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BERLINER MORGENPOST: Unsere Angst nützt den Terroristen

Archivmeldung vom 22.11.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.11.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Freitagabend an der Messe. Ein Meer von Blaulichtern, Feuerwehren, Krankenwagen. Erster Gedanke - Anschlag. Hektische Telefonate, dann Entwarnung: Dreharbeiten. Paketbomben und Terrorwarnungen aktivieren selbst bei gelasseneren Seelen den "availability bias", zu Deutsch etwa: den Verfügbarkeitsfehler. Unser Bild von der Realität wird geprägt von den naheliegendsten Gedanken. Und wenn allenthalben vor Terroristen gewarnt wird, dann gerät jedes Blaulicht, jede herrenlose Plastiktüte zur gefühlten Bombe. Das Grelle nimmt unser Hirn nun mal lieber als das Alltägliche.

Terror ist weniger eine militärische Strategie als vielmehr abgefeimte Kommunikationstechnik, die sich die Lust am Lauten und Gemeinen zunutze macht. Es geht den Attentätern nicht nur darum, viele Menschen zu töten, sondern globale Angst zu verbreiten. Denn der Terror und die vielen Warnungen davor verschieben das Risiko-Ranking in den Köpfen: Zwar ist die Wahrscheinlichkeit unendlich viel höher, mit dem Rad, durch Krebs oder im Haushalt ums Leben zu kommen. Dennoch wächst in Tagen wie diesen die Furcht, überhaupt vor die Tür zu gehen. Seit dem Aufkommen des "homegrown terrorism", dessen Attentäter in den Ländern ihrer Anschläge aufgewachsen sind, gibt es nicht mal mehr äußerliche Indizien: Jeder Mensch mit Tasche ein potenzieller Täter. Ausgerechnet die Sicherheit, das deutsche Lieblingsgefühl, gerät in Gefahr. Die psychologischen Verwüstungen, die durch den Verfügbarkeitsfehler angerichtet werden, gehören zu den kaum sichtbaren, aber deutlich spürbaren Folgen des globalen Terrorismus. Denn Angst verändert erst Denken und dann Handeln. Terror treibt viele kleine giftige Keile in die westlichen Gesellschaften; die gründen auf der Idee von freier Entfaltung für alle. Nun werden Gesetze verschärft, Freiheiten eingeschränkt, Billionen teure, aber nicht zu gewinnende Kriege geführt, die selbst eine Weltmacht auszehren, und Sicherheitsmaßnahmen bis ins Absurde perfektioniert. Sollen wir wirklich jedes einzelne Weihnachtspäckchen kontrollieren? Auch die gigantische Wutlawine, die durch das Sarrazin-Buch ins Rollen kam, mag mit diffuser Angst zu tun haben. Wenn kein greifbarer Gegner da ist, sucht sich das Entlastungsbedürfnis eben andere, naheliegende - da wirkt der "availability bias". Ohne "9/11" und die daraus erwachsenen kulturellen Ängste hätte der frühere Finanzsenator wohl kaum eine Million Exemplare abgesetzt. Natürlich wäre es naiv, die Terrorgefahr zu ignorieren. Mindestens so zerstörerisch wäre es aber, den Tätern auf den Leim zu gehen und die Keile immer weiter in ein Gemeinwesen treiben zu lassen, das lange gebraucht hat, sich zu entwickeln, zugleich aber fragil genug ist, um ins Wanken zu geraten. Terror ist nicht nur ein Stresstest für Polizei und Dienste, sondern auch für unsere demokratische und liberale Haltung. Die Bin Ladens dieser Welt wollen nicht uns töten, sondern unsere Gesellschaft. Unsere Angst beflügelt ihr schmutziges Geschäft. So leicht sollte es eine wehrhafte Gesellschaft den Irren nicht machen.

Quelle: BERLINER MORGENPOST

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