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Terrorismus-ExpertenProf. Dr. Joachim Krause : Schmaler Grat zum Aktionismus

Archivmeldung vom 16.01.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.01.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: S. Hofschlaeger / pixelio.de
Bild: S. Hofschlaeger / pixelio.de

Die Attentate von Paris haben die Welt geschockt. Millionen Menschen - auch in arabischen Ländern - sind auf die Straße gegangen, um gegen Gewalt, gegen Rassismus und für Pressefreiheit zu demonstrieren. Doch dieses beachtliche Zeichen wird nicht ausreichen. "Wir müssen uns sicherlich auf mehr Anschläge einstellen", sagt der Kieler Politikwissenschaftler und Terrorismusexperte Prof. Dr. Joachim Krause im Gespräch mit der Landeszeitung Lüneburg. Anschläge, die von kleinen Terrorzellen oder von Einzeltätern verübt werden, die auch unabhängig von den großen Terrororganisationen Al-Kaida und IS Attentate vor Ort planen und durchführen.

Zwei der drei Attentäter von Paris haben angegeben, ihre Tat im Namen des jemenitischen Ablegers der Al-Kaida begangen zu haben, einer im Namen der Terrormiliz IS. Ist damit eine neue Stufe im Machtkampf zwischen den beiden Terrororganisationen erreicht?

Prof. Dr. Joachim Krause: Es war zu erwarten, dass sich Al-Kaida mit einem spektakulären Anschlag in den Vordergrund drängt, nachdem der Islamische Staat IS in den vergangenen Monaten die meiste Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Von daher kommt auch das Bekennervideo von Al-Kaida nicht überraschend. Andererseits rechnete sich einer der Attentäter dem IS zu. Nach dem bisherigen Erkenntnisstand spricht nichts dafür, dass der Anschlag koordiniert von Al-Kaida und IS vorbereitet worden war, sondern dass es sich um eine Koordination unter Personen gehandelt hat, die sich schon vor der Trennung von ISIS und Al-Kaida gekannt haben. Das könnte auch bedeuten, dass die Kouachi-Brüder nicht sehr eng an Al-Kaida auf der arabischen Halbinsel angebunden waren, sondern relativ unabhängig operieren konnten.

Die meisten Terroropfer gibt es in den Regionen, in denen Al-Kaida und IS "beheimatet" sind. Warum hat der IS dennoch Zulauf und ist nicht isoliert?

Prof. Krause: Der IS hat so viel Zulauf, weil er jetzt ein Kalifat schafft, einen eigenen Staat. Das zieht viele Anhänger des dschihadistischen Salafismus an, die glauben dort ihre Ideologie in die Realität umsetzen zu können. Das ist vergleichbar mit dem Aufbau eines kommunistischen Staates im bolschewistisch kontrollierten Teil Russland ab 1917, was seinerzeit auch viele Marxisten aus aller Welt anzog. Das andere, was IS attraktiv für viele junge Männer macht, sind die Aussichten auf ungehemmte Gewaltanwendung und sexuelle Beute.

Kleine Gruppen radikalisieren sich, planen Anschläge vor Ort und führen sie aus - müssen wir uns im Westen auf mehr Anschläge nach dem Muster von Paris einstellen? Sind die Terrornetzwerke unberechenbarer geworden?

Prof. Krause: Man muss sich sicherlich auf mehr Anschläge einstellen, die von einzelnen oder wenigen Tätern ausgeführt werden und bei denen Netzwerke wirksam werden, die nicht fest geknüpft sind. Derartige Anschläge können überall auftreten und sind schwer vorhersehbar.

Eine große Gefahr geht nach Ansicht der Behörden von den sogenannten "Dschihad-Rückkehrern" aus, also von Personen, die etwa Deutschland verlassen haben, um in den Heiligen Krieg zu ziehen und irgendwann als ausgebildete Kämpfer zurückkehren. Wie groß ist Ihrer Schätzung nach die Zahl dieser "Dschihad-Rückkehrer"?

Prof. Krause: Die deutschen Behörden gehen von mindestens 600 Deutschen oder aus Deutschland kommenden Personen aus, die sich derzeit in Syrien oder im Irak bei Al-Kaida oder IS aufhalten. Allerdings gibt es eine Dunkelziffer, die reale Zahl dürfte deutlich höher sein. Darin sind noch nicht diejenigen eingerechnet, die hierzulande die Rekrutierungsnetzwerke für den dschihadistischen Nachwuchs betreiben. Das Gefährderpotenzial liegt eher bei 2000 Personen und mehr. Es sind nicht nur die Rückkehrer gefährlich, sondern auch diejenigen, die noch hier sind. Wenn einer einmal zu extremen Gewalttaten bereit ist, macht es keinen fundamentalen Unterschied, ob er in Syrien und Irak war oder nicht. Deshalb bin ich auch skeptisch, was den Vorschlag betrifft, Reisen zu verhindern, indem man solchen Personen die Personalausweise entzieht. Das könnte dazu führen, dass diese Personen Gewalttaten dann lieber gleich hier verüben.

Was können, was sollten die Staaten gegen die neue Form des Terrorismus tun?

Prof. Krause: Mit dem Strafrecht können deutsche Behörden nur etwas gegen Personen unternehmen, bei denen der Nachweis geführt werden kann, dass sie Mitglieder von Al-Kaida oder IS sind. Ansonsten ist man auf Observierung angewiesen - mehr lässt der demokratische Rechtsstaat nicht zu.

