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DER STANDARD-Kommentar "Die Politik tritt zurück"

Archivmeldung vom 22.11.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.11.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Der Spitzenkandidat landet einen historischen Erdrutschsieg, gewinnt die absolute Mehrheit an Sitzen, hat als kommender Ministerpräsident so viel Macht, wie sie zuletzt vor Jahrzehnten ein Diktator in seinem Land hatte - und dann stellt sich Mariano Rajoy in Madrid vor die Öffentlichkeit, spricht von einer Kooperation mit der schmählich abgewählten Linken und erwägt sogar die Berufung von Experten in sein zukünftiges Kabinett. Wie verzagt muss der Mann sein, dass ihm so etwas einfällt? Offenbar sehr.

Dabei stehen die Spanier nicht einmal alleine da. Sie geben nur das vorerst jüngste Beispiel in einer Serie von Ereignissen ab, die nichts weniger als den Rücktritt der Politik illustriert. Es zeigt sich, wie in vielen anderen europäischen Staaten nun auch in Spanien, wie sehr die Demokratien bereits zerschlissen, wie sehr die herkömmlichen Regierungssysteme in dieser Großkrise schon erodiert sind. Rajoy, den sie wegen seines _knochentrockenen, technokratischen Auftretens den "Notar aus Galicien" nennen, Professor Mario Monti in Italien und der Eurobanker Lucas Papademos in Griechenland sind Regierungschefs neuen Zuschnitts. Sie müssen sich - auch wenn sie, wie Rajoy, eben gewählt wurden - nicht mehr vor dem Volk als Souverän verantworten, sondern vor allem vor den Finanzmärkten. Ihre Aufgabe ist nicht mehr das Gestalten und Verwalten. Dazu sind die politischen Spielräume längst zu eng geworden. Sie müssen sparen, kürzen und vor allem jene Anweisungen befolgen, die - schon wieder Technokraten - in den Bürotürmen in Brüssel ausgegeben werden. Von nationaler Souveränität, die noch so etwas wie einen politischen Manövrierraum ermöglichen könnte, ist schon lange keine Rede mehr. Selbst bei den europäischen Schwergewichten Deutschland, Frankreich oder Großbritannien nicht. Auch deren Regierungen haben in der Zwischenzeit erkennen müssen, dass ihnen in einem globalisierten Finanzsystem längst eine kritische Masse an Einfluss fehlt, um den Lauf der Dinge nach ihren Interessen zu beeinflussen. Ganz zu schweigen von der Bundesregierung in Österreich, die gelegentlich den Anschein erweckt, heilfroh zu sein, dass sie in der gegenwärtigen Krise ohnehin nichts zu melden hat. Hatte man sich früher taxfrei mehr europäische Integration und Brüsseler Expertise wünschen können, um die ärgsten nationalen Seltsamkeiten abzufedern, kann der Sachzwang als Regierungsform heute gefährlich und unkontrollierbar werden. Schon bisher hatten die Europäer in ihrer Union nicht das Gefühl, besonders viel mitbestimmen zu können. Das wird in der neuen Situation nicht besser werden. Und davon dürften vor allem jene Populisten profitieren, die so wenig Verantwortung tragen wollen, wie sie Verständnis für die gegenwärtige Notlage haben. Gegen diese Gefahr hilft nur, dass ernstzunehmende Politiker ihren Beruf auch wieder ernsthaft ausüben und das vielbeschworene Primat der Politik wiederherstellen. Die Techniker mögen ihre Zeit haben, die Politiker müssen um ihre Zukunft - und jene der Demokratie - kämpfen. Verlieren sie diesen Kampf, wird weder von den europäischen Nationalstaaten noch von deren Union viel übrigbleiben. Denn mit dem Diktat des Sachzwangs lässt sich keine Zukunft gestalten. Damit lassen sich bestenfalls Sünden aus lange vergangenen Zeiten abbüßen.

Quelle: Der Standard (ots)

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