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Gigant auf tönernen Füßen

Archivmeldung vom 05.09.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.09.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Derzeit wird allenthalben über die Geschäftspraktiken des Online-Riesen Amazon geklagt, der gegenüber Verlagen wie Mitarbeitern seine Muskeln spielen lässt. Dabei wird leicht übersehen, dass die Macht, die Amazon ausübt, nur geliehen ist – von uns: Wir liefern und wir kaufen diese macht. Immer mehr Menschen legen ethische Maßstäbe an ihre Konsumgewohnheiten und sind bereit, sich entsprechend zu orientieren – wenn sie denn aufgeklärt werden und die Folgen ihres Tuns begreifen.

Im allgemeinen sind es Initiativen wie "buy local", die den Wert des stationären Einzelhandels bewusstmachen, im Bereich der Bücher gibt es zwei Aspekte, die für unser kulturelles und geistiges Leben von grundlegender Bedeutung sind: Amazon als Buchhändler und Amazon als Verleger.

Warum Amazon kein Buchhändler ist

Auch in den kritischen Veröffentlichungen zu Amazon, die sich in der letzten Zeit häufen, wird Amazon noch immer als »Buchhändler« oder »größter Buchhhändler der Welt« tituliert. Da dreht sich jedem wahrhaften Buchhändler der Magen um, denn nichts von dem, was einen echten menschlichen Buchhändler ausmacht, leistet Amazon:

  • Amazon kauft keine Bücher auf eigene Rechnung ein, spart demnach eine ungeheure Kapitalbindung (schon eine kleine Buchhandlung hat rund 300.000 € in Büchern gebunden). Amazon lässt sich die Bücher von den Verlagen frei Haus liefern und lagert sie auf Kosten der Verlage bei sich ein. Gekauft werden die Bücher von Amazon erst, wenn sie verkauft worden sind: keine Finanzierungskosten eines Lagers, kein Risiko, zumal die Rücksendekosten auch von den Verlagen getragen werden.
  • Amazon zahlt seine Steuern in Luxemburg, der Buchhändler zahlt seine Steuern vor Ort und finanziert damit Kindergärten und Schulen und Straßen und, und, und ...
  • Amazon berät seine Kunden nicht individuell in einem persönlichen Austausch, sondern nur durch die von Lieferanten (Verlagen und Autoren) und Kunden gelieferten Werbetexte bzw. Rezensionen und per Algorithmen, die auf der Sammlung von Kundendaten beruhen. Dieses Wissen über seine Kunden gibt Amazon Macht über sie.
  • Bei Amazon findet man alles. Das ist aus Kundensicht einerseits ein Vorteil (und, zugegeben, auch Buchhändler profitieren von den Recherchemöglichkeiten), andererseits verliert man sich leicht in der Unermesslichkeit des Angebotes. Jeder Buchhändler jedoch stellt ein überschaubares Sortiment zusammen, hinter dem er steht und das er seinen Kunden aus voller Überzeugung anbieten kann.

Fazit: Amazon ist eine gigantische, und zugegeben richtig gut und natürlich auch aufwendig gemachte Internet-Plattform und ein Logistikdienstleister. Aber wenn man so jemanden einen Buchhändler nennt, könnte man auch einen Flohmarktbetreiber, auf dessen Markt neben Bockwurst und Bier auch Bücher verkauft werden, Buchhändler nennen.

Vom Wert unverkäuflicher Bücher
oder
Warum Amazon als Verlag so verheerend sein wird wie jede andere großflächige Monokultur

Das Geschäftsmodell eines herkömmlichen Verlages sieht ungefähr so aus:
50% der Titel kommen nicht auf die Deckungsauflage, bringen also Verlust.
40% der Titel spielen die Auslagen wieder ein, und es bleibt sogar ein gewisser Deckungsbeitrag übrig.
10% der Titel tragen durch ihre Verkaufsergebnisse den Löwenanteil des Verlages und decken die Verluste der 50% schlecht verkäuflichen Titel ab.

Das ist natürlich nur eine grobe Skizze mit starken individuellen Abweichungen. Mir ist aber kein Verlag bekannt, der nicht viel Geld mit den unverkäuflichen Büchern verliert.

