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Wisente und Borkenkäfer im Urwald von Białowieża

Archivmeldung vom 05.09.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.09.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Wisentbulle in Białowieża
Wisentbulle in Białowieża

Foto: Henryk Kotowski
Lizenz: GFDL
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Vordergründig geht es um den Borkenkäfer, doch der eigentliche Konflikt geht tiefer: Passend zum aktuellen Streit um die Baumfällungen im polnischen Teil des Urwalds von Białowieża hat der Osteuropa-Historiker Prof. Dr. Thomas Bohn der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) das DFG-Forschungsprojekt „Der Białowieża-Nationalpark. Mensch, Tier und Umwelt in der polnisch-weißrussischen Grenzregion“ abgeschlossen. In dem Buch „Wisent-Wildnis und Welterbe. Geschichte des polnisch-weißrussischen Nationalparks von Białowieża“ beschreiben Bohn und seine Co-Autoren die wechselvolle Geschichte des Waldes, der als letzte Zufluchtsstätte des Wisents gilt, von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart.

Das Buch erscheint zu einem Zeitpunkt, da der Wald immer wieder in die Schlagzeilen gerät: In einer einstweiligen Anordnung hat der Europäische Gerichtshof der polnischen Regierung Baumfällungen in dem Urwald bis auf weiteres untersagt. Dieser Anordnung ist die polnische Regierung trotz massiver Proteste von Umweltschützern bislang nicht nachgekommen und verweist darauf, dass sie mit den Eingriffen in den Baumbestand des als UNESCO-Weltnaturerbe ausgezeichneten Waldes lediglich den Borkenkäfer bekämpft.

Um die aktuellen Konflikte einordnen zu können, hilft ein Blick in die Vergangenheit. Insbesondere das 20. Jahrhundert mit seinen zahlreichen machtpolitischen Wandlungen macht deutlich, wie unter den verschiedenen Regierungen mit der Natur als Ressource und Reservat umgegangen wurde. Internationale Bedeutung erlangte der letzte Flachland-Urwald Europas zunächst als Jagdgebiet für polnische Könige und russische Zaren, dann als polnischer und belarussischer Nationalpark und schließlich als UNESCO-Welterbe.

Seit dem 18. Jahrhundert galt der Wald von Białowieża als Refugium des Wisents, des größten Landsäugetiers Europas. Im Ersten Weltkrieg wurde die Art nahezu ausgerottet, in der Zwischenkriegszeit wieder rückgezüchtet und nach dem Zweiten Weltkrieg erneut ausgewildert. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Wald, der sich über ein Gebiet von 1500 Quadratkilometern erstreckt, zwischen Polen und Weißrussland geteilt.

Thomas Bohn, Aliaksandr Dalhouski und Markus Krzoska zeigen in ihrer Monographie, wie dem Wald im Jahre 2009 eine über 600-jährige Traditionslinie staatlichen Naturschutzes auferlegt wurde. Das Buch setzt sich mit konkurrierenden Konzepten zu dem 1932 in der Zweiten Polnischen Republik gegründeten und 1991 durch die Republik Belarus erweiterten Nationalparks auseinander.

Während des Ersten und des Zweiten Weltkrieges hatten sowohl die letzte Wisentpopulation als auch der jahrhundertealte Baumbestand noch die Wildnis- und Kolonialismus-Phantasien der deutschen Besatzer beflügelt. Im sowjetischen Teil hatte ein exklusiver Staatsforst der politischen Elite seit 1957 als Jagdgebiet gedient. Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hielten schließlich internationale Biodiversitätsprogramme und Nachhaltigkeitskonzepte Einzug. Über die Schiene des Tourismus sollten sie auch der Regionalentwicklung förderlich sein.

„Rund um den Urwald Białowieża ist mittlerweile eine bizarre Situation entstanden“, erklärt Prof. Bohn. „Die Diktatur Weißrussland, die ihren Teil des Waldes komplett unter Schutz gestellt hat, tritt in Sachen Naturschutz als Musterschüler auf, während Polen – als einer der ersten Repräsentanten der EU-Osterweiterung – in der Pose kolonialistischer Eroberer Raubbau an der Natur betreibt.“

Im Unterschied zur historischen Perspektive kommt aus heutiger Sicht nicht mehr dem Wisent, sondern dem Borkenkäfer der Status eines Königs des Urwalds zu. Der aktuelle Konflikt im polnischen Teil des Waldes gleicht den Verhältnissen der Jahre 2002 bis 2004 im weißrussischen Teil. In periodischen Abständen argumentiert die Lobby der Forstwirtschaft, so genannte „Sanitärhiebe“ seien ein Heilmittel gegen den Borkenkäfer. Tatsächlich ist der immer wieder epidemisch auftretende Befall auf Entwässerungsmaßnahmen der späten Zarenzeit und der 1960er Jahre zurückzuführen. Das Absinken des Grundwasserspiegels und die Versandung der Böden führte in vielen Arealen zum Siegeszug der Fichte, die für Borkenkäferbefall anfälliger ist.

Quelle: Justus-Liebig-Universität Gießen (idw)

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