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Kalt erwischt - „Power, Action, Survival”"

Archivmeldung vom 19.03.2005

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.03.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Michael Dahlke

19. März 2005 Nordheim vor der Rhön, im März. Ein deutsches Mittelgebirge wird zum Krisengebiet erklärt. Was genau in den Tälern zwischen dem 932 Meter hohen Kreuzberg und dem 751 Meter hohen Gebaberg passiert, weiß bislang niemand so genau.

Allerdings sprechen Beobachter der UN schon von „ethnischen Säuberungenin der Rhön”. Massengräber wurden entdeckt, unter anderem in Bischofsheim, wo die Blauen Brigaden seit Wochen wüten. Tausende Menschen sind obdachlos, Tausende auf der Flucht. Starke Schneefälle und Temperaturen von bis zu minus 20Grad Celsius erschweren ihre Versorgung. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den zwei verfeindeten Parteien KTU und OSP eskalieren. Darum beschließt der UN-Sicherheitsrat, Friedenstruppen - Xfor genannt - zu entsenden. Dutzende internationale Hilfsorganisationen machen sich auf den Weg. Auch ein Humedica-Ärzteteam wird in Nordheim vor der Rhön erwartet.

„Power, Action, Survival”"

Der Herdecker Mund-, Gesichts- und Kieferchirurg Manfred Nilius fährt in seinem Mercedes-Cabriolet vor. Die Kinderärztin Sandra Seckelmann aus Frankfurt kommt mit ihrem Mann Carsten im kleinen Ford Fiesta. Philipp Neugebauer, Rettungssanitäter bei den Maltesern in München, sitzt noch mit der Ausrüstung im Humedica-Lastwagen bei Bad Neustadt in einer Schneewehe fest. Und die Krankenschwester Antonie Riesen ist lieber gleich mit der Bahn angereist. Treffpunkt ist ein Gehöft in Nordheim vor der Rhön, das dem Förster Michael Betz gehört. Er steht hinter seiner Scheune - neben ihm der schnauzbärtige Joachim von Hippel.

Ihm sieht man die zwölf Jahre bei der Bundeswehr an. Der Einzelkämpfer und Hauptfeldwebel der Reserve war in Somalia, Afghanistan, Saudi-Arabien, Bosnien und im Kosovo stationiert. Im Juni 2004 gründete Hippel sein Bamberger Unternehmen PAS-Team „Power, Action, Survival”). Seither bildet er vor allem humanitäre Helfer aus, aber auch Korrespondenten, Kriegsberichterstatter und Personen, die beruflich in Krisengebiete müssen. Drei Tage dauert das Sicherheitstraining, es kostet 520Euro pro Teilnehmer. Humedica will insgesamt 40ehrenamtliche Helfer an mindestens zwei Wochenenden im März schulen lassen - auf einem 400Meter Hektar großen Waldstück im Landkreis Rhön-Grabfeld.

Die Rhön wird zur Krisenregion

An diesem Freitagmittag werden zwölf Teilnehmer erwartet: zehn Männer, unter ihnen auch der hauptamtliche Humedica-Mitarbeiter Michael Prestele, und zwei Frauen. Sie opfern ihre Urlaube, um Menschen in Not zu helfen, derzeit vor allem den Tsunami-Opfern im Norden Sri Lankas und Flüchtlingen im Sudan. Keiner der freiwilligen Helfer weiß im Detail, was ihn erwartet, weder in der „Dritten Welt” noch in der Rhön, die Joachim von Hippel für drei Tage zur Krisenregion erklärt hat.

Wenig bekommen die Teilnehmer an die Hand: Hippel bestimmt einen Koordinator (Philipp Neugebauer), legt fest, daß sich fortan alle duzen werden „Das erleichtert die Arbeit und fördert das Teamgefüge”) und empfiehlt, sich bei weiteren Fragen mit Xfor oder, wie es auch sonst im Krisenfall üblich ist, mit Ocha in Verbindung zu setzen - dem von den UN eingerichteten Büro für die Koordination humanitärer Angelegenheiten „Office for the Coordination of Humanitarian Affair”). Ocha gibt als ersten Funkspruch durch, daß die Zeit dränge: Schnell werden die Rucksäcke auf den Lastwagen verladen, Sandra geht ein letztes Mal auf die Toilette, und Manfred schlüpft in lange Unterhosen.

