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Rechtsexperten Prof. Dr. Tobias O. Keber zur Debatte über die Frage, ob der Straftatbestand Landesverrat noch zeitgemäß ist

Archivmeldung vom 14.08.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.08.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: Gerd Altmann / pixelio.de
Bild: Gerd Altmann / pixelio.de

Die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen die Journalisten von Netzpolitik.org sind längst zu einem handfesten Polit-Skandal geworden. Der Generalbundesanwalt Harald Range wurde nach seiner denkwürdigen Pressekonferenz entlassen, der Bundesjustizminister und der Chef des Bundesnachrichtendienstes stehen auch nach Einstellung der Ermittlungen in der Kritik. Ob es weitere Konsequenzen gibt, ist noch nicht abzusehen. Aber der Medienrechtler Prof. Tobias O. Keber fordert im Gespräch mit unserer Zeitung "eine Debatte zur Frage, ob der Straftatbestand des Landesverrats in seiner jetzigen Form noch zeitgemäß ist".

Sechs Tage nach dem Wechsel des Generalbundesanwaltpostens von Harald Range zu Interimsleiter Gerhard Altvater sind die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen den Blog netzpolitik.org eingestellt worden. Haben Sie mit einem so schnellen Schritt gerechnet?

Prof. Dr. Tobias O. Keber: Das ging in der Tat sehr schnell. Nach personeller Veränderung geht man nun, wie es in der Pressemitteilung des Generalbundesanwalts vom 10.8. heißt, "mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz davon aus, dass es sich bei den veröffentlichten Inhalten nicht um ein Staatsgeheimnis im Sinne des § 93 StGB handelt."

Ist damit der Affäre die Spitze genommen oder rechnen Sie weiter mit einer intensiven Aufarbeitung der Fragen, wer wann was gewusst hat?

Keber: Vordergründig hat die Debatte natürlich an Brisanz verloren. Abgeschlossen ist der Fall aber weder rechtlich noch politisch. Ermittelt wird weiter gegen die bis dato unbekannten Berufsgeheimnisträger, die netzpolitik.org die Informationen zugespielt und damit Dienstgeheimnisse verletzt haben. Ob die politische Aufarbeitung noch weitere, vor allem personelle Konsequenzen nach sich ziehen wird, kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Auf jeden Fall wird man die im Fall netzpolitik.org zutage getretenen grundsätzlichen Fragen nachhaltig diskutieren müssen. Das betrifft erstens die Stellung der Staatsanwälte und Generalbundesanwälte im staatsorganisationsrechtlichen Gefüge. Range sprach in seiner Presseerklärung ja von einem "unerträglichen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz". Gemeint war die Weisung des Bundesjustizministeriums, ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten zum Tatbestandsmerkmal des Geheimnisverrats sofort zu stoppen. Tatsächlich sind Staatsanwälte und die Generalbundesanwälte nach geltendem Recht aber im Gegensatz zu Richtern eben nicht unabhängig, sondern sie sind weisungsgebunden. Hält man diesen Umstand für nicht sachgerecht, muss man eben das Gerichtsverfassungsgesetz ändern. Mit der gegenwärtigen Konzeption sind wir in Deutschland bisher aber eigentlich ganz gut gefahren. Zweitens brauchen wir eine Debatte zur Frage, ob der Straftatbestand des Landesverrats in seiner jetzigen Form noch zeitgemäß ist. Wie weit der publizistische Landesverrat rechtlich anders zu bewerten ist als der "gewöhnliche", hat man bereits in den 60er-Jahren im Rahmen der Spiegel-Affäre heftig diskutiert. Interessante Parallelen zum Spiegel-Fall gibt es beim Verfahren gegen Netzpolitik.org übrigens viele, aber es gibt auch wichtige Unterschiede. So ist die weltpolitische Gesamtlage heute eine völlig andere. Damals war es der Kalte Krieg, heute bestimmt im Wesentlichen der internationale Terrorismus das außenpolitische Feindbild. Heute hat jeder Internetnutzer die Möglichkeit, sensible Informationen schnell und in ungeahnt großer Reichweite zu verbreiten. Das konnten früher nur Journalisten. Dieser Umstand führt dann auch zu einem dritten Aspekt, den ich für ganz entscheidend halte. Wie weit Blogger und Journalisten hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten gleichzustellen sind, muss endlich klarer geregelt werden. Auch diese Diskussion gab es schon lange vor dem Fall netzpolitik.org, abschließend geklärt sind die Fragen aber noch lange nicht.

Wie wackelig war die Basis für den Vorwurf des Landesverrats?

