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Vielen Deutschen mangelt es an Zeit

Archivmeldung vom 06.08.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.08.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Bild: Maren Beßler / pixelio.de
Bild: Maren Beßler / pixelio.de

Vielen Menschen in Deutschland fehlt es an Zeit. Das zeigt eine Studie der Leuphana Universität Lüneburg, die in Kürze in der Fachzeitschrift „Journal of Economic Inequality“ erscheint. Die Forscher zeigen darin, dass zu wenig Zeit die Lebenszufriedenheit ähnlich beeinträchtigt wie zu wenig Geld. Sie schlagen daher einen neuen Armutsbegriff vor, der auch den Mangel an Freizeit berücksichtigt. Nach dieser Definition liegt in Deutschland jeder achte Erwerbstätige unter der Armutsgrenze. Bei Alleinerziehenden ist jeder Fünfte betroffen, bei Selbstständigen sogar jeder Dritte.

Die Wissenschaftler haben für ihre Studie unter anderem Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) ausgewertet. Seit 1984 werden darin über 20.000 Menschen aus ganz Deutschland zu verschiedenen Themen befragt. Die Stichprobe ist nach dem Zufallsprinzip zusammengesetzt. Sie liefert daher ein repräsentatives Bild der Lebensumstände in Deutschland.

Die Teilnehmer machen unter anderem Angaben zu ihrem Einkommen sowie zu der Zeit, die sie täglich mit bestimmten Aufgaben verbringen. Außerdem geben sie zu Protokoll, wie sehr sie mit ihrem Leben zufrieden sind. Die Lüneburger Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. Joachim Merz und Tim Rathjen haben diese drei Parameter nun zueinander in Beziehung gesetzt. „Zu wenig Zeit zu haben, beeinträchtigt die Lebenszufriedenheit ganz ähnlich, wie zu wenig Geld zu haben“, fasst Merz einen Kernbefund der Analyse zusammen.

Zeitmangel lässt sich durch Geld zum Teil kompensieren

Ein zweites wichtiges Ergebnis: Zeitmangel lässt sich zumindest teilweise durch ein höheres Einkommen kompensieren – und umgekehrt. Wer viel verdient und nur wenig Freizeit hat, ist also im Schnitt ähnlich zufrieden wie jemand mit einem geringen Einkommen, aber viel Freizeit.

Merz und Rathjen haben aus diesen Zusammenhängen ein neues Armutsmodell entwickelt. Momentan zählt nach einer gängigen EU-Definition als arm, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in seinem Land verdient. „Wir haben in den SOEP-Daten nur diejenigen Befragten berücksichtigt, die mehr als 20 Stunden pro Woche arbeiten“, erläutert Merz. „Von diesen lagen zum Erhebungszeitpunkt rund 6,8 Prozent unter dieser Einkommensgrenze. Diese 6,8 Prozent sind die so genannten 'working poor': Sie sind im klassischen Sinne arm, obwohl sie mehr als 5 Stunden täglich arbeiten.“

Die neue Definition bezieht nun aber erstmals auch mit ein, wie viel persönliche Freizeit den Befragten zur Verfügung steht. „Dadurch rutschen einige Personen trotz ihres geringen Einkommens aus der Armutszone“, erklärt der Ökonom. „Andererseits kommen aber Menschen hinzu, die zwar genug verdienen, denen aber durch Arbeit, Kindererziehung und andere Verpflichtungen so wenig Freizeit bleibt, dass sie nach unserer Definition dennoch als arm zu bezeichnen sind.“ Merz spricht von einer multidimensionalen Armutsdefinition (mit den Dimensionen Einkommen und Zeit). Nach ihr gelten 12,3 Prozent der Deutschen als arm – also fast doppelt so viele wie nach der Einkommens-fixierten Sichtweise.

Gefährdet: Alleinerziehende, Selbstständige, Kinderreiche

Um diese Zahl zu erhärten, nutzten die Forscher zusätzlich eine Umfrage aus den Jahren 2001/2002, die Zeitbudget-Erhebung des Statistischen Bundesamtes. Rund 35.000 Personen haben darin mittels detaillierter Zeittagebücher ihren Tagesablauf im Zehn-Minuten-Rhythmus erfasst.

„Mit Hilfe dieser Daten können wir sehr genau sagen, welche Personengruppen besonders häufig multidimensional arm sind“, sagt Merz. Alleinerziehende etwa haben oft ein vergleichsweise geringes Einkommen. Gleichzeitig sind sie jedoch durch Arbeit und Erziehungsaufgaben so in Anspruch genommen, dass sie nach der neuen Definition überproportional häufig unter die Armutsgrenze sinken. Mehr als 19 Prozent waren 2001/2002 betroffen. Kinderreiche Familien sind ebenfalls gefährdet; Paare mit drei oder mehr Kindern fielen zu 31,6 Prozent unter die neue Armuts-Definition.

Unter Selbstständigen lag die Quote mit 29,4 Prozent ähnlich hoch. Das liegt vor allem an ihren langen Arbeitszeiten: „Fast zwei Drittel der erfassten Selbstständigen sind 'zeit-arm'“, erläutert Merz. „Ihnen steht weniger als 60 Prozent der Freizeit zur Verfügung, die die Befragten im Mittel angaben.“

Und noch ein Schluss lässt sich aus den Daten ziehen: Vor multidimensionaler Armut schützt (ähnlich wie vor Einkommens-Armut) am besten eine gute Ausbildung. Bei den Befragten mit Hochschulabschluss lag die multidimensionale Armuts-Quote nur bei 9,4 Prozent.

Quelle: Leuphana Universität Lüneburg (idw)

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