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Allg. Zeitung Mainz: Realismus statt Folter

Archivmeldung vom 08.01.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.01.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, den Bürger unmittelbar zu entlasten, wenn zugleich zig Milliarden für Banken und Industrie bereit gehalten werden. Das hat jetzt auch die SPD begriffen. Allerdings kommt die Hinwendung zu Steuererleichterungen immer noch sehr gequält daher.

Die Sozialdemokraten schweben wieder einmal in der Gefahr, ideologisch zu denken. Da werden die alten Folterinstrumente aus der Gruft geholt. Der Ruf nach einer Neuauflage der Vermögensteuer klingt schrill. Das Planspiel des Hessen Schäfer-Gümbel für eine Zwangsanleihe war ein unreflektierter Schnellschuss, und das laute Nachdenken Münteferings über eine zeitweilige Anhebung des Spitzensteuersatzes offenbar ein Versuchsballon, um die Leidensfähigkeit des Koalitionspartners und der öffentlichen Meinung zu testen. Jetzt, fünf Tage vor dem entscheidenden Koalitionsgipfel und achteinhalb Monate vor der Bundestagswahl, scheint endlich Realismus Platz zu greifen. Es ist ja nachvollziehbar, dass die SPD nicht ausgerechnet auf den Zug aufspringen möchte, den die CSU vor der Bayernwahl - durchaus auch aus wahltaktischen Gründen - auf die Gleise setzte. Aber eine Entschärfung der leistungsfeindlichen Progression in der Einkommensteuer kann in den Augen verständiger Genossen nicht alleine deshalb falsch werden, weil der Vorstoß von Christsozialen kommt. Deutschland war in der Steuerpolitik stets weit davon entfernt, gegenüber seinen Bürgern - insbesondere dem leistungsfähigen Mittelstand - besonders freundlich zu sein. Das ist letztlich eine Frage von Staats- und Regierungsverständnis, und es ist, vor allem mit Blick auf die Staatsschulden, nicht falsch. Aber man darf den Bogen nicht überspannen, und der Zeitpunkt für Entlastungen wäre jetzt nicht schlecht gewählt.

Quelle: Allgemeine Zeitung Mainz

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