Sybilla Nitsch: Wir brauchen die Minderheitenberichte!
Sybilla Nitsch zu TOP 5 - Gesetz zur Entlastung von Bürokratie in der Kommunal- und Landesverwaltung (Drs. 20/3514): „Minderheitenberichte haben einen Mehrwert, der sich vor allem in ihrer Transparenz und Nachvollziehbarkeit finden lässt. Sie erfüllen eine Schutzfunktion. Ihre verpflichtende Einführung für die kommunale Ebene im Jahr 2015, unter Regierungsbeteiligung des SSW, war eine logische Fortführung des verfassungsrechtlich verankerten Minderheitenschutzes in Schleswig-Holstein. “
Nitsch weiter: "Beim ersten Gegenlesen des vorliegenden Gesetzentwurfs fielen mir vor
allem erst einmal Schönheitskorrekturen auf, die vorgenommen werden
sollen. Ein Komma streichen hier, ein Doppel-S statt Eszett da. Dann
aber auch einzelne Punkte, die wir als SSW gut mitgehen könnten.
Etwa Flexibilisierungsmaßnahmen im Haushaltsrecht oder Vereinfachungen bei den Finanzströmen zwischen Land und Kommunen.
Insgesamt schlussfolgert die Landesregierung laut Entwurf, es müssten auf allen Ebenen Abläufe einfacher, effizienter und effektiver gestaltet werden. Dies betreffe auf Ebene der Landesgesetzgebung insbesondere „übermäßig detaillierte Prüf-, Dokumentations- und Mitteilungspflichten.“ Bisherige landesgesetzliche Hürden, die nicht zwingend erforderlich sind, sollen nun abgebaut werden.
Und da lohnt es sich schon, aufmerksam
wahrzunehmen, was offenbar als übermäßig detailliert und gleichzeitig
nicht zwingend erforderlich definiert wird.
Informationen über die
Lage der nationalen Minderheiten und Volksgruppen zum Beispiel. So soll
die Pflicht zur Erstellung von Minderheitenberichten aus der Kreis-
sowie der Gemeindeordnung gestrichen werden.
Unnötig und vor allem ohne jede Absprache mit den Minderheiten selbst.
Die Organisationen sind – genau wie wir als SSW – wirklich irritiert.
Die
Begründung, warum man die Berichtspflicht als unnötig erachtet, muss
man sich wirklich einmal zu Gemüte führen: „Eine gesetzliche Pflicht zum
Schutz und zur Förderung der nationalen dänischen Minderheit, der
Minderheit der deutschen Sinti und Roma und der friesischen Volksgruppe
besteht (…) ohnehin.“
Achso. Dann ist ja alles ok.
Wir können
uns also politisch jedwede Form von Prüfung, von Kontrolle, von
Berichtswesen sparen, weil es eine gesetzliche Pflicht gibt?
Dann möchte ich nur eines von Ihnen wissen: Würde Sie noch in ein Restaurant gehen, wenn die Lebensmittelkontrolle so arbeitet?
Auf welche Politikfelder will man dieses Argument perspektivisch denn noch ausdehnen? Es gibt eine gesetzliche Pflicht, also wird schon alles gut sein? Das ist entweder zu viel Gutgläubigkeit für einen Gesetzesentwurf oder einfach eine Fehleinschätzung der Situation.
Wir brauchen die Minderheitenberichte. Gerade aus den Kreisen und Kommunen. Sie sind nicht nur eine bloße Auflistung minderheitenpolitischer Maßnahmen, sie legen immer auch offen, an welchen Stellen noch Defizite da sind. Sie schaffen ein minderheitenpolitisches Bewusstsein und enthalten oft genug konkrete Handlungsempfehlungen an die kommunale Ebene für Verbesserungen. Sie führen zu einem Bekenntnis, wo die kommunale Ebene Verantwortung übernimmt und was sie tun will, um Regional- und Minderheitensprachen sichtbar, hörbar und langfristig erlebbar zu machen.
Minderheitenberichte haben einen Mehrwert, der sich vor allem in ihrer Transparenz und Nachvollziehbarkeit finden lässt. Sie erfüllen eine Schutzfunktion. Ihre verpflichtende Einführung für die kommunale Ebene im Jahr 2015, unter Regierungsbeteiligung des SSW, war eine logische Fortführung des verfassungsrechtlich verankerten Minderheitenschutzes in Schleswig-Holstein.
Eine Landesregierung, deren minderheitenpolitischer Selbstanspruch eigentlich ein ganz anderer ist, sollte sich solche Vorschläge nicht leisten. Schon gar nicht in dieser Art und Weise, also ohne die Minderheiten und beispielsweise ihre politische Vertretung wenigstens vorher einmal einzubinden.
Das wird nun im Ausschuss nachgeholt werden müssen.
Und da wird mich auch wirklich brennend interessieren, welche Mitglieder
der Kommunalen Landesverbände in dieser Art an den Minderheiten sparen
wollen, denn Ihr Entwurf ist ja laut der präsentierten „Lösung“ auf
Seite 2 im „gemeinsamen Schulterschluss mit den kommunalen
Landesverbänden“ entstanden. Einige große Kommunen können hier gar nicht
eingebunden worden sein.
Ich nenne beispielhaft zwei Kommunen, die eine wirklich tolle Berichtsarbeit machen:
Der
Bericht zur Lage der dänischen Minderheit im Kreis Schleswig-Flensburg
wurde gerade erst erstmalig und eigeninitiativ nicht nur auf Deutsch,
sondern auch auf Dänisch veröffentlicht. Und die Kreisverwaltung
Nordfriesland hat die Veröffentlichung ihres Minderheitenberichts in
diesem Jahr gemeinsam mit dem Landesverband deutscher Sinti und Roma mit
einer Ausstellung zur Geschichte der Sinti und Roma verbunden. Dazu
kommt der Konsens aller demokratischer Fraktionen, dass man politisch
mit den Handlungsempfehlungen des Minderheitenberichts arbeitet.
Dieser vorliegende Entwurf passt überhaupt nicht zu einer ansonsten als vorbildlich geltenden Minderheitenpolitik.
Ich
zitiere aus dem Handlungsplan Sprachenpolitik: „Auf der kommunalen
Ebene gibt es vielfältige Initiativen der kommunalen Selbstverwaltung,
um die Sichtbarkeit der sprachlichen und kulturellen Vielfalt unseres
Landes zu stärken (…)“, dazu gehören explizit die Berichte in den
Kreisen, Städten und Kommunen.
Ich setze daher auf die vorsichtige
Öffnung des Ministerpräsidenten und vor allem auf die Signale aus den
regierungstragenden Fraktionen aus der MSPI-Debatte von Mittwoch. Jetzt
liegt der Gesetzentwurf vor. Und jetzt ist die Möglichkeit da, ihn im
parlamentarischen Verfahren zu verändern."
Quelle: SSW