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Bürgerrechtler Frank Richter zu "Pegida": "Debatte muss weg von der Straße"

Archivmeldung vom 10.01.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.01.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Screenshot aus dem Youtube Video "Pegida Demonstration Dresden 8.12.2014 10800 Teilnehmer | Live & Unzensiert"
Screenshot aus dem Youtube Video "Pegida Demonstration Dresden 8.12.2014 10800 Teilnehmer | Live & Unzensiert"

Anschläge wie der in Paris würden die Thesen der Pegida-Bewegung bestätigen, meint deren Frontmann Alexander Gauland. Zumindest wird die Angst vor Islamismus von den Organisatoren der Demonstrationen in Dresden und anderen Städten genutzt, um ihrer Bewegung Zulauf zu verschaffen. Die Reaktionen auf Pegida schwanken zwischen Kritik und Verständnis. Der Dresdner Ex-DDR-Bürgerrechtler Frank Richter warnt vor vorschnellen Kategorisierungen: "Wichtiger ist es mit den Pegida-Vertretern, die gesprächsbereit sind, in den Dialog zu gehen. Denn politische Problemlagen bleiben nicht auf der Straße."

Sie haben schon umgesetzt, was manche Politiker noch fordern: Mit der Pegida reden statt nur über sie. Wer begegnete Ihnen: Gottlose Rassisten oder besorgte Bürger?

Frank Richter: Bisher ist das Gesprächsangebot, das ich im Namen der Landeszentrale für politische Bildung direkt an das Pegida-Organisationsteam gerichtet habe, unbeantwortet geblieben. Gleichwohl haben sich viele Pegida-Sympathisanten schriftlich oder mündlich an mich gewandt, um mir ihre Beweggründe für den Protest mitzuteilen. Da zeigte sich ein Kaleidoskop verschiedenster Unmutsäußerungen, Frustrationen und Sorgen. Am 6. Januar haben wir die erste Gesprächsveranstaltung mit ca. 130 Teilnehmern durchgeführt. Diese verlief sehr konstruktiv.

Ist die Angst vor dem Islam echt oder nur die verbindende Klammer für das Sammelsurium, für ein diffuses Unbehagen angesichts aktueller Veränderungen?

Richter: Es zeigt sich ein großes Unbehagen angesichts der Zuwanderungspolitik der Bundesregierung. Viele befürchten ein unkontrolliertes, unstrukturiertes Zuwandern. Es kommt dazu, dass man in Sachsen wenig Erfahrung mit Menschen anderer Kultur und Religion hat. Darüber hinaus äußert sich ein ganz grundsätzlicher Unmut über das politische System. Viele sind Wahlverweigerer, die den Eindruck haben, ohnehin nicht mitbestimmen zu können. Die Wirtschaft würde regieren und nicht die Politik. Man weist darauf hin, dass der ländliche Raum abgehängt werde, während Metropolen florieren. Man will nicht akzeptieren, dass Asylbewerberheime ohne oder nur mit alibi-artiger Beteiligung der ortsansässigen Bevölkerung eingerichtet werden. Dieser vielgestaltige Unmut hat in Pegida einen Protestkanal gefunden.

Bekommen wir derzeit auf den Straßen die Quittung, dass sich der Staat nicht genügend um die Wende- und Globalisierungsverlierer kümmert?

Richter: Die Leute stellen eine Quittung dafür aus, dass sie sich von der Politik nicht mehr verstanden fühlen. Sie haben den Eindruck, dass die Politik an ihnen vorbeigeht. Manche Äußerungen belegen, dass die Prinzipien der repräsentativen Demokratie nicht verstanden oder nicht akzeptiert werden. Es hilft nicht sonderlich weiter, dies alles zu kategorisieren oder zu etikettieren. Nötig ist, das Gespräch zu suchen, so schwierig dies auch scheint.

Welche Rolle spielt für den Mobilisierungserfolg der Bewegung die Selbststilisierung als Streiter gegen ein vermeintliches Meinungsdiktat der Eliten?

Richter: Zu den bemerkenswertesten Elementen dieser Bürgerbewegung gehört die Ablehnung der Medien. Ich habe erlebt, dass der Ruf "Lügenpresse!" besonders laut skandiert wurde. Viele fühlen sich durch die Berichterstattung diffamiert. Sie möchten nicht in eine rechtsextreme Ecke gestellt werden allein wegen ihrer Skepsis der Asylpolitik gegenüber.

Verleugnet Deutschland seine christliche Leitkultur, wie Pegida-Anhänger meinen?

Richter: Es ist nicht sonderlich wichtig, ob das meiner Meinung nach stimmt oder nicht. Zu denken gibt, dass viele Menschen genau diesen Eindruck haben. Die Rolle der Landeszentrale für politische Bildung ist nicht, politische Positionen zu formulieren, sondern den politischen Diskurs zu unterstützen. Die Debatte muss versachlicht werden. Wenn wir differenzieren wollen, muss sie von der Straße weg und in die Säle hinein.

