Digitalcourage: Polizeigesetz kaum entschärft – NRW weiter auf Überwachungskurs
Archivmeldung vom 10.10.2018
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.10.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch André OttDie Fraktionen von CDU und FDP des Landtags NRW haben am 9. Oktober einen Änderungsantrag zur umstrittenen Verschärfung des Polizeigesetzes vorgestellt. Digitalcourage kritisiert, dass die öffentliche Kritik und die Stellungnahmen zahlreicher Expert.innen nicht ernst genommen wurden und fordert, die geplanten Verschärfungen abzubrechen. „Das Gesetz ist weiterhin voller unverhältnismäßiger Eingriffe in die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger“, erklärt Kerstin Demuth von Digitalcourage. „Die Änderungen sind reine Makulatur.
Die Prognosejustiz der NRW-Regierung schafft Rechtsunsicherheit und zerstört das Vertrauen in Rechtsstaat und Polizei.“
Entschärfungen sind minimal
Presseberichten zufolge sollen alle Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen des Entwurfs auch nach dem Änderungsantrag erhalten bleiben, darunter elektronische Fußfesseln und Schleierfahndung. Ebenso soll die Videoüberwachung ausgeweitet werden, obwohl sie Studien zufolge gegen Gewalt und Terror wirkungslos ist.
Auch Staatstrojaner zur Quellen-TKÜ und die hochinvasiven
Onlinedurchsuchung sind weiterhin vorgesehen. Kritiker.innen warnen vor
dem Einsatz von Staatstrojanern. Denn Staatstrojaner sind Schadsoftware,
die über Sicherheitslücken in Geräte eingeschleust wird. Die
IT-Sicherheitslücken können auch von Geheimdiensten und Kriminellen
ausgenutzt werden. Digitalcourage hat im August Verfassungsbeschwerde
gegen den Staatstrojaner eingereicht.
Einzig der Unterbindungsgewahrsam soll von aktuell zwei Tagen nun auf
zwei Wochen verlängert werden – im Gesetzentwurf waren noch vier
vorgesehen. Die FDP-Fraktion erklärt in einer Pressemitteilung, der
Begriff der „drohenden Gefahr“ würde gestrichen. Stattdessen sieht der
Änderungsantrag aber andere Formulierungen vor, die der Polizei ein
Eingreifen erlauben, weit bevor eine konkrete Gefahr oder Straftat
vorliegt.
Kerstin Demuth kommentiert: „Die Regierungsfraktionen erklären nicht,
wie die Verschärfung für mehr Sicherheit sorgen soll. Das Gegenteil ist
der Fall: Unsere Abwehrrechte gegen den Staat schaffen Sicherheit – und
die werden durch den Gesetzentwurf ausgehöhlt.“
Niedersachsen kann kein Maßstab sein
Das neue Polizeigesetz für NRW an Niedersachsen zu orientieren ist eine
symbolische Antwort auf die Kritik, denn gegen das niedersächsische NPOG
liegen mehr als 20 fundierte kritische Stellungnahmen vor. Der
Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des niedersächsischen Landtages (GBD)
erteilte Hoffnungen, dass der Entwurf rasch in ein Gesetz überführt
werden könne, einen deutlichen Dämpfer – geschätzte 30
verfassungsrechtliche Probleme seien erkennbar. [1]
Innenminister fürchtet das Bundesverfassungsgericht
Innenminister Herbert Reul (CDU) kommentiert in der Neuen Westfälischen
die Änderungen am Gesetzentwurf: „Was bringt das beste Gesetz, wenn es
am Verfassungsgericht scheitert?“ [2] Rena Tangens, Gründungsvorstand
von Digitalcourage kommentiert: „Wie soll ein Gesetz gut sein, wenn es nicht verfassungsgemäß ist?“
Nach Einschätzung von Digitalcourage sollte sich Sicherheitspolitik an
Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit und mildesten Mitteln orientieren –
nicht an den maximalen Grenzen des Grundgesetzes. Aus Sicht der
Grundrechteorganisation Digitalcourage ist der aktuelle Kurs der Reform
gekennzeichnet durch ein Defizit an sachlicher Auseinandersetzung mit
dem
Thema Sicherheit und einer Euphorie für Überwachungsmaßnahmen und
repressive Innenpolitik.
Weitere Informationen:
• Appell gegen Verschärfungen und innere Aufrüstung:
https://digitalcourage.de/blog/2018/appell-gruen-spd-fdp-hoeren-sie-auf-ihre-buergerrechtsfluegel
• Übersicht über die Polizeigesetzverschärfungen der Bundesländer und Protestbündnisse:
https://digitalcourage.de/blog/2018/uebersicht-polizeigesetze
• Gesetzentwurf der Fraktionen CDU & FDP und Beratungsvorgang zum Gesetzentwurf im Dokumentenpool des Landtags NRW:
https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/Webmaster/GB_II/II.2/Suche/Landtagsdokumentation_ALWP/Suchergebnisse_Ladok.jsp?&w=native%28%27%28+%28vtyp+%3D+%27%271%27%27%29+AND+%28reihnr+%3D+%27%270100%27%27%29+%29+AND+%28+%28nummer%2Cgn+phrase+like+%27%271701967%2F0100%27%27%29+and+%28ev+%3D+%27%27g%27%27%29+%29+%27%29&order=&wp=17&view=kurz&maxRows=50
• Pressemitteilung vom der FDP-Fraktion NRW zum Änderungsantrag:
https://fdp.fraktion.nrw/content/rasche-und-lurbke-polizei-und-burgerrechte-starken
• Zur Kritik am Einsatz von Staatstrojanern:
https://digitalcourage.de/staatstrojaner
• Wissenschaftliche Materialsammlung: Wirkt Videoüberwachung?
https://digitalcourage.de/videoueberwachung/materialsammlung
[1]
https://digitalcourage.de/2018/08/16/pm-polizeigesetz-niedersachsen-dringender-aenderungsbedarf
[2]
https://www.nw.de/nachrichten/regionale_politik/22266058_NRW-Polizeigesetz-ist-entschaerft.html
Digitalcourage:
Digitalcourage setzt sich seit 1987 für Datenschutz und Bürgerrechte ein
und richtet seit 2000 die jährliche Verleihung der BigBrotherAwards
aus. 2008 erhielt Digitalcourage die Theodor-Heuss-Medaille für
besonderen Einsatz für die Bürgerrechte.
Quelle: Digitalcourage e.V.