Wie sieht es aus mit dem Ruf aus den Reihen der Union nach einer Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung?

Prof. Krause: Das würde zwar nicht alle Probleme lösen, wäre aber hilfreich. Polizei und Staatsanwaltschaften können nach einer terroristischen Straftat mit Hilfe von Verbindungsdaten die Netzwerke der Täter rekonstruieren, um Helfershelfer und weitere Verdächtige zu identifizieren. Das kann auch der Prävention weiterer Anschläge dienen. Das Beispiel des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) hat gezeigt, wie sehr Strafverfolgungsbehörden im Dunkel tappen, wenn sie nicht auf diese Daten zurückgreifen können. Bis heute weiß man nicht, in welches Netzwerk diese rechtsextremistische Gruppe eingebunden war, weil es der Polizei nicht möglich war, Zugang zu telefonischen Verbindungsdaten zu erhalten. Ich halte es für verantwortungslos, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, eine grundgesetzkonforme Regelung zur Vorratsdatenspeicherung zu treffen. Dabei haben das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof den Weg vorgegeben, die Bundesregierung müsste ihn nur beschreiten.

Und der wäre?

Prof. Krause: Die Daten dürfen nur für einen kurzen Zeitraum von wenigen Monaten gespeichert werden und müssen bei den Unternehmen verbleiben. Der Zugang zu diesen Daten ist nur nach richterlicher Anordnung im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens erlaubt. Das könnte schon ausreichen, um Hintergründe einer Straftat aufdecken und weitere Taten verhindern zu können. Es ist bedauerlich, dass das Thema Vorratsdatenspeicherung von den Gegnern derart ideologisiert worden ist, dass die Bundesregierung hier handlungsunfähig geworden ist.

Es sind aber noch weitere Instrumente auf der Tagesordnung: Mehr Macht für Geheimdienste, strengere Sicherheitskontrollen und Sicherheitsvorschriften, aber auch schärfere Strafen werden diskutiert. Wo sehen Sie die Trennlinie zwischen Besonnenheit und Aktionismus?

Prof. Krause: Aktionismus ist zum Beispiel der Versuch, Personalausweise einzuziehen oder Reisen von Verdächtigen in Länder wie den Irak oder Syrien schon als Straftat zu werten. Das ist rechtlich mehr als fraglich und kaum praktikabel. Ich sehe viel eher die Notwendigkeit strafrechtliche Voraussetzungen zu schaffen, um gegen Hassprediger wie Pierre Vogel vorzugehen, der Dutzende junger Menschen radikalisiert hat. Noch wichtiger ist, dass wir Kapazitäten schaffen, um Rückkehrer aus Syrien und dem Irak zu observieren.

Gibt es überhaupt genügend Personal, um solche Aufgaben zu bewältigen?

Prof. Krause: Ich habe den Eindruck, dass die Bundes- und Länderbehörden angesichts der Zahl an Rückkehrern und anderer Verdächtiger hier schnell an ihre Grenzen kommen.

Mehrere Millionen Menschen haben nach den Anschlägen von Paris gegen Gewalt, für Pressefreiheit und gegen Rassismus demonstriert - auch in arabischen Ländern. Ist das ein wichtiges Zeichen oder nur ein Strohfeuer bis zum nächsten Anschlag?

Prof. Krause: Es ist ein wichtiges Zeichen, dass möglichst viele Menschen gegen diesen Terrorismus demonstrieren. Ich freue mich auch, dass gerade in arabischen Ländern demonstriert wurde. Aber ich bezweifele, dass die radikalen und gewaltbereiten Salafisten sich davon beeindrucken lassen.

Nach dem damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff hat nun auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel betont, dass der Islam zu Deutschland gehört. Kommt der echten Integration von Muslimen in westlichen Ländern eine Schlüsselrolle zu?

Prof. Krause: Das, was von Frau Merkel und anderen Politikern geäußert worden ist, ist richtig, gehört aber in die Abteilung politische Symbolik. Entscheidend ist, was vor Ort in den Problembezirken Berlins und anderer Städte geschieht. Es gibt enorme Probleme bei der Integration junger Leute mit Migrationshintergrund, die von Politik und Medien nicht wahrgenommen und teilweise tabuisiert werden. Ich empfehle nur die Bücher des Neuköllner Bürgermeisters Heinz Buschkowsky zu lesen. Viele salafistische Gefährder kommen aus derartigen Problembezirken. Sie weisen oft einen geringen Bildungsgrad auf und eine kleinkriminelle Vergangenheit. Man muss sehr viel mehr machen in den Bereichen Jugendarbeit, schulische Ausbildung und Bekämpfung der Kleinkriminalität.

Trotz der derzeit noch großen Unterschiede in vielen Bereichen von der Justiz bis zur Pressefreiheit: Wäre ein EU-Beitritt der Türkei ein wichtiger Schritt, ein wichtiges Signal an die Muslime?

Prof. Krause: Nein. Die Türkei wird der EU beitreten können, wenn sie die entsprechenden Bedingungen erfüllt. Davon ist sie heute weiter entfernt als noch vor wenigen Jahren.

Das Interview führte Werner Kolbe

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)

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