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Die Gerichte und die Redefreiheit

Archivmeldung vom 06.03.2023

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.03.2023 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić

Helge Buttkereit schrieb den folgenden Kommentar: " Seit Beginn des offenen Krieges in der Ukraine häufen sich in Deutschland juristische Ermittlungen. Der Vorwurf: Billigung eines Angriffskrieges. Anfang des Jahres hat der Berliner Friedensaktivist Heinrich Bücker einen Strafbefehl wegen einer Rede erhalten. Der Fall kam in der vergangenen Woche sogar im UN-Sicherheitsrat zur Sprache. Bücker wehrt sich gegen die Repressalien. Auch weitere ähnlich gelagerte Verfahren werden derzeit geführt."

Buttkereit  weiter: "Die Rechtssicherheit in Deutschland sei in Gefahr, das psychische Klima aufgehetzt. Diese Situation sei nicht zuletzt verursacht durch eine Rede von Heinrich Bücker, die der Friedensaktivist am 22. Juni vergangenen Jahres gehalten hat. Dabei habe er einem Angriffskrieg zugestimmt. Das soll nun Einfluss auf die Rechtssicherheit und das psychische Klima haben. So zumindest beurteilt es ein Richter am Amtsgericht Tiergarten in Berlin.

Was war geschehen? Bücker war mit anderen Friedensaktivisten zum sowjetischen Ehrenmal gekommen. Dort sollte an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Jahr 1941 erinnert werden. Das Treffen hatte weitreichende Folgen.

Ein Anwalt aus großer Kanzlei wurde auf die Versammlung aufmerksam, hat Heinrich Bücker angezeigt und gleich noch eine Stellungnahme auf Bückers Website moniert. Rede und Stellungnahme erwecken den Eindruck, Bücker rechtfertige den russischen Angriff auf die Ukraine, heißt es in der Anzeige.

Anfang dieses Jahres erhielt Bücker nun einen Strafbefehl über 40 Tagessätze je 50 Euro, also insgesamt 2000 Euro – mit der oben skizzierten Begründung. Dagegen hat der Beschuldigte Widerspruch eingelegt, er wehrt sich gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit. Jetzt wird seine Rede möglicherweise vor Gericht verhandelt. Vergangene Woche war der Fall sogar Thema im UN-Sicherheitsrat. Der ehemalige CIA-Mitarbeiter und heutige Antikriegs-Aktivist Raymond McGovern erwähnte den Fall Bücker, als er bei der Sitzung am 21. Februar auf russische Einladung zu den Recherchen von Seymour Hersh Stellung nahm. McGovern berichtete dabei von Friedensdemonstrationen in Deutschland, in denen „Verhandeln statt Schießen“ gefordert werde. Das komme allerdings nicht sehr gut an, sagte er, wies auf das Strafmandat für Bücker hin und kritisierte den Eingriff in die Meinungsfreiheit. (1)

Aber nicht nur gegen Heinrich Bücker, der seit vielen Jahren das Coop Anti-War Café in Berlin-Mitte betreibt, gehen deutsche Gerichte vor. So fiel kürzlich in Bautzen ein Urteil über die Verwendung des Buchstabens „Z“, der mit dem Ukraine-Krieg und Russland in Verbindung gebracht wird. In Hamburg wird demnächst ein Oberlandesgericht über die Revision in einem ähnlich gelagerten Fall entscheiden. Das Vorgehen der Gerichte wird von einigen Juristen kritisiert.

Verständnis für das russische Vorgehen

Bevor wir uns aber mit diesen anderen Fällen und der juristischen Einschätzung beschäftigen, schauen wir noch einmal genauer auf den Fall von Heinrich Bücker. Er hat mittlerweile einiges an Medienecho nach sich gezogen. Linke deutsche Medien berichteten über das Verfahren und auch in anderen Ländern wurde der Strafbefehl thematisiert. Zuletzt war ein chinesischer Fernsehsender im Berliner Café vor Ort. Eine Übersicht bietet Heinrich Bücker selbst auf der Website des Coop Anti-War Cafés.(2) Dort findet sich auch eine Textversion der Rede sowie ein Link zu einem Video, das die Aktion vor Ort dokumentiert. Bücker wird jetzt ausgerechnet jener Abschnitt vorgeworfen, in dem er an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion und die Millionen Toten erinnerte und dazu aufrief, nie wieder gegen Russland die Waffen zu erheben.

