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BERLINER MORGENPOST: Der Präsident im Staatstheater

Archivmeldung vom 05.01.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.01.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Ein Satz fehlte noch: "Ich liebe meine Frau". Mit diesem Klassiker hat Kanzler Schröder einst im TV-Duell gesiegt. Ansonsten hat der Bundespräsident überraschend viel richtig gemacht in einem historischen Moment. Demut, Mitleidsheischen und dosierte Gegenwehr - mit einem knapp an der Fremdschämerei vorbeigeknisterten Emotionsauftritt hat Christian Wulff beileibe nicht alle Vorbehalte ausgeräumt, sich zumindest aber Luft verschafft.

Ein Feuerwerk der Fehler versuchte er in eine Opfer- und Heldenarie umzudeuten. Fazit nach 25 Minuten Staatstheater: Wulff will bis 2015 im Schloss Bellevue bleiben. Weil die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende kein Interesse zeigt, ihren Mann zu entfernen, könnte dem Wackelpräsidenten am Mittwochabend ein Befreiungsschlag gelungen sein - sofern nicht neue Vorwürfe auftauchen. Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich das Staatsoberhaupt in ein Fernsehstudio begeben, um Auskunft zu geben zu Immobilienkrediten, Wuttelefonaten und der Frage, ob ein Abendkleid gekauft, geliehen oder gar geschenkt sei, mithin also ein geldwerter Vorteil. Ob Theodor Heuss, Richard von Weizsäcker oder Johannes Rau - unvorstellbar, dass einer von Wulffs Vorgängern vom Dienstsitz hinab in ein puffig-rotes Studio geklettert wäre, um derlei Fragen zu beantworten. Andererseits: Es war Wulffs letzte Chance. Seit Bekanntwerden der Mailbox-Szene war aus Finanzierungstricksereien eine Eignungsdebatte geworden. Die Frage, die Wulff den Interviewern Bettina Schausten (ZDF) und Ulrich Deppendorf (ARD) zu beantworten hatte: Besitzt dieser Präsident einen Hauch Restautorität, der einen Verbleib im Amt denkbar erscheinen lässt? Nein, er habe nie an Rücktritt gedacht, begann Wulff, vielmehr wolle er nach fünf Jahren als guter und erfolgreicher Präsident wahrgenommen werden. So ging es munter weiter: Die Interviewer, nicht gerade als investigative Geheimwaffen des deutschen Journalismus bekannt, mühten sich, Schneisen durch das Zahlen- und Datengewirr zu schlagen. Wulffs Taktik: Konkrete Detailfragen mit großen Gefühlen kontern. "Wenn man als Bundespräsident keine Freunde mehr haben darf..." war so ein Alleskiller-Argument, dann sein Schutzinstinkt für die Familie und natürlich der Bibelvers mit der Schuld und dem ersten Stein. Nur dort, wo er gar kein Verständnis erwarten durfte, bei der Mailbox etwa, entschuldigte er sich - mal wieder - und räumte schwere Fehler ein. Man meinte, im Hintergrund die Schnulzgeigen von André Rieu zu vernehmen. So gewann Wulff an Sicherheit, den Fragern ging langsam die Luft aus. Und an einem Punkt patzten die Interviewer: Als der Präsident von sich aus auf böse Gerüchte zu sprechen kam, die vor allem im Internet über seine Frau verbreitet würden, da bat er geradezu darum, gefragt zu werden. Endlich hätte er zur Privatsache erklären können, was medienweit geraunt wird. Doch das Thema blieb unbehandelt, und damit die Furcht der Wulffs. Und jetzt? Wird der Angeschlagene wohl bleiben. Und mit ihm die Frage, ob er in Zukunft souveräner reagiert. Autorität kommt von Unabhängigkeit kommt von Mut kommt von Haltung. Da ist reichlich Luft.

Quelle: BERLINER MORGENPOST (ots)

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