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Interview mit dem Althistoriker Prof. Dr. David Engels über die Zukunft Europas

Archivmeldung vom 27.03.2021

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.03.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
David Engels (2021) Bild: UM / Eigenes Werk
David Engels (2021) Bild: UM / Eigenes Werk

Prof. Dr. David Engels ist ein leidenschaftlicher Europäer. Gegenüber der Budapester Zeitung unternimmt er eine rücksichtslose Bestandsaufnahme der west- und mitteleuropäischen Verhältnisse und entwirft mögliche Strategien für den Erhalt unserer gewachsenen europäischen Kultur. Prof. Dr. Engels wurde von Cyril Moog interviewt, worüber das Magazin "Unser Mitteleuropa" berichtet.

Weiter berichtet das Magazin: "PROF. DR. DAVID ENGELS ist Inhaber des Lehrstuhls für römische Geschichte in Brüssel (ULB) und arbeitet gegenwärtig am Instytut Zachodni in Poznań/Posen. Bekannt wurde er durch sein Buch »Auf dem Weg ins Imperium«, in dem er die Krise der EU mit dem Untergang der römischen Republik im 1. Jahrhundert v. Chr. verglich, sowie durch seine Versuche einer Aktualisierung der Geschichtsphilosophie Oswald Spenglers.

Moog: Wie steht die EU zur europäischen Geschichte? Wie steht sie zum Christentum ?

Engels: Viele der Gründungsväter der Europäischen Gemeinschaften waren überzeugte Christen. Wenn sie es auch leider unterließen, ihre Werte in den damaligen Vertragstexten explizit zu verankern, so nur, weil sie diese für selbstverständlich hielten. Ein schwerer Fehler, denn die Ablehnung eines expliziten Verweises auf das christliche (ebenso wie das griechisch-römische) Erbe, wie er später im gescheiterten Entwurf für eine europäische Verfassung vorgesehen worden war, offenbarte das ganze Ausmaß der in der Zwischenzeit eingetretenen Entchristlichung der europäischen Eliten. Im Vertrag von Lissabon finden wir daher nur ganz allgemeine universelle Werte vermerkt: Die hier festgelegten Grundsätze könnten auch Staatengemeinschaften in Zentralasien oder Westafrika ordnen, ohne dass man eine Silbe ändern müsste.

Moog: Warum entkoppelt sich die EU so sehr von der europäischen Geschichte?

Engels: Der Linken sind traditionelle Werte seit jeher suspekt, da sie die Basis von Solidargemeinschaften (Familien, Dörfer, Regionen, Nationen, Religionen, etc.) bilden, die ihren sozialkonstruktivistischen Plänen im Wege stehen. Die Rechte hingegen ist bis heute traumatisiert durch die Instrumentalisierung des Traditionalismus durch die autoritären Bewegungen der 1930er Jahre und steht kaum noch zu den eigenen Werten. Dies erklärt, wieso ein abendländischer Patriotismus keine echte Lobby mehr innerhalb der gegenwärtigen EU hat und die Rechte teilweise sogar selbst an der schrittweisen Aushebelung und Diskreditierung der eigenen Geschichte arbeitet.

Moog: In Ihrem Buch „Auf dem Weg ins Imperium“ stellen sie strukturelle Analogien zwischen dem Ende der Römischen Republik und der heutigen EU her. Was heißt das konkret? Welche Ansatzpunkte sehen Sie schon jetzt ?

Engels: Massenimmigration, Familienzerfall, demographischer Niedergang, soziale Polarisierung, Schwund traditioneller Religionen, Massenarbeitslosigkeit, Globalisierung, Technokratie, asymmetrische Kriege, Fundamentalismus, Populismus, Parallelgesellschaften, Werteverlust, kultureller Selbsthass, institutionelle Paralyse, Terrorismus und eine Kultur von Brot und Spielen – all dies prägte auch bereits die letzten Jahrzehnte der ausgehenden römischen Republik und führte unweigerlich in ein Zeitalter der Krise und von Bürgerunruhen. Das steht auch uns bevor, fürchte ich.

Moog: Was erwartet uns? Welche Entwicklung halten Sie für wahrscheinlich?

