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Die Büchse der Pandora – Pillen wider Willen

Archivmeldung vom 06.08.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.08.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Der baden-württembergische Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) hat (wie berichtet) den Bundesgesetzgeber aufgefordert, so schnell wie möglich eine „gesetzliche Grundlage“ für die „medikamentöse Zwangsbehandlung von psychisch kranken Menschen“ zu schaffen. Ärzte und Betreuer bräuchten schnell eine „gesetzliche“ Grundlage im BGB, die es ihnen erlaube, solche Zwangsmaßnahmen ausnahmsweise gegen den Willen der Patienten anzuwenden, so der Minister.

Weiterhin drohte er der Bundesjustizministerin, durch die grün-rote Landesregierung im Herbst eine entsprechende Bundesratsinitiative einzubringen, sollte sie bis dahin noch nicht tätig geworden sein.

Der Gesetzgeber soll somit dazu angehalten werden, unliebsame Gerichtsurteile zum Wohle der Patienten zukünftig zu verhindern und die Rechtsprechung im Sinne der Politik zu korrigieren.

Es ist aber kaum vorstellbar, dass auf lange Sicht eine solche Praxis auf wenige, äußerst schwere Fälle beschränkt bleiben wird. Wenn etwas machbar und möglich ist, dann wird dies im allgemeinen auch getan. Und die Hemmung, dies zu tun, schwindet mit der Häufigkeit des Tuns zusehends.

Rainer Stickelberger spricht selbst auch gar nicht mehr von einigen wenigen Patienten, sondern schätzt deren Zahl allein in seinem Zuständigkeitsbereich auf circa eintausend.

"Nach der Entscheidung des BGH kann ich diese Menschen nur unterbringen, ich kann aber zum Beispiel nichts gegen psychische Erkrankungen tun, die in Schüben auftreten und dringend mit Medikamenten behandelt werden müssen", beklagte er sich gegenüber der F.A.Z. Und er erläuterte weiter, dass beispielsweise eine schwere Schizophrenie oder eine schwere manische Depression Krankheitsbilder seien, die eine zwangsweise verordnete Behandlung mit Medikamenten erforderlich machten. Diese medizinische Einschätzung vertritt er als Jurist.

Aber was bedeutet das denn im Weiteren?

Die Auswirkungen einer solchen Entscheidung werden ja nicht auf die Menschen beschränkt bleiben, die sich zwangsweise behandelt in den Einrichtungen befinden. Sie wird auch vor allem für die vielen Personen Bedeutung erlangen, die dringend psychologischer Hilfe bedürften und für die die Hürden der Hemmung und der Angst, sich jemandem in ihrer Not anzuvertrauen, immens wachsen werden. Im Hinterkopf wird doch immer die Furcht herumspuken, dass man möglicherweise, wenn man sich nur irgendwie falsch verhält, ebenfalls in eine dieser Zwangsmaßnahmen hineingeraten könnte.

Somit werden viele Erkrankungen unentdeckt und unbehandelt bleiben. In letzter Konsequenz könnten einige Fälle dadurch sogar derart eskalieren, dass eine Gefahrensituation für die betroffenen Menschen, aber auch für die Allgemeinheit entsteht, beziehungsweise geschaffen wird. Spätestens wenn jemand, gerne immer leichtfertig als verwirrte Person bezeichnet, einen anderen Menschen verletzt oder tötet, vielleicht im schlimmsten Fall sogar Amok läuft, stehen wir vor einer Situation, die es zu verhindern galt. Und am Ende haben dann wieder einmal die recht, die uns die Suppe erst richtig eingebrockt haben.

Aber damit noch nicht genug!

Wenn die unfreiwilligen Maßnahmen ausgehend von einer zwangsweise Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung bis hin zur Fixierung, einem verharmlosenden Wort für Fesselung, und Ruhigstellung ausgeweitet werden auf eine zwangsweise Verabreichung von Medikamenten, einem Vorgang, der wohl kaum ohne Gewaltanwendung auskommen dürfte, dann ist es nur ein geringer Grad bis zum Beschluss weiterer einschneidender Maßnahmen zur Beschränkung der Freiheit der unglücklichen Patienten. Wenn erst einmal eine Behandlung gegen den Willen der Menschen zum Alltag gehört und wie selbstverständlich hingenommen wird, dann werden auch zwangsweise durchgeführte Operationen keine besondere Hürde mehr darstellen. Sie könnten mehr noch als logische Konsequenz und Ergänzung der bis dahin durchgeführten Behandlungen angesehen werden.

Plötzlich erscheinen Zwangssterilisationen von psychisch Kranken oder auch Behinderten gar nicht mehr so abwegig, Gehirnoperationen, die einer Lobotomie an Grausamkeit an nichts nachstehen, minimal-invasive Chirurgie hin oder her, als durchaus machbar.