“Wir müssen offen und ehrlich versuchen, die russischen Gründe für die militärische Sonderoperation in der Ukraine zu verstehen und warum die überwiegende Mehrheit der Menschen in Russland ihre Regierung und ihren Präsidenten darin unterstützen. Ich persönlich will und kann die Sichtweise in Russland und die des russischen Präsidenten Wladimir Putin sehr gut nachvollziehen.”

Bücker erinnerte auch an die persönliche Geschichte des russischen Präsidenten, dessen Familie die Blockade Leningrads überlebt hatte, und er sprach davon, dass er gegen Russland keinen Groll hege. Für Amtsrichter Tobias Pollmann war das zu viel. Er formuliert in seinem Strafbefehl gegen Bücker, der unsrer Redaktion vorliegt:

“Ihre Rede hat – wie Sie jedenfalls billigend in Kauf nahmen – angesichts der erheblichen Konsequenzen, die der Krieg auch für Deutschland nach sich zieht, der Drohungen seitens der russischen Staatsführung konkret gegenüber Deutschland als NATO-Mitglied für den Fall der Unterstützung der Ukraine und nicht zuletzt angesichts der Präsenz Hunderttausender Menschen aus der Ukraine, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, das Potential, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern und das psychische Klima in der Bevölkerung aufzuhetzen.”

So ergebe sich ein Vergehen nach Paragraf 140 Absatz 2 des Strafgesetzbuches. Dort heißt es, die „Billigung einer Straftat“ müsse dazu geeignet sein, den „öffentlichen Frieden zu stören“. Eine Friedensrede stört also nach Ansicht des Berliner Amtsrichters den öffentlichen Frieden. Ob das Gericht nach dem Widerspruch gegen den Strafbefehl auf dieser Auslegung beharren wird, bleibt abzuwarten. Denn der Anwalt des Beschuldigten weist grundsätzlich zurück, dass es überhaupt eine Tat gab. Die Rede sei eine „zulässige und straflose Meinungsäußerung über das heutige Verhalten der Bundesrepublik, ihre historische Verantwortung (auch) gegenüber Russland und die Kritik am noch existenten Faschismus“. Dies steht in der Stellungnahme des Anwalts zu den Vorwürfen, die im Dezember verfasst wurde und die unserer Redaktion vorliegt. Darin wird zudem auf den Kontext der Rede verwiesen, die im Ganzen gesehen werden müsse. Es habe dem Redner freigestanden, wozu er sich äußert und wozu nicht. „Denn ebenfalls Teil der Meinungsäußerungsfreiheit ist es, zu entscheiden, zu welchen konkreten Themen sich der Äußernde äußern möchte und zu welchen gerade nicht.“

Bücker bleibt bei seiner Meinung und kritisiert weiter die Zusammenarbeit der deutschen Regierung mit ukrainischen Faschisten. Er will gegen die Umdeutung der Geschichte in Deutschland und der Ukraine weiter vorgehen – notfalls auch vor Gericht. Ihm ist bewusst, dass er nicht der einzige ist, der sich wegen angeblicher Leugnung eines Angriffskrieges vor Gericht verteidigen muss. „Ich glaube, es geht darum, diese Leute abzustrafen und zu dämonisieren“, sagte er vergangene Woche im Interview mit der Wochenzeitung unsere Zeit, der Zeitung der DKP.(4)

Verfahren wegen des Buchstabens „Z“

Bereits einen Schritt weiter als der Fall Heinrich Bücker ist das Verfahren gegen Michaela K. aus Wilthen in Sachsen. In Bautzen fand bereits eine Gerichtsverhandlung statt, bei der die Angeklagte Anfang Februar 2023 zur Zahlung von 50 Tagessätzen à 15 Euro verurteilt worden ist. Sie hatte vor knapp einem Jahr bei einer Demonstration den Buchstaben „Z“ deutlich sichtbar getragen. Nachdem ein Amtsrichter im Sommer ein Strafverfahren zunächst abgelehnt hatte – auch Hintergrund hatte berichtet (5) – kam es nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft nun doch zu einem Verfahren mit einem neuen Richter. Dieser deutete die demonstrative Verwendung des Buchstabens eindeutig: „Mit dem Symbol soll mit den russischen Handlungen sympathisiert werden. Eine andere Bedeutung gibt es aus meiner Sicht nicht.“ Der Angriff Russlands sei ein „Verbrechen der Aggression“, dessen Billigung unter Strafe steht, schreibt die Sächsische Zeitung.(6) Der Anwalt der Angeklagten gab direkt nach Urteilsverkündung bekannt, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen.

