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Experiment: SPD-Vize Klara Geywitz verteidigt Entscheidungsfindung für die neue, bereits in der Kritik stehende Parteiführung

Archivmeldung vom 23.01.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.01.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Klara Geywitz (2019)
Klara Geywitz (2019)

Foto: Olaf Kosinsky
Lizenz: CC BY-SA 3.0 de
Die Originaldatei ist hier zu finden.

An Ihrer Potsdamer Sportschule haben Sie die Mitschüler bewundert, die Tag für Tag motiviert ihre Bahnen zogen, obwohl das Ziel Olympia weit weg war. Wie motivieren Sie sich, im SPD-Umfragetief weiterzumachen? Klara Geywitz: Umfragewerte unter 15 Prozent treffen einen natürlich. Aber der direkte Zusammenhang zwischen tatsächlicher Leistung und entsprechender Belohnung ist in der Politik oftmals leider nicht gegeben.

Die SPD hat unglaublich viele Gesetze auf den Weg gebracht, die das Leben der Menschen ganz konkret verbessern: Wir haben eine Mindestausbildungsvergütung für Azubis eingeführt, haben das BAföG erhöht, setzen eine Grundrente durch. Dass man nicht immer Dank bekommt, muss man wissen, wenn man Politik macht. Was mich motiviert, ist, mit Menschen zusammenzutreffen, mir ihre Sorgen und Nöte anzuhören - und oft genug auch helfen zu können. Das Zwischenmenschliche in der Politik ist für mich eine starke Antriebsfeder.

Bei der Wahl ihrer neuen Spitze hat sich auch die SPD ihren Brexit-Moment gegönnt: Hauptsache, Außenseiter! Hauptsache, ein Neuanfang! Macht direkte Demokratie für die SPD auch künftig Sinn, wenn eine neue Führung gesucht wird? Ich würde das nicht als Brexit-Moment bezeichnen. Der Austritt Großbritanniens aus der EU ist eine große Tragödie. Die SPD hat ein demokratisches Experiment gewagt: Alle Mitglieder durften bestimmen, wer die Partei künftig anführen soll. Nun ist Politik keine exakte Wissenschaft. Es gibt nie die eine Wahl, die hundertprozentig richtig ist, während die andere hundertprozentig falsch ist. Für viele Mitglieder war dies ein nicht einfacher Abwägungsprozess, für welches Team sie stimmen sollten. Am Ende haben sich dann mehrheitlich die Mitglieder durchgesetzt, die sich wünschten, dass die Partei ihre Position jenseits der Großen Koalition bestimmt, jenseits der Sachzwänge, denen man in der Regierungsverantwortung unterworfen ist.

Sind Urwahlen mit ihrer Anfälligkeit für Stimmungen geeignet für komplexe Fragestellungen wie der nach der künftigen, über Jahre gültigen Parteistrategie? Ich habe das als einen sehr positiven Prozess erlebt. Was die neue Parteiführung jetzt machen muss, ist Unterwegs sein und Reden. Es gibt in allen Parteigliederungen einen großen Bedarf an Austausch über unsere Positionen und Ziele, nach einer Parteiführung zum Anfassen. Das war auf allen 23 Regionalkonferenzen deutlich zu spüren. Der Andrang war jedes Mal riesig und am Ende gingen die Teilnehmer alle sehr motiviert aus der Veranstaltung.

Was ist verkehrt an den Prinzipien indirekter Demokratie, bei der die Delegierten die Stimmungen aus den Ortsvereinen mit zum Parteitag gebracht hätten? Daran ist nichts verkehrt. Und sicherlich sind Elemente direkter Demokratie auch nicht überall anwendbar. Aber es gibt wegweisende Entscheidungen, die von allen akzeptiert werden sollen. Das war etwa bei der Frage nach dem Eintritt in die große Koalition der Fall. Hier gab es in der Partei ein derart starkes Für und Wider, dass klar war, diese Entscheidung bedarf einer großen Legitimation. Zudem hatten wir jetzt in einer zu schnellen Abfolge neue Parteivorsitzende. Das tut der SPD nicht gut. Deshalb waren wir uns auch hier einig, dass die nächste Parteiführung eine größtmögliche Legitimation braucht, um an dieser Stelle endlich Kontinuität einkehren zu lassen.

Der personelle Neuanfang schlägt sich nicht in den Umfragen nieder. Klafft eine Kluft zwischen den Befindlichkeiten der Parteibasis und der Bevölkerung im Ganzen? Man darf nicht erwarten, dass sich durch die Wahl von zwei Personen die Welt gleich komplett ändert. Die Probleme der SPD sind nicht über Nacht entstanden, denkt man etwa nur an die zu häufigen Wechsel an der Spitze. Meine Erfahrung ist, dass Menschen Zeit brauchen, um Vertrauen zu entwickeln. Und diese Zeit müssen wir ihnen auch geben.

