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Trotz Vertreibung von Ureinwohnern: Weltbank und Bundesregierung bewilligen Großprojekt in Tansania

Archivmeldung vom 20.06.2016

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 20.06.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Hauptverwaltung der Weltbank in Washington.
Hauptverwaltung der Weltbank in Washington.

Foto: Dodo
Lizenz: CC-BY-2.0
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Die Weltbank setzt mit Unterstützung der Bundesregierung ihre eigenen Vorgaben zum Schutz von Ureinwohnern in Tansania außer Kraft. Trotz Kritik von Menschenrechtlern und US-Regierung bewilligte das Direktorium der weltgrößten Entwicklungsorganisation im März einen Millionenkredit für ein riesiges Landwirtschaftsprojekt. Während die USA sich enthielten, stimmte Deutschland dafür, die Weltbankstandards für indigene Bevölkerungsgruppen in diesem Fall auszusetzen.

Das berichten NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung in Zusammenarbeit mit dem Journalistennetzwerk ICIJ (International Consortium of Investigative Journalists). Menschenrechtler und Experten hatten zuvor kritisiert, tausende Hirten aus der Urbevölkerung seien im Süden Tansanias vertrieben und attackiert worden, um Platz für die großflächige Bewirtschaftung des Landes in Zusammenarbeit mit Weltkonzernen wie Nestlé und Bayer zu schaffen. Nichtregierungsorganisationen und US-Regierung warnen, die Weltbank schaffe mit der Aussetzung ihrer eigenen Regeln einen Präzedenzfall. Nach Meinung des Linken-Bundestagsabgeordneten Niema Movassat zeigt sich darin, dass Deutschland als viertgrößter Anteilseigner der Weltbank trotz gegenteiliger Versprechungen nicht zum Schutz von Indigenen beitrage.

Tansanias Regierung will im fruchtbarsten Drittel des Landes mit dem auf 20 Jahre angelegten Großprojekt SAGCOT ausländische Investitionen für die Landwirtschaft fördern und damit die Armut bekämpfen. Schon vor Projektbeginn wurden nach Berichten lokaler Hirten und Menschenrechtsorganisationen aber mindestens 5000 Ureinwohner vertrieben oder ihrer Lebensgrundlagen beraubt. Bei Aktionen auch staatlicher tansanischer Kräfte sei es außerdem zu Todesfällen, Vergewaltigungen und anderen Menschenrechtsverletzungen gekommen. Die Landkonflikte wurden in den vergangenen Jahren durch Studien des katholischen Hilfswerks Misereor und der Indigenen-Organisation IWGIA sowie durch ein Gutachten der tansanischen Regierung dokumentiert.

Das Bundesentwicklungsministerium erklärte auf Anfrage von NDR, WDR und SZ, ihr seien Berichte von Vertreibungen nicht bekannt. Die tansanische Regierung habe zugesichert, Landrechte nicht zu beeinträchtigen und gefährdete Gruppen zu schützen. Tansania hatte die Anwendung der besonders strengen Weltbankregeln zum Schutz von Ureinwohnern abgelehnt, da diese gegen die Verfassung des Landes verstießen, wonach alle Einwohner gleichberechtigt seien. Die deutsche Vertreterin im Weltbankdirektorium stimmte deshalb nach Angaben eines Ministeriumssprechers bei der Bewilligung eines 70-Millionen-Dollar-Kredits im März für die Aussetzung der Schutzregeln, obwohl die Bundesregierung grundsätzlich gegen solche Ausnahmen sei. Die US-Regierung dagegen enthielt sich der Stimme und nannte es "nicht überzeugend", dass die Weltbank der Argumentation Tansanias folgte und damit einen "bedauerlichen Präzedenzfall" schaffe.

Oxfam spricht von einer "Ausnahmeregelung durch die Hintertür", die deutsche Menschenrechtsorganisation Urgewald von einer "bedenklichen" Entscheidung. Der Urgewald-Weltbankexperte Knud Vöcking sagte NDR, WDR und SZ: "Das scheint ein Weg zu werden, wie man zwar auf dem Papier diese Standards beibehält, aber sie immer, wenn es opportun erscheint, einfach außer Kraft setzt, sobald sich irgendein Staat gegen die Anwendung wehrt." Der Bundesregierung warf Vöcking Doppelzüngigkeit vor, wenn sie betone, wie wichtig ihr der Schutz von Ureinwohnern sei. Für "völlig unglaubwürdig" hält der Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat die Auskunft der Bundesregierung, sie wisse nichts von Vertreibungen im Umfeld des Projekts. "Die Bundesregierung hält nur Sonntagsreden, sie ändert nichts und sie ist sozusagen Teil des Problems bei der Weltbank und nicht Teil der Lösung."

Weltbank-Präsident Kim hatte als Reaktion auf Recherchen des ICIJ in Zusammenarbeit mit NDR, WDR und SZ im Frühjahr 2015 Fehler eingeräumt und Reformen angekündigt. Durch Entwicklungsprojekte der Bank waren laut der Auswertung offizieller Dokumente etwa 3,4 Millionen Menschen innerhalb von zehn Jahren umgesiedelt worden oder hatten ihre Lebensgrundlage verloren. Die Weltbank ist die größte Entwicklungsinstitution weltweit. Vergangenes Jahr vergab die UN-Sonderorganisation Kredite in Höhe von mehr als 60 Milliarden Dollar.

Quelle: NDR Norddeutscher Rundfunk (ots)

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