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10 Jahre "Rinderwahnsinn" in Deutschland

Archivmeldung vom 19.11.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.11.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: foodwatch e.V.
Bild: foodwatch e.V.

Die EU-Maßnahmen gegen die Rinderseuche BSE haben statt strengerer Regeln für die Fleischindustrie eine Liberalisierung des Marktes mit Schlachtabfällen bewirkt und viele der jüngsten Gammelfleischfälle erst ermöglicht. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der europäischen BSE-Politik, die die Verbraucherorganisation foodwatch zehn Jahre nach Bekanntwerden des ersten BSE-Falls eines in Deutschland geborenen Rindes veröffentlicht hat.

"Die BSE-Bekämpfungsmaßnahmen waren erfolgreich, die Krankheit ist auf dem Rückzug - sie haben paradoxerweise aber dazu geführt, dass der Handel mit Fleischabfällen liberalisiert und der staatlichen Kontrolle entzogen wurde", erklärte Matthias Wolfschmidt, stellvertretender foodwatch-Geschäftsführer. "Die europäische Fleischwirtschaft wurde im Gefolge der BSE-Bekämpfungsmaßnahmen betrugsanfälliger, wie die Gammelfleischskandale der letzten Jahre beweisen."

Das Eindämmen der Rinderepidemie wurde durch ein Verbot der Verfütterung von Tiermehl an Nutztiere, durch die Definition und Entfernung von Risikomaterialien sowie durch großflächige BSE-Schnelltestuntersuchungen erreicht. Doch strukturelle Fehler der europäischen Agrar- und Ernährungspolitik sowie der deutschen Lebensmittelüberwachung wurden bis heute nicht korrigiert.

Stattdessen wurden seit dem politischen Höhepunkt der BSE-Krise 2001 mehr als 70 europäische Rechtsakte rund um die BSE-Bekämpfungsmaßnahmen sowie weitere 65 Rechtsakte zum Umgang mit tierischen Abfällen erlassen:

  • Dabei konnte die Lobby der Fleischwirtschaft einen weitgehend freien Handel für etwa vier Fünftel ihrer Abfälle durchsetzen. Vor BSE mussten diese größtenteils auf Kosten der Industrie entsorgt werden. Heute sind in der EU jährlich rund 16 Millionen Tonnen Schlachtabfälle (Material der so genannten Risiko-Kategorie 3) weitgehend der staatlichen Kontrolle entzogen.
  • Eine der zentralen Vorgaben der europäischen BSE-Politik zum Schutz der Verbraucher wurde nie umgesetzt: die verpflichtende Kenntlichmachung von Tiermehl durch einen Farb- oder Geruchsstoff. Zunächst gab es angeblich keinen geeigneten Stoff. Seit 2008 ist die Markierung von Tiermehl der Risikokategorie 3 (das zum Beispiel als Düngemittel verwendet, aber nicht als Futtermittel eingesetzt werden darf) mit Glycerintriheptanoat (GTH) vorgeschrieben - eine Substanz, die farblos, geschmacklos und geruchlos ist und nur im Labor nachgewiesen werden kann. Dem Betrug sind damit Tür und Tor geöffnet.

"Schlachtabfälle, die von der menschlichen Nahrungskette ferngehalten werden sollen, wurden jahrelang gar nicht eingefärbt. Neuerdings werden verarbeitete Abfälle mit einer Substanz markiert, die man weder riecht noch schmeckt noch sieht. Aus lauter Industriefreundlichkeit mutet die EU ihren Bürgern zu, dass ihnen ohne Probleme Schlachtabfälle untergejubelt werden können", sagte Matthias Wolfschmidt von foodwatch. "Gleichzeitig werden alle BSE-Bekämpfungsmaßnahmen Schritt für Schritt zurückgefahren. Das Fazit: Die europäische Politik hat nichts aus BSE gelernt."

