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BERLINER MORGENPOST: Türen im Kopf geöffnet

Archivmeldung vom 16.07.2018

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.07.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

Kurzform: Mit den Begegnungen wurden Vorurteile abgebaut: die des Westens von einem Russland, das allein das Gesicht des Despoten Wladimir Putin trägt. Wir haben erlebt, dass die Russen feiern wie wir, dass sie leiden wie wir und dass sie fünf Wochen lang tolle Gastgeber waren. Aber auch die Vorurteile der Russen über die Welt wurden etwas abgebaut. Sie haben erlebt, dass sie eben nicht umzingelt sind von Feinden, wie ihnen das die Staatspropaganda weismachen will. Das positive Erbe dieser WM ist deshalb kein sportliches und schon gar kein ökonomisches - es ist ein emotionales.

Der vollständige Leitartikel: Zwei Zahlen verdeutlichen, was das Erbe der Fußball-WM in Russland sein wird, die am heutigen Sonntag mit dem Finale Frankreich gegen Kroatien endet: 68 Prozent der Russen hatten laut des unabhängigen russischen Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum zuvor nie das Land verlassen. Dann kam die WM, und mehr als 700.000 ausländische Fans reisten an. Von diesem Turnier wird daher bleiben, dass sich das größte Land der Erde und der Restplanet, deren Verhältnis schwer belastet ist, endlich etwas besser kennengelernt haben - auf Fanfesten, in Kneipen und Stadien. Und wenn man den Erhebungen glauben darf, wonach die Dating-App Tinder während der WM Hochkonjunktur hatte, sind sich die Menschen wirklich nähergekommen. Mit den Begegnungen wurden Vorurteile abgebaut: die des Westens von einem Russland, das allein das Gesicht des Despoten Wladimir Putin trägt. Wir haben erlebt, dass die Russen feiern wie wir, dass sie leiden wie wir und dass sie fünf Wochen lang tolle Gastgeber waren. Aber auch die Vorurteile der Russen über die Welt wurden etwas abgebaut. Sie haben erlebt, dass sie eben nicht umzingelt sind von Feinden, wie ihnen das die Staatspropaganda weismachen will.

Das positive Erbe dieser WM ist deshalb kein sportliches und schon gar kein ökonomisches - es ist ein emotionales. Aber niemand sollte glauben, dass die vergangenen fünf Wochen Normalität waren in Russland. Es war ein Ausnahmezustand - und er wurde bei allen positiven Effekten auch benutzt für eine politische Inszenierung Putins. Hooligan-Probleme und Chaos blieben aus, ja. Aber auch Proteste gegen die politische Führung. Das lag daran, dass Demonstrationen in den WM-Städten per Präsidentendekret verboten waren. Im Internet kursiert ein Video von einem russischen Blogger, der auf einem öffentlichen Platz einem Polizisten zuprostete. Er fragt ihn: Wird das auch nach der WM möglich sein? "Wenn du ein Russe bist, nein", sagt der Polizist. Das russische Sommermärchen, es wird ein Ende haben. Bleiben aber wird die Frage nach den Finanzen. Mit Kosten von offiziell zwölf Milliarden Euro ist diese WM die teuerste aller Zeiten. Ökonomen prognostizieren, dass die russische Wirtschaft davon nur marginal profitieren wird. Der größte Gewinner wird der Fußball-Weltverband selbst sein. Vier Milliarden Euro kassierte die Fifa 2014 in Brasilien. Weniger dürften es jetzt kaum werden.

Den Russen bleibt die Tatsache, dass man die WM benutzt hat, um in ihrem Windschatten eine umstrittene Rentenreform zu platzieren. Das Renteneintrittsalter wurde bei Frauen um acht, bei Männern um fünf Jahre angehoben. Zudem gab es eine Mehrwertsteuererhöhung von zwei Prozent - alles am Tag der WM-Eröffnungsfeier. Die Russen zahlen die Zeche selbst, aber das war auch schon in Brasilien und 2010 in Südafrika so. Ähnlich verhält es sich mit den WM-Stadien. Für sechs Milliarden Euro wurden elf Arenen um- oder neugebaut. Sechs beherbergen nach dem Turnier keinen Erstligisten. Es drohen sogenannte weiße Elefanten. Bei den Bauarbeiten gab es Menschenrechtsverletzungen und Korruption, auch das darf man nicht vergessen. Und damit wären wir bei der nächsten WM: Katar 2022. Sie hängt eng mit Russland zusammen. 2010 gab es eine skandalöse Doppelvergabe an beide Staaten. Stimmenkauf wurde zwar nie bewiesen, aber zahlreiche Mitglieder des damaligen Fifa-Exekutivkomitees wurden mittlerweile der Korruption überführt. Fußball bleibt vorerst auch ein dreckiges Geschäft. Eine WM kann das nicht ändern. Sie kann aber Türen im Kopf öffnen. Und damit ist schon einiges erreicht.

Quelle: BERLINER MORGENPOST (ots) von Jörn Meyn

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