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Max-Planck-Forscher gewinnen Einblicke in die Evolution des Auges

Archivmeldung vom 04.06.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.06.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Borstenwurm Platynereis dumerilii
Quelle: Nadine Randel / Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie (idw)
Borstenwurm Platynereis dumerilii Quelle: Nadine Randel / Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie (idw)

Die Larven des marinen Borstenwurms Platynereis dumerilii orientieren sich am Licht. In ihren ersten Lebenstagen schwimmen sie ins Helle, um sich mit oberflächennahen Meeresströmungen zu verbreiten. Später wenden sie sich vom Licht ab und schwimmen zum Meeresgrund. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie haben jetzt herausgefunden, dass für diesen Orientierungswechsel zwei unterschiedliche Sehsysteme verantwortlich sind. Sie erstellten erstmals eine neuronale Karte, anhand der sich ein vollständiges visuelles System nachvollziehen lässt – vom Reizeingang bis zur Verhaltensreaktion. Damit können die Forscher der Evolution der Sehsysteme regelrecht ins Auge blicken.

Grafisches Modell eines Platynereis dumerilii
Quelle: Nadine Randel / Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie (idw)
Grafisches Modell eines Platynereis dumerilii Quelle: Nadine Randel / Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie (idw)

Fototaxis, die lichtabhängige Bewegung, ist bei den Larven wirbelloser Meerestiere weit verbreitet. Viele wechseln dabei im Laufe ihrer Entwicklung die Orientierung: Aus der positiven, also zum Hellen gerichteten Fototaxis wird eine negative, vom Licht abgewandte Fototaxis. Wie die marinen Winzlinge dies bewerkstelligen ist noch nicht im Detail verstanden. Doch zumindest für die Larven von Platyneris dumerilii kann Gáspár Jékely, Leiter der Forschungsgruppe „Neurobiologie des marinen Zooplanktons“, nun mit Sicherheit sagen: „Das Richtungsschwimmen ändert sich mit dem Augentyp. Wenn die Larven nach wenigen Tagen ihre ersten, sehr einfachen Augen nicht mehr nutzen, sondern auf eine weiter entwickelte Version zugreifen können, ändern sie auch ihr Verhalten. Statt ausschließlich zum Licht zu schwimmen, bewegen sie sich jetzt auch davon weg.“

In den ersten beiden Lebenstagen besitzt der Borstenwurm-Nachwuchs die einfachsten Augen der Welt: Auf beiden Seiten der Kopfregion sitzt jeweils eine einzelne Lichtsinneszelle, die von einer Pigmentzelle abgeschirmt wird. Wie Jékely bereits 2008 gemeinsam mit seinen Kollegen vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg herausgefunden hat, ist diese Lichtsinneszelle direkt mit dem Antriebsmotor der Larven verbunden, einem Wimpernkranz, der wie ein Kragen unterhalb der Kopfregion sitzt. Fällt Licht auf die Sinneszellen, beginnen sich die Larven spiralförmig vorwärts zu schrauben – immer in Richtung des Reizes.

Diese primitiven Augenflecken haben jedoch bereits nach drei Tagen ausgedient und werden nicht mehr benutzt. Dafür entstehen weiter oben am Kopf zwei neue, fortschrittlichere Augenpaare – die Vorläufer der Sehorgane erwachsener Borstenwürmer. Sie besitzen mehrere Lichtsinneszellen, einen Pigmentbecher und sogar eine einfache Linse. Außerdem entwickelt sich ein einfaches neuronales Netzwerk, das den Lichtreiz verarbeitet und weiterleitet.

Die Wissenschaftler in Jékelys Team haben dieses Neuronengeflecht mit Hilfe des Elektronenmikroskops genauer unter die Lupe genommen. So konnten sie eine Karte des visuellen Netzwerks einer drei Tage alten Larve erstellen. Sie identifizierten 71 Neurone, die über mehr als 1000 Nervenzellverbindungen, so genannte Synapsen, miteinander verknüpft sind. Dabei zeigte sich, dass das Lichtsignal zwar weiterhin an den Wimpernkranz weitergeleitet wird, jedoch kommt es zusätzlich auch an der Rumpfmuskulatur der Larve an. Außerdem sind die Augen der beiden Körperhälften miteinander vernetzt.

„Durch Verhaltensexperimente haben wir nachgewiesen, dass der Lichtreiz die Rumpfmuskulatur aktiviert und sich die Larven dadurch vom Licht abwenden“, sagt Nadine Randel, Erstautorin der Studie die im Fachmagazin “eLife” veröffentlicht wurde. Dazu beleuchteten die Forscher ein durchsichtiges Gefäß mit drei Tage alten Larven. In der Folge krümmten sich die Tiere, so dass sie um die Kurve schwammen – weg vom Licht. Blockierten die Forscher die Nervenbahnen zwischen Lichtsinneszellen und Muskeln biochemisch, schwammen die Larven normal weiter, jedoch völlig unbeeindruckt von der Lichtquelle.

Die Nervenzellverbindungen zwischen den Augen beider Körperhälften ermöglichen das räumliche Sehen. Außerdem haben die Max-Planck-Forscher Neurone identifiziert, die die jeweils gegenüberliegenden Sehorgane hemmen. „Das verstärkt den Kontrast zwischen hell und dunkel und verbessert so die Orientierung und das gezieltere Schwimmen vom Licht weg“, erklärt Randel.

Den Tübinger Entwicklungsbiologen ist es mit dieser Arbeit erstmals gelungen, ein einfaches visuelles Netzwerk vom Reizeingang bis zur Verhaltensreaktion vollständig zu beschreiben. Darüber hinaus haben sie auch einen tieferen Einblick in die Evolutionsgeschichte des Auges gewonnen. Das simple Sehsystem der frühen Borstenwurmlarven, bestehend aus gerade mal zwei Zellen, entspricht Charles Darwins Vorstellung vom Ur-Auge, dem Prototyp, aus dem alle heute existierenden Sehorgane entstanden sind. Das doppelte Augenpaar der drei Tage alten Larven verkörpert bereits eine Weiterentwicklung dieses Prinzips. „Es ist als ob wir in einem einzigen Tier gleich mehrere Etappen der Augenevolution beobachten können“, sagt Jékely. „Wir gehen davon aus, dass frühe Lichtsinnesorgane immer der Fototaxis dienten – erst später entwickelten sich Augen, mit denen sich Objekte erkennen ließen.“ Vermutlich konnten die ersten einfachen Augen in der Evolutionsgeschichte lediglich zwischen hell und dunkel unterscheiden. Aber sie gaben den Anstoß für die Entwicklung komplizierter Sehsysteme, zum Beispiel des menschlichen Auges.

Quelle: Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie (idw)

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