so formulierte: "Macht einen guten Mann nicht kaputt. Scheiß auf den Doktor." Seinen Aufstieg in der Politik hat zu Guttenberg der Verkörperung des Antipolitikers zu verdanken: glaubwürdiger, unerschrockener, unabhängiger als der durchschnittliche Politiker eilte er im Rekordtempo in die Spitzenriege. Er befriedigt die Sehnsucht weiter Teile der Bevölkerung nach einem Politiker, der "Klartext" spricht und sich mit "dem Volk" gegen "die da in Berlin" solidarisiert. Der Wutbürger wird zum Guttbürger. Dieses Phänomen ist in Deutschland noch relativ neu und wurde von Horst Köhler in das politische System eingeführt. Danach machte es sich Thilo Sarrazin in der Debatte um seinen Bestseller "Deutschland schafft sich ab" zunutze. Köhler war jedoch anders als zu Guttenberg und Sarrazin kein Berufspolitiker und mit einem schwächeren Nervenkostüm ausgestattet. "Wir stehen das gemeinsam durch", ließen zu Guttenberg und seine Frau etwa diese Woche über ein buntes Blatt verlauten. Gerade so, als sei eine abgeschriebene Doktorarbeit mit einer schweren Krankheit vergleichbar. Die Rolle des aufrechten Außenseiters besetzt seit Köhlers Fahnenflucht und Sarrazins Drift ins Vergessen allein zu Guttenberg. Sie kann ihn nach einer Phase der Rekonvaleszenz noch zu höchsten Weihen führen. In den USA jedenfalls ist sie mittlerweile die einzige Möglichkeit, das Präsidentenamt zu erlangen. Der "Anti-Washingtonian" war das Leitmotiv für Barack Obama wie vor ihm George W. Bush. Auch hier plagiiert zu Guttenberg, jedoch erfolgreich. So ist zu Guttenbergs stärkstes Argument nicht zweifelsfrei vorhandene politische Leistung. Seine Exit-Strategie besteht aus seiner Popularität, in die er wie in Drachenblut eintaucht. Historisch vergleichbar ist das allenfalls mit Joschka Fischer. Dieser überstand 2001 Fotos, die ihn beim Verprügeln eines Polizisten zeigten, mit ähnlicher Chuzpe. Fischer gab ebenfalls den Antipolitiker. Er zelebrierte im Gegensatz zum Aristokraten zu Guttenberg die Rolle als verlorener Sohn, den das Bürgertum wieder in die Arme schließen durfte: ob dick oder dünn, jedenfalls im Dreiteiler. Von Fischer hat man in der Guttenberg-Affäre noch nichts gehört. Er wird wissen, warum.

Quelle: Rheinische Post

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