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DER STANDARD-Kommentar: "Das Ende der Gewissheiten"

Archivmeldung vom 23.08.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.08.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Wien (ots) - Der US-Politikwissenschafter Francis Fukuyama rief 1992 das Ende der Geschichte aus. Nach dem Kalten Krieg und Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer schien tatsächlich Ruhe einzukehren - zumindest aus europäischer Sicht. Die Integration innerhalb der EU schritt voran, Grenzen wurden durchlässiger. Moskau wurde zu gemeinsamen militärischen Übungen eingeladen und die Gemeinschaft der sieben weltweit führenden Wirtschaftsländer um Russland erweitert.

Doch seit diesem Sommer, in dem sich just der Erste Weltkrieg zum hundertsten Mal jährt, ist nichts mehr so, wie es scheint. Wer sind die Guten, wer die Bösen? Im arabischen Raum herrscht Chaos, vor Jahrzehnten gezogene Landesgrenzen werden nicht mehr akzeptiert, Russlands Präsident Wladimir Putin ist zu einem nicht mehr kalkulierbaren Faktor geworden.

Beispiel Ukraine: Dass sich Russland die Krim einverleibt und eine Abspaltung zumindest der Ostukraine aktiv unterstützt, ist noch zu Jahresbeginn als unrealistisches Szenario angesehen worden. Inzwischen sind Folgen der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Moskau auch in Österreich spürbar, und die Frage der Energieversorgung im nächsten Winter wird in Europa mit Sorge diskutiert.

Bisher unterstützte die EU Kiew mit der Begründung, in der Ukraine werden europäische Werte und die Demokratie verteidigt. Dass aber diese Regierung mit Neonazis kooperiert und, wie ein ARD-Bericht dokumentiert, rechtsradikale Milizen an der Seite der regulären Truppen kämpfen, will nicht so recht in das Freund/Feind-Schema passen. Sind die für gut Erklärten doch nicht so gut?

Plötzlich sind auch die Taliban oder Al-Kaida nicht mehr die ganz Bösen. Aus dem scheinbaren Nichts tauchte eine Organisation wie der Islamische Staat (IS) auf, neben der die anderen Terrorgruppen vergleichsweise harmlos wirken. Die USA sind nun sogar zu einem Paradigmenwechsel bereit: Syrien zu bombardieren, um die IS zu bekämpfen. Luftschläge zur Unterstützung der Opposition im syrischen Bürgerkrieg lehnte Washington bisher ab. Die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton warf jüngst Präsident Barack Obama vor, dass er durch sein zögerliches Verhalten im Syrienkonflikt die IS erst groß gemacht habe. Das Assad-Regime erscheint nun nicht mehr als der schlimmste US-Gegner in der Region, der Bürgerkrieg in dem Land ist aus den Schlagzeilen verschwunden.

Dass Kurden von EU-Staaten, darunter sogar Deutschland, mit Waffen beliefert werden, hätten außenpolitische Experten noch vor einigen Monaten ausgeschlossen - nicht zuletzt wegen des Nato-Partners Türkei. Aber den kurdischen Peschmerga traut man als einziger Gruppierung zu, der IS Paroli bieten zu können. Dass Waffen "in falsche Hände" gelangen könnten, davon ist plötzlich keine Rede mehr.

Im Nahen Osten ist die Hamas in den vergangenen Jahren radikaler geworden. Die Eskalation zwischen Israelis und Palästinensern, die selbst Journalisten vor Ort nicht vorhergesehen haben, zeigt, dass sich in der Zwischenzeit noch radikalere Gruppierungen gebildet haben, die nicht nur Israel vor neue Herausforderungen stellen.

Es scheint, als ob die Welt aus den Fugen geraten ist. Bisherige Dogmen in der sogenannten Realpolitik gelten nicht mehr, die realen Entwicklungen überraschen selbst Experten. Statt ans Ende der Geschichte scheinen wir ans Ende der Gewissheiten gelangt zu sein.

Quelle: Der Standard  Kommentar von Alexandra Föderl-Schmid (ots)

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