Keber: Nach meinem Eindruck ziemlich wackelig. Noch einmal zur Erinnerung: Ausgangspunkt waren zwei Artikel auf netzpolitik.org, bei denen das Blog als VS-Vertraulich (Verschlusssache Vertraulich) eingestufte, folglich interne Dokumente des Bundesverfassungsschutzes veröffentlichte. Konkret ging es um Haushalts- und Personalpläne, mittels derer die geplante Ausweitung der Internetüberwachung durch den Verfassungsschutz dokumentiert werden sollte. Der Straftatbestand des Landesverrats sieht im hier zu entscheidenden Fall drei Voraussetzungen vor, die allesamt vorliegen müssen, um eine strafrechtliche Verantwortung der Blogger von Netzpolitik.org zu begründen. Erstens muss ein Staatsgeheimnis öffentlich bekannt gegeben worden sein. Ein Staatsgeheimnis definiert das Gesetz als Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. Vor diesem Hintergrund ist es angesichts der veröffentlichten Dokumente schon sehr fraglich, ob diese "nur" als VS-Vertraulich eingestuften Dokumente ein Staatsgeheimnis darstellen können. Wären sie als VS-Geheim oder gar strenggeheim eingestuft gewesen, wäre das etwas anderes. Unabhängig davon müssten die Blogger dann noch die weiteren Voraussetzungen des Landesverrats erfüllt haben. Sie müssten in der Absicht gehandelt haben, die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen und die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik herbeigeführt haben. Das ist nun wirklich nicht ersichtlich.

Sollten Informanten, die wichtiges Wissen an Medien weitergeben, gesetzlich geschützt werden, wie es die Netzpolitik-Blogger fordern?

Keber: Der gesetzliche Schutz so genannter Whistleblower ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten unterentwickelt. Beim Schutz von Hinweisgebern geht es um schwierige Abwägungsfragen, aber der Gesetzgeber kann sich angesichts der Komplexität der Materie nicht aus der Verantwortung ziehen. Es gibt internationale Vorgaben, die umzusetzen sind. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte etwa hat festgestellt, dass die Bundesrepublik mit dem durch deutsche Arbeitsgerichte nicht beanstandeten Rauswurf einer Altenpflegerin die europäische Menschenrechtskonvention verletzt hat. Die Pflegerin hatte die skandalösen hygienischen Zustände in dem Heim ihres Arbeitgebers zur Anzeige gebracht und war hierauf gekündigt worden. Wie gesagt, Deutschland hat hier Nachholbedarf und Gesetzesinitiativen sind immer wieder erfolglos versandet.

Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger betont, dass der Politik die Geheimdienste entgleiten würden. Wäre der Schutz von Whistleblowern vom Schlag eines Edward Snowden ein geeignetes Instrument, um den Spähaktivitäten der Geheimdienste etwas entgegensetzen zu können?

Keber: Sicher wäre das ein Ansatz. Wir brauchen taugliche Instrumente und ein sachadäquates Maß an Transparenz. Es gibt Staatsgeheimnisse, und den Geheimdiensten ihre Daseinsberechtigung per se abzusprechen, geht sicher zu weit. In einem demokratischen Rechtsstaat darf es aber auch keine kontrollfreien Zonen, keine unbegrenzte "Macht im Schatten" geben.

Big Data bedeutet auch die Fähigkeit, scheinbar unwichtige Einzelinformationen zur Vorhersage menschlichen Verhaltens zu verwenden. Verschläft der Gesetzgeber auch diese Entwicklung im IT-Bereich?

Keber: Auf europäischer Ebene werden diese Fragen gerade bei den Verhandlungen um eine Datenschutzgrundverordnung adressiert. Leider bilden die zu Grunde liegenden Entwürfe den Problemkomplex "Big Data" nur unzureichend ab. Die technische Entwicklung ist rasend schnell, die Prozesse der (europäischen) Gesetzgebung halten kaum Schritt. Ob der bis dato im Datenschutzrecht geltende strenge Zweckbindungsgrundsatz und der Grundsatz der Datenvermeidung im Lichte allgegenwärtiger Datenverarbeitung wirklich haltbar sind, wird die Zukunft zeigen. Besorgniserregend ist jedenfalls, wie sorglos die Nutzer mit ihren Daten zum Teil umgehen und wie wenig sie technische Funktionen ihrer immer smarteren Endgeräte kritisch hinterfragen.

Das Prism-Programm der Geheimdienste nutzt Big Data bereits, um Vorhersagen über das Verhalten von Bürgern zu treffen. Ist mit Prism die essentielle Freiheit des Menschen in Gefahr, auch in der Zukunft über sein Handeln selbst zu bestimmen?

Keber: Die Frage nach der Zukunft der informationellen Selbstbestimmung und der Autonomie des Menschen in der digitalen Gesellschaft muss man stellen. Das ist ein Bereich, den wir an unserem Institut für Digitale Ethik an der Hochschule der Medien in Stuttgart eingehend erforschen.

Die Einstellung der Ermittlungen wird auch als Sieg für den Journalismus gefeiert. Wird dieser Triumph tatsächlich die Pressefreiheit stützen?

Keber: Wichtig ist, dass über den Fall netzpolitik.org (übrigens auch international) berichtet wird und dass wir eine entsprechende Debatte führen. Das hilft der Pressefreiheit auf jeden Fall.

Das Interview führte Dietlinde Terjung

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)

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