„Es betrifft doch nur schwere psychische Erkrankungen..“

Aber wer sagt denn, dass zwangsweise durchgeführte Behandlungen sich allein auf die Psyche beschränken müssen? Wären nicht auch noch ganz andere Anordnungen möglich, die sich auf das Spektrum der so genannten „normalen Krankheiten“ beziehen? Spätestens wenn einem vorgeschrieben wird, dass und vor allem wie man sich bei einem physischen Gebrechen, mag es sich einem als beeinträchtigend darstellen oder nicht, behandeln lassen muss, sind wir bei einem Punkt angekommen, wo es buchstäblich jeden treffen kann. Oder halten Sie es wirklich für so abwegig, angesichts angespannter Haushaltslagen und steigender Krankheitszahlen bei den so genannten Volkskrankheiten, dass man Ihnen nichts vorschreiben wird? ...
Ernährungsampeln, Gesundheitsprämien und Rauchverbote sprechen da wohl eine deutliche Sprache.

Denn eines sollte bei diesen Diskussionen völlig klar sein: Es werden Interessen verfolgt, die kaum die der betroffenen Menschen sein dürften. Im aktuellen Fall wird von der Behandlungsbedürftigkeit psychischer Erkrankungen gesprochen, möglicherweise auf die Gefährdung der Sicherheit der Allgemeinheit hingewiesen. Doch darum kann es sich kaum handeln! Denn welche Gefahr für die Allgemeinheit geht denn von einem sicher eingesperrten Menschen aus? ...
Sicherheit, beziehungsweise deren Bedrohung, ist aber immer eine hilfreiche Phrase, wenn es um die Einschränkung der Freiheit geht.

Vielmehr dürften hier finanzielle Aspekte im Vordergrund stehen. Eine reine Verwahrung ist zu teuer, der „gesunden Allgemeinheit“ gegenüber nicht zu rechtfertigen. Eine symptomatische Behandlung mit Psychopharmaka erscheint als effizienter und ist erheblich billiger, als sich um die Interessen der betreffenden Menschen zu kümmern. Zudem tut sich eine weitere Spielwiese für die Pharmaindustrie auf, die ja schließlich immer neue Probanden für ihre „klinischen Studien“ (ebenfalls eine Verharmlosung, die nichts anderes als Menschenversuche meint) benötigt.

Die ärztliche Direktorin des Isar-Amper-Klinikums in München, eine der größten psychiatrischen Kliniken Deutschlands, Margot Albus kritisiert die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zum Verbot der Zwangsbehandlungen. Die Richter hätten "den Patienten keinen Gefallen getan", sagte sie dem Nachrichtenmagazin „Focus“.

Das größte Problem bestehe nun für Menschen mit Psychosen, die auf Grund ihrer Wahngedanken nicht bereit seien, Medikamente zu nehmen. Es bliebe nichts anderes übrig, als solche Patienten zu entlassen, obwohl diese schwer krank seien.

"Da kommt auf die Angehörigen psychisch Kranker Einiges zu. Aber auch von der Gesellschaft insgesamt wird mehr Toleranz gefordert sein", so Margot Albus weiter.

Interessant: das „Problem“ oder die Schuld an der Situation wird letzten Endes auf die Patienten abgewälzt. Diese haben eine Bringschuld zu leisten, nämlich die Kooperation mit den Ärzten. Das bedeutet, immer brav seine Tabletten zu schlucken, egal, ob sie wirken oder nicht, ob sie gut tun oder eher schaden. Ist diese Kooperation nicht möglich oder nicht durchzusetzen, werden diese Menschen entlassen und auf sich selber gestellt. Gleichzeitig wird die Angst der Gesellschaft gegenüber psychisch Kranken geschürt.

Und laut Albus haben die Rauswürfe schon begonnen: "Wir sind bereits dabei, die ersten Patienten zu entlassen.“ Derzeit seien es "ein bis zwei Patienten pro Tag, die sich nicht behandeln lassen wollten - also mehrere Dutzend deutschlandweit, so die Professorin: 'Ich könnte mir vorstellen, dass durch die breite Berichterstattung nun weitere hinzukommen.'"

Ein starkes Stück!

Nicht nur, dass die Menschen von den Ärzten verlassen werden, indirekt wird auch den Medien gedroht und von ihnen verlangt, von diesen Vorgängen besser nicht zu berichten. Das ist außerordentlich schäbig

Wieder einmal drängt sich der Eindruck auf, dass Klinikärzte, besonders im Bereich der Psychiatrie, nur wenig aus den brutalen und menschenverachtenden Vergangenheiten ihrer Einrichtungen gelernt haben.

Kommentar von Thorsten Kroll

(Thorsten Kroll, geboren 1975 in Herten, lebt seit 1988 In Marburg. Nach dem Abitur und einer Ausbildung zum IT-Kaufmann arbeitete er bis 2002 im Bereich Rehatechnik, danach als Verleger für Audioproduktionen; seit 2008 auch als Autor. Momentan entsteht sein erster Roman. Er veröffentlichte mehrere Erzählungen, außerdem einige Kurzstücke, in denen er sich auch immer wieder mit seiner Situation Als Blinder Autor und Künstler auseinandersetzt)

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