Nicht ohne meinen Anwalt – oder: Die wundervolle Welt juristischer Abmahnungen
Archivmeldung vom 05.09.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDeutsch ist, das werden einige gern bestätigen, eine schwere Sprache. Allerdings kann Deutsch auch eine sehr teure Sprache sein, wenn man sich nicht sehr vorsieht, welche Wörter man in welchem Zusammenhang gebraucht.
Wer zum Beispiel Dienstleistungen anbietet, die in den Bereich der sogenannten „Helfenden Berufe“ fallen, der sollte nicht nur wissen, sondern auch tunlichst beherzigen, wo die Grenzen der Selbstdarstellung verlaufen: insbesondere dort, wo es um Aufgaben geht, die im weitesten Sinne damit zu tun haben, anderen zu einer Verbesserung des physischen oder psychischen Befindens zu verhelfen.
Denn schnell ist ein Begriff gebraucht, der mit „Heilen“ oder „Therapieren“ zu tun hat, mit „Schmerzen“ oder „Krankheiten“ - und das ist eindeutig ein komplett anderes Territorium, nämlich das der „Heilenden Berufe“. Und wer nicht über eine entsprechend anerkannte Ausbildung verfügt, die ihn oder sie zum Heilen berechtigt, also nicht Mediziner, anerkannter Therapeut, Heilpraktiker oder Psychologe mit Studienabschluss ist, der muss davon die Finger lassen, praktisch und auch sprachlich. Andernfalls riskiert er oder sie zur Beute eines abmahnenden Juristen zu werden. Und das kann böse – sprich: ärgerlich und teuer – ausgehen.
Gerade im Bereich der „Helfenden Berufe“ tummeln sich viele Menschen, die mit durchaus guten Absichten und zum Teil auch mit entsprechender Befähigung für andere da sein wollen, durch welche Dienstleistung auch immer … und die keinen blassen Schimmer davon haben, auf welches Glatteis sie sich begeben, wenn sie damit an die Öffentlichkeit treten.
Selbst jene, die es sich leisten, ihre Darstellung nach außen einem professionellen Texter zu überlassen, müssen mitunter erkennen, dass schöne Formulierungen allein nicht alles sind, wenn sie plötzlich damit konfrontiert werden, dass sie aus Unwissenheit in eine der unzähligen juristischen Sprachfallen manövriert wurden.
Wer hier seine Dienste als Texter/in anbietet, sollte über mehr als gutes Sprachgefühl und über ein Grundwissen an zielgruppengerechtem Schreiben verfügen : eine solide Ausstattung mit juristischem Know-how ist ebenso unabdingbar … oder der Besitz der Telefonnummer einer fachjouristisch gebildeten Person. Vermutlich sollte man am besten beides sein Eigen nennen.
Man mag über die diesbezüglichen Vorschriften im Detail streiten, man mag in ihnen eine Art protektionistische Einrichtung zugunsten der Schulmedizin sehen und ihre Existenz darob bedauern – ignorieren sollte man sie in keinem Fall.
Denn die Zahl der Juristen, die durch Abmahnungen ihr Geld verdienen, hat zugenommen. Das Internet hat hierfür ein ganz neues und vielgestaltiges Jagdterrain geschaffen.
Die Praxis folgt dabei nicht unbedingt der Logik – oder dem, was Menschen wie Sie und ich vermutlich für logisch erachten. Sie wird nicht selten durch massive Interessen bestimmt.
Abmahnungen sind zu einem Mittel im Konkurrenzkampf geworden. Auch und gerade im journalistischen Bereich. Da werden Abonnenten von Informationsdiensten, die – durchaus nach Rückfragen und eigener Recherche – in der Sicherheit leben, eine verlässliche Meldung weiterzugeben, abgemahnt, die eigentlichen Urheber jedoch bleiben unbehelligt, da ihre juristischen Möglichkeiten einfach zu groß sind, um sich mit ihnen anzulegen.
Es spielt nur eine untergeordnete Rolle, ob jene, die hinter solchen Abmahnungen stehen, nur davon profitieren wollen, dass sie ein kleineres Publikationsorgan melken oder ob sie damit auch noch konkrete Wettbewerbsinteressen verbinden. Der Effekt ist letztlich derselbe: Organe der Meinungsfreihet und -vielfalt werden behindert, eingeschüchtert, teilweise ganz zum Aufgeben gezwungen.
Auch hier gilt, wie in den meisten anderen Fällen: Die Kleinen henkt man, die Großen lässt man laufen.
Die Frage ist nur: Wie viel Gehenkte in diesem Sinne kann sich eine Demokratie leisten, ohne mit der Meinungs- und Redefreiheit eines ihrer höchsten Güter den (Scharf)Richtern zu überantworten? Oder: Wie scharf dürfen Richter sein, bevor sie zu Scharfrichtern werden am Informationsrecht der Öffentlichkeit?