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Charité setzt Quarantäne-Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes aus

Archivmeldung vom 06.03.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.03.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Charité. Neubau des Bettenhauses. Links: Teil der alten Bebauung. Bild: Manfred Brückels / de.wikipedia.org
Charité. Neubau des Bettenhauses. Links: Teil der alten Bebauung. Bild: Manfred Brückels / de.wikipedia.org

Der Virologe Christian Drosten fordert angesichts der Coronavirus-Epidemie eine Lockerung der Quarantäne-Empfehlungen für medizinisches Personal. "Wir an der Charité können die Quarantäne-Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes auch nicht mehr aufrechterhalten und werden sie nicht mehr 1:1 umsetzen", kündigte der Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" ("NOZ") an.

Drosten weiter: "Wenn wir das gesamte medizinische Personal, das mit Infizierten Kontakt hatte, in Quarantäne schicken, bricht die medizinische Versorgung für die Bevölkerung zusammen. Nicht nur für Corona-Patienten, sondern auch für alle anderen."

Es sei "natürlich notwendig", dass das RKI seine Empfehlungen "nach und nach an die Realität anpasst", forderte Drosten. Denn die Werkzeuge gegen Influenza von Schutzkleidung über Gegenmittel bis zu Impfungen gebe es beim Coronavirus noch nicht. In NRW haben erste Kliniken die Empfehlungen des RKI bereits ausgesetzt, weil sich sonst nicht ausreichend Ärzte und Pfleger um die Patienten kümmern könnten. Das RKI hat zwar seinen Pandemieplan geändert, nicht aber die Quarantäne-Empfehlungen für das medizinische Personal, wie eine Sprecherin der "NOZ" sagte.

Nach Drostens Angaben wird unter Virologen der Universitätskliniken "intensiv über pragmatische Lösungen" beraten. "Denkbar wäre, das gesamte Personal einer Ambulanz jeden Tag zu testen. Dann würden Pfleger oder Ärzte maximal einen Tag nach einer Infektion noch arbeiten, bevor wir sie in Quarantäne schicken könnten", sagte Drosten. "In dieser Zeitspanne wären sie wahrscheinlich noch nicht ansteckend. In den sensibelsten Bereichen unseres Systems wäre so ein Weg womöglich denkbar."

Der Experte regte auch lockerere Auflagen für Infizierte außerhalb des medizinischen Betriebes an. "Wir müssen dann die Menschen auch nicht mehr unbedingt 14 Tage in Quarantäne schicken. Die Inkubationszeit ist im Kern nach einer Woche vorüber. Auch sind Infizierte wahrscheinlich nur etwa eine Woche lang infektiös", sagte Drosten. Solange es keine angepassten Empfehlungen gebe, "müssen eben die Gesundheitsbehörden vor Ort entscheiden, wie sie die Situation einschätzen und an die Gegebenheiten anpassen. Das braucht Informationen", sagte der Fachmann.

Charité-Virologe Drosten: Es wäre mit 278.000 Corona-Todesopfern zu rechnen

Der Chef-Virologe der Berliner Charité hält es für möglich, dass in Deutschland langfristig eine Viertelmillion Menschen am Coronavirus sterben werden. Das Virus werde sich erst dann nicht weiter verbreiten, wenn zwei von drei Menschen zumindest vorübergehend immun seien, weil sie die Infektion schon hinter sich hätten, sagte Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité, im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ).

"Bei einer Gesamtbevölkerung von 83 Millionen wären zwei Drittel fast 56 Millionen Menschen, die sich infizieren müssten, um die Ausbreitung zu stoppen. Bei einer Mortalität von 0,5 Prozent wäre in dem Fall mit 278.000 Corona-Todesopfern zu rechnen", erklärte Drosten.

Solch eine Berechnung mache allerdings "wenig Sinn", weil die Zeitkomponente fehle, erklärte Drosten weiter. "Bei langsamer Verbreitung werden Corona-Opfer in der normalen Todesrate verschwinden." Jedes Jahr stürben in Deutschland 850.000 Menschen. Das Altersprofil sei ähnlich wie bei den Todesfällen durch das neue Virus. Mit einem für alle verfügbaren Impfstoff gegen das Coronavirus rechnet Dorsten "nicht vor Sommer nächsten Jahres".

Auch Kassenarztpräsident Andreas Gassen geht davon aus, dass sich ein Großteil der Bevölkerung anstecken wird, bevor die Ausbreitung zu einem wirklichen Halt kommt. "Das mag für den Laien schockierend wirken, ist aber nüchtern betrachtet nichts Bedrohliches: Es gibt Viren, die praktisch jeden mindestens einmal befallen. Zum Beispiel Herpes und Influenza", sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) der "NOZ". Man spreche in dem Fall von einer "Durchseuchung" der Gesellschaft, die dann letztlich zu einer Art Herden-Immunität führe.

"Auch das Coronavirus dürfte nicht verschwinden", sagte Gassen. Die Frage sei, wie lange die "Durchseuchung" dauere. "Das kann vier oder fünf Jahre dauern. Je schneller es geht, je größer ist die Herausforderung für das Gesundheitswesen. Aber dass wir selbst bei einem weiteren raschen Anstieg der Fälle an Grenzen stoßen, sehe ich definitiv nicht." Derzeit sei Corona "eher eine mediale als eine medizinisch relevante Infektion", sagte Gassen.

Virologe Drosten forderte zur Eindämmung des Virus ein Verbot von Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern. "Die Schweizer sagen alle Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen ab. Eine solche bindende Obergrenze wäre auch für Deutschland extrem hilfreich", das würde auch den Veranstaltern Rechtssicherheit geben, sagte der Forscher. "Volle Stadien mit Zehntausenden von Fans - gerade in Gegenden wie dem vom Coronavirus jetzt stark betroffenen Rheinland - müssten aus medizinischer Sicht eigentlich gestoppt werden", mahnte Drosten.

Für bundesweite Schulschließungen ist die Zeit aus Sicht des Charité-Experten noch nicht gekommen: "Die Idee ist gut. Aber das ist eine Maßnahme, die wir der Gesellschaft nur einmal zumuten können", so der Virologe. "Wir sollten diese Karte aufbewahren, damit wir sie im Herbst ziehen können, oder im Juni, wenn uns das Virus keine 'Sommerpause' beschert. Jetzt wäre es wohl noch zu früh."

Drosten befürchtet, dass eine rasante Ausbreitung in Deutschland nicht mehr verhindert werden könne. "Wir stoßen an Grenzen. Die Sorge ist berechtigt, dass wir das Coronavirus nicht in den Griff bekommen und am Beginn einer pandemischen Welle stehen", sagte er. Die Lage sei für die Gesundheitsämter mancherorts sehr schwierig. "Wir bekommen Rückmeldungen, wonach die Mitarbeiter kapitulieren. Sie sind personell nicht mehr in der Lage, die notwendigen Kontrollen durchzuführen. Kontaktpersonen werden nicht gleich getestet. Bei Menschen in Quarantäne wird nicht geprüft, ob sie wirklich zu Hause bleiben. Die Gesundheitsämter kommen nicht mehr hinterher."

Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung (ots)


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