Am 24. November 2000 war in Schleswig-Holstein der erste BSE-Fall einer in Deutschland geborenen Kuh festgestellt worden. Insgesamt wurden weltweit 190.400 BSE-Fälle registriert, in Deutschland 419 (zuletzt zwei Fälle im Jahr 2009). Weltweit starben mehr als 200 Menschen an der durch BSE ausgelösten neuartigen Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit.

10 Jahre BSE in Deutschland – 10 Thesen

Das BSE-Paradox: Wie der größte Betriebsunfall der europäischen Agrarpolitik zu einem unkontrollierten Markt für Schlachtabfälle und Tiermehl führte und Gammelfleischskandale erst ermöglichte

  1. Die Bekämpfung von BSE seit 2001 war erfolgreich, die Krankheit ist auf dem Rückzug. 
  2. BSE ist noch nicht ausgerottet. Der Erreger existiert weiterhin. Deshalb besteht weiterer Forschungsbedarf, und Sicherheitsmaßnahmen zum Eindämmen von BSE sind weiterhin erforderlich.
  3. Die Fleischwirtschaft ist die große Gewinnerin der BSE-Krise. Während die Unternehmen vor BSE ein Großteil der Schlachtabfälle kostenpflichtig entsorgen mussten, konnte sie durch die BSE-Krise in der europäischen Gesetzgebung handstreichartig die freie Handelbarkeit von etwa 80 Prozent aller Schlachtabfälle durchsetzten.
  4. Die „Agrarwende” der rot-grünen Bundesregierung sorgte für „(Agri-)business as usual“, statt die nötigen strukturellen Veränderungen auf den Weg zu bringen.
  5. Die BSE-„Roadmap“ der EU von 2005 propagierte die Rückkehr zur „Vor BSE“-Normalität – und senkte den Schutz der Verbraucher.
  6. Viele Gammelfleisch-Skandale wurden durch die BSE-Politik der EU erst ermöglicht. Die europäische Fleischwirtschaft wurde im Gefolge der BSE-Bekämpfungsmaßnah-men nachweislich unkontrollierbarer und betrugsanfälliger.
  7. Der Markt für Fleisch und Fleischabfälle ist der öffentlichen Kontrolle entzogen. Sage und schreibe 71 europäische Rechtsakte rund um die BSE-Bekämpfung sind von 2001 bis einschließlich 2009 dokumentiert – zuletzt mit klarer Tendenz zur Lockerung der Bekämpfungsmaßnahmen. Außerdem wurden die Regeln über den Umgang mit tierischen Abfällen 65 Mal geändert und ebenfalls weitreichende Lockerungen durchgesetzt, zum Beispiel Ausnahmen vom Handelsverbot mit Risiko-Material. Andererseits wurde die Einfärbung von Schlachtabfällen als die zentrale Maßnahme der EU-Verordnung zum Schutz der Verbraucher bis 2007 gar nicht durchgesetzt. Seit Juli 2008 ist nun ein farbloser, geruchloser, ungiftiger und billiger chemischer Marker zur Kennzeichnung von Kat 3-Material vorgeschrieben. Ab März 2011 könnte diese Vorschrift ganz entfallen.
  8. Das BSE-Paradox besteht darin, dass ausgerechnet die erfolgreiche Bekämpfung einer neuartigen Epidemie in europäischen Rinderherden zu einem unsicheren, intransparenten und unkalkulierbaren Fleisch- und Fleischabfall-Markt geführt hat. 
  9. Die Verantwortung und Haftung der Hersteller darf sich nicht nur auf das Produkt beschränken, sondern muss auch die Entsorgung oder Verwertung der Abfälle umfassen. Diese ist lückenlos zu dokumentieren.
  10. Eine Wieder-Zulassung der Verfütterung von Tiermehl an Nutztiere kommt nur in engen Grenzen in Frage. BSE-riskantes Material muss dauerhaft und vollständig aus der Futter- und Lebensmittelkette herausgehalten werden.

Quelle: foodwatch

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