Mit Kampfgesang zu mehr Aggressivität

Fünf Kilometer entfernt, auf einer schneebedeckten Wiese, soll das Lager entstehen. Philipp teilt Gruppen ein: Sechs bauen das Gemeinschaftszelt mitsamt Feldbetten auf, zwei kümmern sich um die Stromversorgung, zwei weitere um frisches Wasser und die Latrine, der Rest sammelt und zerkleinert Holz für ein großes Feuer. Die Latrine, durch eine Plane vor neugierigen Blicken geschützt, kann schon nach kurzer Zeit vom Koordinator begutachtet werden. Der Zeltaufbau aber stockt. Die kürzeren wurden mit den längeren Stangen vertauscht, der Giebel muß wieder eingerissen werden. Joachim spielt derweil lautstark den abgehackt-einsilbigen Kampfgesang von amerikanischen Marines ab, zu dem sich zwar rhythmisch marschieren, aber nicht besonders gut arbeiten läßt: „I Will Do What I've Been Told” „Das macht aggressiv”, weiß der erfahrene Soldat).

Im Wald ertönen plötzlich Schreie: Förster Michael hat sich mit der Motorsäge schwer verletzt, kunstvoll tropft eine rote Flüssigkeit am Unterschenkel herunter. Philipp schickt ärztliche Hilfe, Krankenschwester Antonie eilt mit Verbandszeug hinterher. Eine Trage wird herbeigeschafft, nach zehn Minuten liegt der Verletzte neben der Zeltruine. Joachim setzt die Trillerpfeife an, und alle kommen zusammen. „Medizinisch seid ihr gut drauf. Doch mit der Kommunikation klappt es nicht.” Der Team-Koordinator wußte auch nach zehn Minuten noch nicht, ob es zwei Verletzte gibt oder Antonie zwei Sanitäter anfordern wollte.

Zeit der Anekdoten

Abends im Zelt gibt es Eintopf aus Dosen. Er wird in einem verrußten Topf über dem Feuer erhitzt. „In so einem Pott haben wir unser chirurgisches Besteck sterilisiert”, erzählt Manfred von einem Humedica-Einsatz in einem nicaraguanischen Gefängnis. Nun folgt eine Anekdote nach der anderen: Hans Neumeier, Allgemeinmediziner in Kaufbeuren, war im November in Darfur, wo er in einem Flüchtlingslager selbst zum Opfer wurde. „Marodierende Polizisten haben wahllos auf uns eingeprügelt.” Und Philipp gehörte zu den ersten Helfern, die sich nach dem Tsunami am 28.Dezember auf den Weg von Colombo nach Point Pedro gemacht haben. „Fünfzehnmal in achtzehn Stunden wurden wir angehalten, mal von srilankischen Soldaten, mal von tamilischen Rebellen.” Genau darum werde an diesem Wochenende auch das richtige Verhalten an Check-Points trainiert, sagt Joachim.

Später zeigt er Fotos von Minen, wie sie auch im Norden Sri Lankas zu Tausenden noch herumliegen. Sein PAS-Kamerad Thorsten Wolff, Dienstgrad Unteroffizier, teilt derweil Landkarten für den nächsten Tag aus. „Ran an den Baum, rauf auf den Baum”, sagt er und meint die Koordinaten, denen man sich erst horizontal, dann vertikal nähern soll: Bei „NA 84,1/92,7” findet sich zum Beispiel der Sportplatz von Nordheim, „NA 85,3/96,8” ist der Standort des Lagers, und „NA 87,4/90,7” ist Ostheim vor der Rhön - das morgige Ziel. Soll man Wachen einteilen, die sich zugleich um die Stromaggregate, das Heizgebläse fürs Zelt und das Feuer kümmern müßten? Joachim rät dringend zu, Philipp und die meisten anderen sehen keine Notwendigkeit.

Miese Stimmung und ein Minenunglück

Um drei Uhr in der Früh ist der Tank der Heizung leer. Um sechs ist es im Zelt deutlich unter null Grad kalt. Die Stimmung ist mies, vor allem unter denen, die sich aus ihrem Sommerschlafsack schälen. Philipp ist als erster draußen und an der Stelle, an der einmal das Feuer brannte. Es hat geschneit, das am Tag zuvor gesammelte Holz ist regelrecht durchweicht. Auch anderthalb Stunden später gibt es noch kein heißes Wasser, gefrühstückt werden Brot und Marmelade. Gutgelaunt steht nur einer draußen in der Kälte: Manfred, um sich zu rasieren.

Punkt acht brechen alle auf, angeführt von einer Einheimischen, die im wirklichen Leben Joachims Frau ist. Sie soll an vermintem Gelände vorbei und bis nach Ostheim führen. Doch ausgerechnet sie tritt eine halbe Stunde später auf eine Mine und bleibt schwer verletzt am Boden liegen. Roter Rauch steigt auf. Vorsichtig nähert sich Manfred, indem er in ihre Fußspuren tritt. Sie wird versorgt. Nun gilt es, eine Trage aus zwei dicken Ästen und einer Plane anzufertigen. Nicht einfach, wenn man den Weg nicht verlassen kann, um Holz zu suchen. Mühsam wird die Frau schließlich geschultert und erst einmal zurück in Richtung Lager getragen. Alle hundert Meter ist eine Pause nötig. Ein Hilferuf über Funk an Xfor. Die Antwort: „Keine Kräfte verfügbar. Viel Glück!”