Warum macht ein Verlag das? – Weil er nicht weiß, was sich als verkäuflich herausstellen wird. Natürlich weiß ich als Verleger, welchen Titel ich mit größerem und welchen ich mit kleinerem Risiko einschätze, und bei manchem Titel mit großem Risiko nehme ich dieses auf mich, weil ich das Buch für wichtig halte. (Und nicht selten kehrt die Wirklichkeit die Einschätzung um: Der »schwierige« Titel wird ein Erfolg, der »Erfolgsgarant« ein Reinfall.)

Es ist ein Prinzip wie überall in der Natur: Da werden viele Eicheln verstreut, und nur aus den wenigsten wird ein Baum. Jede Weiterentwicklung beruht auf Versuch und Irrtum.

Wenn es nun einem Verlag aufgrund einer fein ausgetüftelten Marktforschung gelänge, die Quote der Verlustbringer meinetwegen auch nur auf die Hälfte zu verringern, dann würde ihm das einen gewaltigen finanziellen Vorteil bringen, den er wiederum dazu einsetzen kann, den »Content-Lieferanten«, sprich Autoren, höhere Honorare zu zahlen und so langfristig die Erfolgsautoren an sich zu binden (wie Amazon es verspricht).

Aufgrund der Daten, über die Amazon als »Buchhändler« verfügt und die in ihrer Gesamtheit und Aussagekraft jedweden anderen Datenbestand von Filialisten oder Barsortimenten um ein Vielfaches übersteigen dürfte, wird es Amazon als Verleger ein Leichtes sein, die Quote an »Nieten« deutlich zu senken. Denn Amazon weiß ja nicht nur, was sich gut verkauft, sondern auch, was sich nicht verkauft. (Daß dies jedem über das Ranking einsehbar ist, hilft gar nichts, denn dieses verändert sich ja ständig und erlaubt keine Rückschlüsse auf absolute Zahlen.)

Die Gesamtheit der heute immer noch relativ vielfältigen Verlagslandschaft produziert also munter drauf los und überlebt dank ihrer Mischkalkulation aus "Nieten", "Trostpreisen" und "Hauptgewinnen". Zu letzteren gehören vielfach Erfolgsautoren, die einen ziemlich sicheren Gewinn versprechen. Wenn diese, nachdem ein Verlag sie oftmals mit großem Risiko aufgebaut hat, zu Amazon abwandern, weil das Geld winkt, dann wird es folglich auch weniger Risikokapital für neue Bücher geben.

Das Wissen darüber, welche Bücher sich nicht verkaufen, ergibt sich aber erst im Nachhinein, nachdem diese Bücher auf dem Markt sind. Zur Zeit profitiert Amazon von den vielen »unverkäuflichen Büchern« und kann seine verlegerischen Aktivitäten auf diesem Wissen aufbauen.

Nimmt dann im Laufe der Jahre aber die Marktmacht von Amazon zu, dann wird es auch immer weniger Fehlschläge geben, aus denen Amazon lernen kann. Es wird eine Monokultur entstehen, der »Boden« der kulturellen Kreativität wird ausgelaugt, und am Ende wird auch Amazon als Verlag darunter leiden – ganz zu schweigen von den Verheerungen, die bis dahin angerichtet worden sind.

Das ist natürlich nur ein Szenario. Viel wird davon abhängen, wie andere Mitspieler im Markt sich auf diese Herausforderung einstellen und wie weit Amazon selbst Experimentierfelder bereitstellt, auf denen Mißerfolge erlaubt sind.
Wichtig ist zu erkennen, welche Mechanismen da am Werke sind. Wichtig ist, daß die Autoren erkennen, in welche Abhängigkeit sie sich begeben, wenn auch sie (wie vordem schon die Verleger) sich locken lassen vom kurzfristigen Vorteil, um sich später von dem Ungeheuer, das sie selbst gefüttert haben, fressen zu lassen. Wichtig ist, wie der Buchhandel sich stellt und ob er sich einem Diktat unterwirft. Und wichtig ist, daß sich die großen Verlage, die »Götter«, überlegen, wie sie einen »Fenriswolf« bändigen.

Quelle: Kommentar von Andreas Lentz - Verleger (NEUE ERDE)

PS: Fast hätte ich es vergessen: Es gibt ja auch noch die Hunderttausende, die bei Amazon Bücher kaufen. Wissen sie, was sie tun?

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