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WAZ: Wenn wir von Krisen reden - Leitartikel von Dietmar Seher

Archivmeldung vom 26.10.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 26.10.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Schon das Foto macht Angst. Graues Pflaster. Grelle Scheinwerfer. Eine enge Straße und Panzer hier mit weißem, dort mit rotem Stern, die sich in 200 Meter Abstand lauernd gegenüberstehen. Es ist am 26. Oktober 1961 in Berlin aufgenommen. Am einzigen Ort dieser Welt, wo die hochgerüsteten Streitkräfte der USA und der Sowjetunion direkt aufeinander zielten und an einem dieser Tage im Kalten Krieg, die das Ende im atomaren Feuer hätten bringen können. Der versehentliche Griff eines Schützen am Abzugshebel - von Deutschland wäre, heute vor 50 Jahren, nur Asche geblieben.

Das Bild der Konfrontation am Checkpoint Charlie, die nach 16 Stunden durch einen Rückzugsbefehl des Sowjetführers Nikita Chruschtschow beendet wurde, hat sich der überlebenden Kriegsgeneration wie vielen Nachkriegsgeborenen tief ins Gedächtnis gebrannt. Wenn sie von einer ernsten Krise hören, dann denken sie an die in Berlin und um Kuba. An die ständigen Drohkulissen. An gehortete Einweckgläser "für den Fall des Falles", den ABC-Alarm, die paar Minuten Vorwarnzeit bis zum möglichen Einschlag der Nukleargeschosse und an Mutters Gebet am Kinderbett: Lieber Gott, erhalte uns den Frieden. Es war Flehen, keine Floskel. Es gab, nach Berlin und nach Kuba, wohl noch riskantere Situationen im Kalten Krieg. Noch sind Archive geschlossen, nicht alle bedrohlichen Vorgänge und Missverständnisse bekannt. Die Welt, das ist seit dem Mauerfall aber klar, ist noch einmal davongekommen: letztlich durch die Vernunft der damaligen Staatenlenker, durch ihr Streben nach einem "europäischen Haus", durch viel Glück - und vielleicht dank Mutters Gebeten. Heute reden die Deutschen wieder von Krise. Sie gucken verunsichert auf die Gipfeldiplomatie. Es geht um den Euro, Griechenland, um Renten und Ersparnisse. Es sind existenzielle Themen. Doch wir sollten den Blutdruck bremsen: Merkel und Sarkozy sprechen über eine Währung und ihre Stabilität, nicht über Krieg und Frieden. Wohlstand mag 2011 auf dem Spiel stehen. Schlimm genug. Aber es geht nicht ums Überleben - wie in Berlin am Checkpoint am 26. Oktober vor 50 Jahren. Das Land hat schon ernstere Lagen überstanden. Vielleicht macht die Erkenntnis ein wenig krisenfester. Fazit: Die Euro-Krise ist gefährlich. Aber Europa garantiert uns heute, zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer, weit mehr Frieden und Sicherheit als wir es in den Jahren des Kalten Krieges je hatten.

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (ots)

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