Die Situation wirkt erschreckend real

Fast eine halbe Stunde dauert es, bis ein sicherer Weg um das Minenfeld herum gefunden ist. Über ein offenes Feld geht es weiter Richtung Ostheim. An einer Brücke warten schon zwei alkoholisierte Freischärler: Sie sammeln alle Uhren und Kameras ein, erschießen dann die Verletzte, weil sie eine Verräterin sei. Der Schock sitzt tief, auch wenn es nur Teil des Trainings ist. „Wozu tragen wir denn die roten Humedica-Westen?” fragt Sandra. Joachim, der einen der beiden Partisanen gespielt hat, berichtet von seinen Erfahrungen aus Bosnien: „Denen war egal, daß ihnen jemand helfen wollte. Dort gab es Scharfschützen, die aus 1600 Meter Entfernung ein oder zwei Mitarbeitern von Hilfsorganisationen in die Beine geschossen haben. Damit war gleich die ganze Gruppe gehandicapt und deutlich geschwächt.”

Hinter der Brücke müssen die drei Landkarten abgegeben werden: Die Gruppe kann sich nun nur noch auf selbstgezeichnete Skizzen verlassen. Längst hat der Koordinator Ocha mitgeteilt, daß das Ärzteteam nicht vor 15Uhr sein Ziel erreichen wird (was keiner ahnt: bis nach Ostheim werden sich die Mediziner überhaupt nicht durchschlagen können). Mehrere Male noch stößt Humedica auf Bewaffnete. Unterschiedliche Szenarien werden durchgespielt und danach ausführlich besprochen. Höhepunkt am Nachmittag ist eine Geiselnahme. Gesichter in den Schnee, Hände auf den Rücken, Tuch über den Kopf: Hilflos muß die Gruppe zusehen, wie einer von ihnen gefesselt und mitgenommen wird. Die Geisel wird etwa 200 Meter durch den Wald geführt, dann auf den Boden gestoßen. Eine Pistole wird entsichert, sogar ein Schuß fällt. Die Situation wirkt erschreckend real. Einige meinen später, damit sei man zu weit gegangen. Joachim sieht das anders: „Denkt an die Lage im Irak. Das könnte euch genauso passieren.” Dann spricht er über Fehler: Die Geisel habe den Kidnappern direkt ins Gesicht gesehen. Das wirke provozierend. „Am besten nur nach unten blicken und sich zunächst unterwürfig verhalten.”

„Vergeßt nicht: Ihr seid humanitäre Helfer”

Ocha hat den Humedica-Einsatz für diesen Tag aufgegeben. Die zwölf stapfen erschöpft zurück zum Lager. Und erleben eine böse Überraschung: Im Schnee liegen zwei Schwerverletzte, das Zelt ist verwüstet und mit Sprengfallen versehen. Xfor empfiehlt, über Nacht ein neues Lager 500 Meter entfernt aufzuschlagen. Ab-, dann wieder aufbauen, Holz schlagen, Feuer machen. Wieder Eintopf: Antonie steht eine Stunde mit klammen Fingern in der Kälte und schält angefrorene Kartoffeln mit einem Taschenmesser.

Übernächtigt wird am nächsten Morgen die Ausrüstung eingesammelt und verpackt. Mittags kommt die Gruppe ein letztes Mal zusammen und diskutiert - unter anderem über Hierarchien. Nicht nur die Männer von PAS, auch einige der jüngeren Teilnehmer halten sie in einem solchen Einsatz für unentbehrlich. Der Koordinator sollte noch Unterkoordinatoren bestimmen: einen fürs Feuer, fürs Essen, für die Ausrüstung. Klare Befehlsketten seien wichtig. Hans, der schon mehrere Einsätze für Humedica hinter sich gebracht hat, sieht das anders: Sie seien schließlich eigenständige Personen, und in einem Team sei eine Rangordnung nur schädlich. Auch über den Nutzen des Seminars ist man sich nicht einig. Die Mehrheit kann sich nicht vorstellen, daß Humedica in ähnlich brenzlige Situationen geraten könnte. „Das hoffe ich”, sagt Joachim von Hippel zum Abschluß: „Eines aber solltet ihr auch dann nicht vergessen: Ihr dürft nie Waffen mit euch führen oder euch mit einer der Kriegsparteien gemein machen. Sonst verliert ihr eure Glaubwürdigkeit. Vergeßt nicht: Ihr seid humanitäre Helfer.”

Quelle: Peter-Philipp Schmitt http://www.faz.net/

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