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Börsen-Zeitung: Die Fed kapituliert

Archivmeldung vom 23.01.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.01.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Die Anleger haben Panik bekommen, und die US-Notenbank heizt sie an. Die überraschende Leitzinssenkung vom Dienstag wird das Ansehen der Federal Reserve langfristig und die Autorität von Ben Bernanke bis Ende seiner Amtszeit als Notenbankgouverneur im Januar 2010 beschädigen.

Gerade in turbulenten Zeiten bräuchte der Markt eine Geldpolitik, auf die Verlass ist. Bernanke aber hat sich für eine Art Management by surprise entschlossen. Noch vor Handelsbeginn, bevor die US-Aktienkurse die Chance hatten, sich eventuell aus eigener Kraft von den Verlusten der Vorwoche zu erholen, öffnetete er in voraus eilendem Gehorsam die geldpolitischen Schleusen. Der Lehrmeinung nach dauert es ganze sechs Monate, bis eine Änderung des Leitzinses ihre Wirkung entfaltet. Bernanke aber hat nicht einmal mehr acht Tage bis zur nächsten regulären Sitzung des Offenmarktausschusses warten wollen.

Nach den Märkten ist auch die Geldpolitik unberechenbar geworden. Wenn schon der Notenbankchef die Ruhe verliert, warum sollen dann die Marktteilnehmer besonnen bleiben? Mit 75 Basispunkten ist die außerordentliche Kürzung großzügiger ausgefallen als nach den Terroranschlägen vom September 2001. Damals senkte die Fed um 50 Basispunkte auf 3%, und es dauerte gerade einmal neun Monate, bis sie bei 1% angelangt war. Ähnliches können sich Anleger auch diesmal ausrechnen, schließlich rechnen Volkswirte schon vor, dass die Notenbank, um einer Rezession entgegen zu wirken, auch in der Vergangenheit ihren gesamten Straffungsprozess zu revidieren pflegte. Was aber wird passieren, wenn Bernanke den US-Leitzins bis September auf 1% herunter schleust und die Turbulenzen dennoch anhalten? Darauf, dass die groß angelegte Enthebelung an den Finanzmärkten bis Spätsommer abgeschlossen ist, will derzeit kaum jemand wetten.

Inhaltlich ist die Zinskürzung ja zu rechtfertigen. Die Stimmungsindizes und der jüngste Arbeitsmarktbericht deuten auf eine Schrumpfung der US-Wirtschaft hin. Und es mag ja sein, dass die Fed die vom Subprime-Sektor ausgehende Kreditkrise zunächst unterschätzt hat - das Debakel im Sektor für Hypotheken minderer Qualität wiege schwer, bleibe aber weitgehend eingedämmt, sagte Bernanke noch im Mai vergangenen Jahres.

Ob die Geldpolitik aber die Kreditklemme lösen kann, die vom Finanzmarkt auf die Realwirtschaft überzugreifen beginnt, steht dahin. Einer großzügigeren Vergabe von Darlehen stehen in erster Linie Solvenz- und Kreditrisikosorgen entgegen. Und ihnen ist nicht beizukommen, indem die Fed den Leitzins senkt, sondern indem die Gläubiger ihre Verluste offen legen und abschreiben. Die Zentralbank kontrolliert nur, wie viel Kredit kostet, nicht aber, in welchem Ausmaß er zur Verfügung steht. Und die Probleme des US-Immobilienmarkts wird Bernanke mit der großen Zinskürzung ohnehin nicht lösen. Dies weiß er selbst. Andernfalls würde er zugleich wohl kaum die von Präsident Bush geplanten Steuererleichterungen unterstützen.

Die Wahl des Zeitpunkts der Zinssenkung ist verheerend. Der Arbeitsmarktbericht lag schon vor gut zwei Wochen vor, und mit der Zinskürzung nach vier Tagen fallender Kurse von US-Aktien setzt sich der Notenbankgouverneur dem Verdacht aus, sich in seiner Geldpolitik vom Aktienmarkt beeinflussen zu lassen. Dabei ist es doch ein alter Hut, dass die Kursausschläge zunehmen, wenn der Kredit knapper wird. Laut ihrem Mandat hat die Federal Reserve die Aufgabe, das Ziel maximaler Beschäftigung, stabiler Preise und moderater langfristiger Zinsen zu verfolgen - von einer Glättung von Turbulenzen am Finanzmarkt ist nicht die Rede. Bisher schien sich der 54-jährige Notenbankgouverneur für die Anlageverluste von Marktteilnehmern nicht verantwortlich zu fühlen.

Nun hat er offenbar kapituliert. So lange er dem Offenmarktausschuss vorsitzt, werden Investoren jedenfalls darauf wetten, dass die Notenbank ihnen aus der Patsche helfen wird, verrennen sich nur genug Anleger in teure Fehlspekulationen. Dass Analysten eine neuerliche Zinssenkung in der kommenden Woche von der weiteren Entwicklung am Aktienmarkt abhängig machen, zeigt, welches Signal Bernanke und der Offenmarktausschuss gesendet haben. Ganz so weit, dass ein Schmelzen der Bewertungen am Aktienmarkt das Reinvermögen der US-Bürger zerstöre und zur Rezession beitrage, ist es freilich noch nicht: Im dritten Quartal zogen sie dank höherer Aktienkurse in einer Jahresrate von 5,6% an, wie die Federal Reserve Anfang Dezember mitgeteilt hat.

Aus dem so genannten Greenspan-Put ist der Bernanke-Put geworden. Dabei hat doch gerade der amtierende Zentralbankchef die langfristigen Folgen einer leichten Geldpolitik schmerzhaft zu spüren bekommen. Bernanke sei in einer sehr schwierigen Situation, hat Greenspans Vorgänger Paul Volcker erst vor wenigen Tagen zu Protokoll gegeben: "Zu viele Blasen haben zu lange angedauert. Die Fed hat die Situation nicht wirklich unter Kontrolle." Außer ihrem Habitus hat die US-Notenbank demnach kaum mehr Instrumente, ihre Geldpolitik am Markt durchzusetzen. Ben Bernanke wird womöglich in die Annalen eingehen als der Notenbankgouverneur, unter dem die Fed auch dieses Werkzeug aus der Hand gab.

Quelle: Börsen-Zeitung (von Bernd Neubacher)

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