Bereits eine Instanz höher wurde kürzlich ein ähnlich gelagerter Fall in Hamburg entschieden. Dort hatte zuvor ein Amtsgericht im Oktober einen 62-Jährigen zu 80 Tagessätzen à 50 Euro verurteilt, also insgesamt 4000 Euro. Er hatte das „Z“ an der Heckscheibe seines Autos platziert. „Darin liegt nach Auffassung des Gerichts über eine Solidarisierung mit Russland hinaus ein Gutheißen des Ukraine-Krieges, bei dem es sich um einen Angriffskrieg im Sinne des Völkerstrafgesetzbuches handelt“, zitierte Legal Times Online einen Gerichtssprecher. (7) Mitte Februar kam es zur Berufungsverhandlung vor dem Landgericht. Dabei wurde der Tagessatz auf 20 Euro herabgesetzt und die weitergehende Berufung verworfen, sagte Dr. Kai Wantzen von der Gerichtspressestelle gegenüber Hintergrund. „Gegen dieses Urteil wurde daraufhin Revision eingelegt, über die ein Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgericht zu entscheiden haben wird.“ Das Oberlandesgericht Hamburg hat in einer anderen Sache kürzlich entschieden, dass bei der Verwendung von Symbolen jeweils der konkrete „Äußerungskontext“ zu beachten sei. Es könne jedoch eine Straftat vorliegen. (8)

Juristische Kritik am Vorgehen von Justiz und Politik

Die genannten sowie viele weitere Versuche, per Gericht gegen vermeintliche Solidarisierungen mit Russland vorzugehen, ist in den Augen des Juristen Ralf Hohmann Beweis für die „Instrumentalisierung von Recht“. Bundesweit werde ein breiter Kanon von Strafvorschriften gezielt gegen Friedensaktivisten eingesetzt, schreibt er. Höhepunkt sei die Einführung von Paragraf 130 Absatz 5 des Strafgesetzbuches, der das „Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen“ unter Strafe stellt (Hintergrund berichtete (9)). Damit sollten all diejenigen, die sich gegen den Krieg äußern, in die gleiche Unrechtskategorie wie die Leugnung des Holocausts einsortiert werden. Hohmann schreibt weiter:

“Wer die aggressive Einkreisungspolitik der NATO gegenüber Russland als kriegsursächlich benennt, wer Zweifel daran hegt, dass die Hungersnot in der Ukraine 1932 geplant von der Sowjetregierung in Gang gesetzt worden sei, gehört zum Kreis der Verdächtigen. In dem vom früheren Bundesrichter Thomas Fischer verfassten Standardkommentar zum Strafgesetzbuch, der seit Jahrzehnten zum Inventar deutscher Amtsrichterstuben gehört, heißt es in der Einleitung zu Paragraf 140: „Der Tatbestand demonstriert, auch in seiner praktischen Handhabung, im Ergebnis wohl eher die Vertrauenskrise des Rechtsstaats als dessen Stärke.“ Das spricht für sich. (10)”

Auch die Rechtsanwältin und Strafverteidigerin Christina Glück sieht im Vorgehen gegen bestimmte Äußerungen eine Schwäche der Gesellschaft. Sie kritisiert wie Hohmann den neu gefassten Paragrafen 130 Absatz 5 und verweist darauf, dass es keine sauberen Kriege gebe. Kriegsverbrechen würden immer verübt und für die Klärung sei der Internationale Strafgerichtshof zuständig. Dort säßen allerdings ausschließlich die Verlierer von Kriegen oder Afrikaner auf der Anklagebank. Glück erinnert an die allgegenwärtige Kriegspropaganda und gibt zu bedenken, dass sich durch die neuen Strafvorschriften jetzt die Gerichte in historische Debatten einmischen müssten:

Ob eine Strafbarkeit vorliegt oder auch nicht, ist damit vom Gutdünken der Strafgerichte abhängig. Dies wird zu willkürlichen Anwendungen und Einschränkungen der Meinungsfreiheit führen. Ob jemand mehrere Jahre ins Gefängnis muss oder nicht, wird reine Glückssache. (11)

Derzeit ist noch kein Verfahren nach dem neuen Paragrafen 130 Absatz 5 bekannt geworden. Die Verfahren rund um die „Billigung von Straftaten“ nach Paragraf 140 und das Beispiel Heinrich Bücker weisen indes in eine bedenkliche Richtung."

Quelle: apolut von Helge Buttkereit

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