Haben Sie ihr persönliches Scheitern schon verdaut? Die Trauerphase in der Politik ist immer sehr kurz, was nicht ganz einfach ist. Ich habe das Ergebnis eine halbe bis dreiviertel Stunde vor der Verkündigung vor der Berliner Presse erfahren. Da war ich schon sehr enttäuscht. Als Politikerin muss man aber in der Lage sein, nach einem kurzen Atemholen schon wieder professionell zu agieren. Dann hatten wir nur eine Woche zur Vorbereitung des Parteitages, in der sich mir die Frage stellte, ob ich als Stellvertreterin kandidiere. Natürlich hat man nach einer derart langen Tournee mit dem bekannten Ergebnis den Impuls, sich zunächst eine Pause zu nehmen. Aber es zeigte sich dann, dass viele der fast 100 000 Parteimitglieder, die für Olaf Scholz und mich gestimmt hatten, und die ostdeutschen Landesverbände großen Wert darauf legten, dass unser Ansatz auch in der neuen Parteispitze vertreten ist. Und so stand ich eine Woche später schon wieder zur Wahl.

Sie kommen aus dem Brandenburger Landesverband, der seit 30 Jahren regiert. Mussten sie schon Genossen erklären, wie das ist? Nein, zumal es ohnehin kein Patentrezept gibt. Was in Brandenburg funktioniert, muss in Berlin oder Sachsen noch lange nicht klappen. Dennoch ist es ein Geschenk, in dem Selbstbewusstsein eines sehr erfolgreichen Landesverbandes verankert zu sein. Angesichts der in der Partei durchaus vorhandenen Verzagtheit möchte ich gerne diese Zuversicht vermitteln. Wir können es uns nicht leisten, zu verzagen - die SPD wird gebraucht.

Hilft es gegen die Verzagtheit, wenn man gleichzeitig regiert und opponiert? Es geht um gutes Regieren und Gestalten. Ich denke, niemand wird ernsthaft bestreiten, dass die sozialdemokratischen Ministerinnen und Minister die Leistungsträger im Kabinett sind. Und es geht nicht um paralleles Opponieren, sondern darum, dass die SPD eine Vision von Politik entwickelt, die nicht in den Grenzen der Groko gedacht wird und die über das Jahr 2021 hinaus reicht. Und das fällt Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans naturgemäß leichter als Ministern, die ihre Taten und Worte mit der täglichen Regierungspolitik in Übereinstimmung bringen müssen.

Ist es zielführend, das linke Profil schärfen zu wollen, indem man Steuersenkungen trotz voller Kassen als "gefährlich" abtut, wie Parteichefin Saskia Esken? Wichtig ist, dass man den großen Investitionsstau wahrnimmt, den wir in Deutschland vor uns her schieben. Der muss aufgelöst werden, damit Schulen, Schwimmbäder und Straßen wieder auf den neuesten Stand gebracht werden. Gerade in manchen Kommunen besteht ein großes Investitionshemmnis in Form der Altschulden. Diese müssen beseitigt werden, damit die Kommunen wieder ein lebenswertes Umfeld gestalten können. Dabei gilt für die Politik, in langen Linien zu denken und nicht nach jeder schlechten oder guten Jahresbilanz die Steuersätze zu heben oder zu senken.

Wenige Monate nach dem Mord an Walter Lübcke kam es nun zu Schüssen auf das Büro des SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby. Wird der Rechtsterror immer noch unterschätzt? Diese Vorfälle machen mich sehr betroffen. Zumal wir beim NSU gesehen haben, dass es ein rechtsextremes, zu Morden bereites Netzwerk gibt. Diese Gefahr des organisierten Rechtsradikalismus darf auf keinen Fall unterschätzt werden. Insbesondere muss der Schutz der ehrenamtlichen Bürgermeister verbessert werden. Neben den Sicherheitsbehörden sind aber auch die Bürger selbst gefordert, unsere offene Gesellschaft im Alltag zu verteidigen.

Olaf Scholz weigert sich, die schwarze Null - wie von der neuen SPD-Spitze gefordert - aufzuweichen. Hat er Recht? Es ist ein normales Haushaltsverfahren, den Etat zunächst so aufzustellen, dass er ausgeglichen ist. Angesichts des aktuellen Milliardenüberschusses haben wir zudem eher das Problem, dieses Geld in vernünftige Investitionskanäle zu lenken. Wir haben viele Fördermittel, die nicht abfließen, weil es an Bauarbeitern, Sand oder Planern mangelt. Deswegen wäre es sinnvoller, die Altschulden der Kommunen, immerhin 45 Milliarden, abzubauen, damit diese überhaupt wieder investieren können. Olaf Scholz ist sich mit der neuen Parteispitze einig, dass wir mehr in die Zukunft Deutschlands investieren wollen, dass aber Verschuldung an sich kein Selbstzweck sein kann.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots) von Joachim Zießler


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