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Börsen-Zeitung: Die neuen Staatsbanken

Archivmeldung vom 14.10.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.10.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Wir schreiben das Jahr 2020. Eine neue Privatisierungswelle rollt durch Deutschland. Elf Jahre nach dem fehlgeschlagenen ersten Versuch wird das Kombinat "Finanzmarktstabilisierungsfonds" entflochten, die Volkseigenen Betriebe (VEB) wie Deutsche Bank, DZ Bank - Die Initiativbank und SüdLB werden (re)privatisiert.

Auch im Ausland machen die Wiedereinführung der Marktwirtschaft und der Rückzug des Staates aus dem Bankwesen Fortschritte. Erste Tranchen des Kapitals von Goldman Sachs und Royal Bank of Scotland, deren Listing kurz nach der Verstaatlichung eingestellt worden war, werden an die Börse gebracht. So weit kurz zusammengefasst Szenario I.

Zu karikierend angesichts der ungemein kritischen bank- und welthistorischen Phase, in der die Wirtschaft am Abgrund steht? Ende vorigen Jahres schrieben wir in einem satirischen Ausblick auf 2008, der chinesische Staatsfonds CIC werde Goldman Sachs übernehmen. Auch bei der amerikanischen Investmentbank selbst hat man sich damals köstlich amüsiert. Zehn Monate später, da nicht nur hierzulande, sondern allen voran in den kapitalistischen Musterländern USA und Großbritannien der Weg geebnet wird für erste Teilverstaatlichungen von Banken, bleibt den Betroffenen das Lachen im Halse stecken. Wir erleben Realsatire, und es ist alles andere als witzig.

Was El Kaida mit den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht gelungen ist, nämlich den Westen und sein Wirtschaftssystem mitten ins Herz zu treffen und zu destabilisieren, damit zumindest dessen Verletzlichkeit zu demonstrieren - ein paar wildgewordene Hasardeure vor allem aus der US-Finanzindustrie haben gute Aussichten, es zu schaffen: Die Marktwirtschaft westlicher Prägung zeigt Auflösungstendenzen. Und die Erosion der politischen Landschaft dürfte alsbald folgen. Denn auch als Wahlhelfer Oskar Lafontaines leisten die Urheber der Krise ganze Arbeit. Kurios daran: Der (Selbst)Zerstörungsmechanismus des Systems funktioniert, schon bevor die Linke im Bund an die Macht gekommen ist.

Jene, die den Kapitalismus seit langem vergebens politisch bekämpfen, können ihr Glück über die ihnen von der Hochfinanz auf dem Silbertablett servierte Staatswirtschaft kaum fassen. "Neoliberale Hardliner" nähmen mit der Teilverstaatlichung des Finanzsektors Positionen des globalisierungskritischen Netzwerks Attac ein, frohlockt Juso-Chefin Franziska Drohsel. Mal abgesehen davon, dass es von Neoliberalismus in der Politik weit und breit keine Spur gibt: Hat die Vorsitzende des SPD-Nachwuchses denn unrecht?

Sicher: Jetzt ist die Zeit für entschlossenes, pragmatisches Handeln und nicht für ideologischen Streit, übrigens auch nicht zwischen den drei Säulen des Kreditgewerbes. Aber man wird ja noch mal fragen dürfen, was das denn für eine Marktwirtschaft ist, in der gescheiterte Unternehmen nicht aus dem Wettbewerb ausscheiden müssen und dürfen, weil sie zu groß respektive systemrelevant sind.

Im Kampf gegen diese Bankenkrise und ihre Weiterungen brechen alle Dämme. Nicht genug, dass allein in Deutschland in einer Art Notstandsgesetzgebung vorerst bis zu rund 500 Mrd. Euro und weltweit etliche Billionen Dollar auf Kosten der Steuerzahler zur Rettung der Finanzwirtschaft ausgelobt werden; schon die umfassende Garantie für Bankverbindlichkeiten macht das Kreditwesen ja zu einer weitgehend staatlichen Veranstaltung. Aber haben wir Krieg, dass - neben Teilen der Insolvenzordnung oder des Wertpapierhandelsgesetzes - demokratische, wiewohl in diesem Fall nur aktionärsdemokratische, Rechte wie jenes der Hauptversammlung, eine Kapitalerhöhung zu beschließen, mal eben außer Kraft gesetzt werden können? Oder herrscht Anarchie, dass bei der Bilanzierung mitten in der Rechnungsperiode hektisch über den Haufen geworfen werden muss, was gerade noch als der Weisheit letzter Schluss galt: die Bewertung zu Marktwerten?

Man hat Mühe, zu folgen: den bis vor kurzem unvorstellbaren Ereignissen und den Akteuren in ihrer ganzen Sprunghaftigkeit. War nicht noch vor einem Monat die Schaffung neuer nationaler Bankenchampions nicht nur für die Branche selbst, sondern vor allem für die Politik und die allermeisten Kommentatoren der angesagteste Megatrend? Heute denken die entzauberten Apologeten der Konsolidierung laut über die Entflechtung der Too-big-to-fail-Giganten nach und lobpreisen die Kleinteiligkeit im Kreditwesen, als hätte es nie eine Dreisäulendebatte gegeben.

Doch wozu überhaupt noch Banken? Der globale Trend zur Staatsbank zeigt: Es könnte auch ohne private Geldinstitute gehen. Das ist Szenario II: Das Einlagengeschäft besorgt die Finanzagentur, die zurzeit ohnehin mächtig en vogue ist, Kredite reicht der neue Finanzmarktstabilisierungsfonds gleich direkt aus, statt die Vergabe nur per Bankengarantie zu stimulieren. Vielleicht bekommt Bill Gates - "Banking is necessary, banks are not" - noch recht, wenn auch ganz anders als erwartet. Schon wieder zu karikierend? Diese Krise hat noch stets gelehrt, dass mit ihrer Realität keine Satire mithalten kann.

Quelle: Börsen-Zeitung (von Bernd Wittkowski)

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