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Mittelbayerische Zeitung: Eine schwere Geburt

Archivmeldung vom 19.08.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.08.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

In Deutschland kommen wieder mehr Kinder zur Welt, mehr Frauen entscheiden sich für ein zweites und drittes Kind. Diese Nachricht ist durchaus ein Grund zur Freude, nicht aber zur Euphorie. Von einem Baby-Boom kann nämlich noch lange nicht die Rede sein. Erstens bleibt Deutschland mit einer Geburtenziffer von 1,39 Schlusslicht in Europa. Zweitens verhindert ein Anstieg um 13 000 Geburten nicht, dass die deutsche Gesellschaft weiter schrumpft.

Drittens erkennt derjenige, der einen genauen Blick auf die Statistik wirft: Die Geburtenrate hat sich auch deshalb erhöht, weil die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter von 18,7 Millionen 2009 auf 18,4 Millionen 2010 gesunken ist und viertens vor allem Frauen in Ostdeutschland mehr Kinder bekommen. All das zeigt: Am Ziel sind wir noch lange nicht. Viele, viele Schritte müssen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch beharrlich gegangen werden, bis Deutschland sich als kinderfreundliches Land bezeichnen darf. Kindergeld, Elterngeld und Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen zum Trotz befinden sich junge Frauen und Männer auch heute noch in einer gewaltigen Zwickmühle, wenn sie Beruf und Familie miteinander vereinbaren wollen - oder angesichts der zunehmenden Ausbreitung des Niedriglohnsektors müssen. Das Problem ist nur: Mit der Flexibilität, die Berufstätigen abverlangt wird, kann die Betreuung nicht immer mithalten - wenn denn überhaupt ein Kita-Platz zur Verfügung steht. Dieses Dilemma führt dazu, dass Frauen immer später Kinder bekommen. So war 2008 eine deutsche Mutter bei der Geburt ihres ersten Kindes durchschnittlich 30,4 Jahre alt - laut dem Bamberger Familienforscher Prof. Dr. Hans-Peter Blossfeld zehn bis 13 Jahre älter als noch vor 20 oder 30 Jahren. Im schlechtesten Fall verzichten Frauen aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten ganz auf Kinder - was laut Umfragen bei vielen der Fall ist. Die andere Variante: Mütter bleiben nach der Geburt ihres Kindes für längere Zeit zuhause. Das aber kommt Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels teuer zu stehen und den Müttern selbst erschwert es den Wiedereinstieg ins Berufsleben. Viele Betriebe haben die Zeichen der Zeit erkannt und bieten Müttern und Vätern flexible Arbeitszeitmodelle, Eltern-Kind-Büros oder hauseigene Kindergärten an. Das schafft - neben der staatlichen Hilfe - Perspektive für junge Menschen und erleichtert ihnen die - frühe - Entscheidung für ein Kind. Unternehmen, die mit familienfreundlichen Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter Kind und Karriere miteinander verbinden können, genießen schon jetzt einen Marktvorteil. Aber nicht nur finanzielle Unterstützung oder die ausreichende Anzahl qualifizierter und flexibler Kinderbetreuungsplätze macht die Kinderfreundlichkeit einer Gesellschaft aus. Die zunehmende Übertragung des Leistungsprinzips von der Arbeits- auf die Kinderwelt verhindert, dass Kinder Kinder sein können. Die schulische Leistung sollte angemessen sein - der Übertritt aufs Gymnasium eine Selbstverständlichkeit, die Freizeit der Kinder am besten durch Musikunterricht oder Sport verplant. Dass dies nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Eltern zu Versagens- und finanziellen Ängsten führt, liegt mehr nahe. Solange anstatt der Lust auf Nachwuchs beim Thema Kinder bei jungen Frauen und Männern die Angst - vor dem Jobverlust, vor dem finanziellen Ruin, vor dem Versagen bei der Erziehungsaufgabe - regiert, wird sich nicht viel ändern. Und Deutschland das kinderärmste Land in Europa bleiben.

Quelle: Mittelbayerische Zeitung (ots)

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