Für eine Debatte muss aber die Begrifflichkeit geklärt werden. Die vermeintlichen Islam-Gegner lehnen auch Roma aus Serbien ab, die oft Katholiken sind, oder syrische Christen, die gerade vor Islamisten geflohen sind. Wird die Angst vor islamistischem Terror nur instrumentalisiert, um Fremdenfeindlichkeit zu ummänteln?

Richter: Es ist erkennbar, dass bei Pegida viele mitlaufen, die rechtsextremistische Positionen vertreten. Klar ist, dass immer dann widersprochen werden muss, wenn Grundrechte in Frage gestellt werden und gehetzt wird. Die wichtige Frage aber ist, warum sich so viele Menschen Pegida anschließen, von denen ich nicht glaube, dass sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellen. Dass politische Positionen instrumentalisiert werden können, ist nicht neu.

Was antworten Sie Pegida-Anhängern, die sagen, wir hätten keinen Platz mehr für Menschen in Not, für christliche Nächstenliebe?

Richter: Kommunikation kann schiefgehen, Nicht-Kommunikation wird schiefgehen. Wir müssen uns der Mühe unterziehen, Verständnis entgegenzubringen und andere Verständnishorizonte entgegenzusetzen. Wenn uns der Einstieg in diesen Diskurs gelingt, können wir von den Emotionen zu den Fakten gelangen. Und dann wird klar, dass Deutschland mit 200 000 Flüchtlingen nicht überfordert ist. Ich hoffe auch, dass die vielen Menschen, die bisher Nothilfe organisiert haben, in der öffentlichen Diskussion aber erstaunlich still geblieben sind, stärker zu Wort kommen. Zudem werden wir zu der Frage kommen, wie viel Einwanderung Deutschland aus eigenem Interesse braucht.

Sie haben festgestellt, dass rund 70 Prozent der Pegida-Demonstranten junge Männer sind. Mangelt es da an einem Identifikationsangebot?

Richter: Das sagt mir mein Gefühl. Es mangelt gerade jungen Männern an guten Vorbildern. Manche Rollenmuster, in die Männer früher selbstverständlich hineinwuchsen, sind weggefallen. Junge Frauen sind in vieler Hinsicht fitter und mobiler als ihre männlichen Altersgenossen.

DDR-Bürgerrechtler haben die Pegida als "Schande" bezeichnet, weil sie den Slogan "Wir sind das Volk" pervertiere. Sehen Sie das als ehemaliger Bürgerrechtler auch so?

Richter: Ich möchte dazu nichts sagen. Es gibt wichtigere Dinge als meine persönliche Sichtweise. Ich verstehe mich nicht als Gralshüter. Wichtig ist, herauszufinden, was die Menschen umtreibt, die auf die Straße gehen.

Bedeutet Pegida eine Normalisierung im europäischen Maßstab, weil in allen Nachbarländern starke rechtspopulistische Bewegungen aktiv sind?

Richter: Das kann man in der Tat so sehen. Starke nationale bis nationalistische Gruppierungen gehören zur politischen Landschaft in vielen europäischen Ländern.

Machen arrivierte Parteien die Hetzer innerhalb der Pegida-Bewegung hoffähig, indem sie deren Parolen übernehmen?

Richter: Es ist gut, dass auch die etablierten Parteien über die Themen diskutieren, die bei den Pegida-Anhängern en vogue sind. Politische Problemlagen bleiben nicht auf der Straße liegen. Wenn die etablierten Parteien die Fragestellungen der Menschen nicht aufgreifen, werden sie von anderen aufgegriffen. Die Demokratie lebt von solchen Herausforderungen.

Müssen wir diese Bewegung ernster nehmen, weil sie nicht vom Rand der Gesellschaft kommt, sondern aus ihrer Mitte?

Richter: Mit dem Begriff "Mitte der Gesellschaft" kann ich nicht viel anfangen. Ich kann sehr viel damit anfangen, wenn sich Menschen öffentlich positionieren und demonstrieren. Ich kann viel damit anfangen, wenn sich politische Meinungsäußerung strukturiert und qualifiziert.

Macht es keinen Unterschied, ob dort ausschließlich Verlierer des gesellschaftlichen Wandels Frust ablassen oder der Mittelständler seine Ängste formuliert?

Richter: Wenn dort nur Menschen unterwegs wären, die sich bereits als Verlierer sehen, wäre deren Meinung deshalb doch nicht weniger wichtig. Wir sollten die Spreizung unserer Gesellschaft im politischen Diskurs nicht noch verstärken. Es ist angebracht, wenn wir dieses Phänomen nicht parteipolitisch beleuchten, sondern gesellschaftspolitisch. Die Beschäftigung mit der Auseinandersetzung in der Gesellschaft muss ergänzt werden durch die Debatte über ihren Zusammenhalt. Wenn sich große Teile der Bevölkerung abgekoppelt wähnen oder das Gefühl haben, sie hätten mit den Entscheidungseliten nichts mehr zu tun, ist das ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Das Interview führte Joachim Zießler

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)

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