Engels: Westeuropa wird in eine immer tiefere Krise rutschen, wie wir sie heute schon in Frankreich vorgebildet sehen. Staatsversagen in den großen Vorstädten, Schuldenkrise, wirtschaftlicher Niedergang, Massenproteste, Gewalt und Kriminalität, islamistische Attentate, Verfall der „Provinz“ – all dies ist nur der Anfang einer tiefen Systemkrise, welche mehrere Jahrzehnte andauern und auch die EU an den Rand des Abgrunds bringen wird. Ein Ausweg wird sich erst finden, wenn eine der neuen politisch-sozialen Kräfte, die gerade erst im Entstehen begriffen und eher charismatisch als ideologisch organisiert sind, die Oberhand gewinnt und die Menschen sich ihr aus lauter Verzweiflung unterwerfen, um endlich wieder Ruhe und Ordnung zu erleben – wie das augusteische Prinzipat. In Osteuropa hingegen könnte die Entwicklung durchaus anders verlaufen, da ich hier erheblich stabilere und solidarischere Gesellschaften sehe. Vielleicht könnten von hier aus sogar Impulse zur Stabilisierung und Rückbesinnung auf die abendländischen Werte in Richtung Westen ausgehen.

Moog: Kann man nach dem Ende des Kalten Krieges wieder von Mitteleuropa sprechen?

Engels: Wenn wir Russland, Weißrussland und die Ukraine als den Osten Europas betrachten (wobei die Frage ja durchaus offen ist, inwieweit etwa Russland überhaupt zur europäischen Kultur im engen Sinne gehört bzw. gehören will), muss man alles, was zwischen dieser Region und etwa dem französischen Westen liegt, geographisch und kulturhistorisch durchaus als Mitteleuropa verstehen. Problematisch ist allerdings die Rolle Deutschlands: Zumindest sein Osten gehört kulturell deutlich zu Mitteleuropa, allerdings sehen wir gegenwärtig eine radikale Abwendung von den eigenen Werten und Traditionen und eine weitverbreitete Zuwendung zu den angeblich typisch „westlichen“ Werten politischer Korrektheit, sodass wir eine gewissermaßen patriotische Bejahung mitteleuropäischer Kultur mittlerweile eher in den V4-Staaten als in Deutschland finden.

Moog: Welche wesentlichen Unterschiede zwischen Mittel- und Westeuropa können Sie noch ausmachen? Gibt es in Mitteleuropa eine andere Denkweise?

Engels: Hier müssen wir zwei Aspekte trennen. Wenn wir auf die historischen Traditionen schauen, bestehen natürlich starke kulturelle Unterschiede zwischen der romanisch-atlantischen Identität, wie wir sie vor allem in Frankreich finden, und der eher kontinentalen, germanisch-westslawischen Identität auf der anderen Seite. Gerade diese Unterschiede, denen man auch die besonderen Kulturgemeinschaften Süd‑, Südost‑, Nord- und Nordwesteuropas hinzufügen kann, machen ja den besonderen Reichtum und die Schönheit unserer Kultur aus. Wenn wir allerdings auf die gegenwärtige Situation schauen, stellen wir fest, dass breite Teile des Westens von Europa sich ganz der Doktrin der politischen Korrektheit verschrieben haben, welche dabei ist, die jeweiligen heimischen Traditionen zu verdrängen und zu zerstören. Hier sind es vor allem die Visegrád-Staaten, die mit ihrem Widerstand nicht nur die spezifisch „mitteleuropäischen“ Traditionen verteidigen, sondern gleichzeitig die echten abendländischen Werte an sich.

Moog: Welche Impulse könnte Mitteleuropa beisteuern? Welchen Beitrag könnte Mitteleuropa zur Krisenbewältigung der Gesamt-EU leisten?

Engels: Ich sehe mittlerweile in Mitteleuropa eine der letzten Bastionen der alten abendländischen Identität, wie sie im Westen fast nur noch in der Provinz oder im konservativen „Untergrund“ gelebt werden kann. Obwohl ich als Belgier meinem Gefühl nach ein typisch atlantischer Mensch bin, fühle ich mich mittlerweile in meiner neuen Heimat, Polen, trotz aller Fremdheit eher in „Europa“, als wenn ich mich in meinem Heimatland befinde. Die Visegrád-Staaten werden schon von vielen anderen Menschen im Westen als eine Art Garant des Überlebens europäischer Traditionen gesehen und geschätzt. Wichtig ist nur, dass sie diese Aufgabe auch selbst als solche wahrnehmen und dementsprechend handeln. Gerade die ungarische und die polnische Regierung tun bereits viel, um innerhalb der EU als Stimme der Tradition aufzutreten und als einzige den Stolz auf unsere abendländische, in der griechisch-römischen und jüdisch-christlichen Vergangenheit wurzelnde Identität hochzuhalten. Das ist ein unglaublich wichtiger Ansatz – aber er müsste noch massiv ausgebaut und vor allem offensiv nach Westen getragen werden, wie ich versucht habe, in meinem Buch „Renovatio Europae“ zu skizzieren. Nur wenn der Osten sich explizit an die Menschen im Westen wendet und ihnen neue Hoffnung gibt, kann noch Anlass zur Hoffnung für den Kontinent bestehen.

Moog: Sollte Westeuropa wirklich untergehen, wäre es in Analogie zu WestromOstrom denkbar, dass die europäische Identität in Mitteleuropa fortbesteht? Könnte die Fackel der europäischen Zivilisation in Richtung Osten wandern?

Engels: So sehe ich die Lage mittlerweile leider auch. Gerade Frankreich und Deutschland sind gegenwärtig zu einem solchen Grad ihrer eigenen Identität entfremdet und durch eine beispiellose Masseneinwanderung auch kulturell bereits so sehr zersplittert, dass sie wohl nie mehr in Gänze zum eigentlichen, echten Abendland gehören werden. Freilich enthebt das die dortigen Konservativen nicht der Verpflichtung, alles dafür zu tun, um einen Rahmen zu schaffen, der eine Integration und langfristig hoffentlich auch Assimilation der neuen Bürger aus anderen Kulturkreisen ermöglicht, um zumindest einen völligen inneren Zerfall zu verhindern.

Moog: Wie können die mittelosteuropäischen Länder verhindern, von Westeuropa mit heruntergezogen zu werden? In wieweit kann sich die Region vom Westen abkoppeln?

Engels: Das ist eine überaus schwere Frage. Zwar zeigen die Wirtschaftsindikatoren gerade inmitten der Coronavirus-Zeit, wie stark und resistent Mitteleuropa bereits geworden ist. Auch die kulturelle Homogenität der dortigen Gesellschaft wird soziale Zerfallserscheinungen, wie wir sie im Westen verstärkt sehen werden, unmöglich machen, sodass sich der Osten wohl zunehmend stabiler erweisen wird als der Westen. Trotzdem bestehen mehrere Probleme. Zum einen die allzu einseitige Ausrichtung auf die deutsche Wirtschaft: Hier sollte unbedingt diversifiziert und entflochten werden. Zum anderen die verhältnismäßige demographische und auch strategische Schwäche: Die Visegrád-Staaten haben nur dann eine Möglichkeit, sich dauerhaft als Mittelmacht zu etablieren und der Achse Berlin-Paris zu widerstehen, wenn sie das gesamte Trimariums-Gebiet in ihren Bund einschließen.

Was China betrifft, so darf kein echter abendländischer Patriot übersehen, was uns hier bei allem Respekt für die legitimen Interessen dieses Staates an Konkurrenz, ja vielleicht sogar Bedrohung erwartet. Freilich könnte es für die Visegrád-Staaten interessant sein, allzu große Abhängigkeiten vom Westen mit guten Beziehungen nach China auszugleichen, wie wir auch das Potential von Indien, Brasilien und den afrikanischen Staaten nicht unterschätzen dürfen: Politik besteht immer darin, Optionen freizuhalten und einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden. Doch wenn es hart auf hart geht, müssen die Interessen des Abendlands (wobei ich natürlich nicht die EU meine; ganz im Gegenteil) in seiner Gesamtheit vorgehen.

Moog: Was tun? Sie sprechen bei patriotischen Europäern häufig von den „letzten Abendländern“. Was würden Sie diesen raten, wenn sie sich auch persönlich für den Fortbestand und die Weiterentwicklung des Abendlandes einsetzen wollen?

Engels: Diese Frage stelle ich mir persönlich auch, und zwar jeden Tag, denn wir können nur dann wirklich für das Abendland kämpfen, wenn wir persönlich für seine Werte eintreten – nicht nur auf dem Papier oder in der Wahlkabine, sondern in der Familie, im Freundeskreis, im Beruf, mit den Mitmenschen. Wie eine solche Haltung beschaffen sein könnte, habe ich in meinem Buch „Was tun – Leben mit dem Niedergang Europas“ beschrieben. Zentral scheint mir die Botschaft, die Hoffnung auf einen raschen Wandel, auf eine Unterstützung seitens des Staats oder der Mehrheitsgesellschaft und schließlich auf eine Restitution des Status Quo aufzugeben. Zumindest in Westeuropa sind konservative Menschen ganz auf sich allein gestellt und müssen daher lernen, sich als eine Parallelgesellschaft zu verstehen – und zwar eine ziemlich unbeliebte. Sie müssen diese schwere Lage akzeptieren lernen und sich so verhalten, wie die zahlreichen anderen Parallelgesellschaften aus Afrika oder dem muslimischen Raum: Ihre Identität um jeden Preis stärken, solidarische Gruppen schaffen, möglichst unabhängig vom Staat werden, Werbung für ihre Sache machen, sich demographisch und geographisch ausdehnen, die Liebe zu ihrem Erbe und ihren Werten weitergeben und vor allem ihre eigene Sache kompromisslos verteidigen."

Quelle: Unser Mitteleuropa

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