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Börsen-Zeitung: Trübe Perspektiven

Archivmeldung vom 28.06.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.06.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Mit der ungebremsten Rekordjagd der Ölpreise ist an den Aktienmärkten ein potenzieller Risikofaktor bittere Realität geworden. Als wäre dies nicht genug, dämpfen die nachlassende Dynamik der globalen Wirtschaft und die weiter schwelende Finanzkrise ohnehin die Perspektiven an Europas Börsen.

Die von vielen Analysten erwartete Kurserholung noch vor der Jahreshälfte ist in diesem Umfeld verständlicherweise ausgeblieben. Und die Experten werden nicht umhinkönnen, ihre zumeist recht optimistischen Prognosen für das am Dienstag beginnende zweite Börsenhalbjahr alsbald zu korrigieren.

Die Rally am Ölmarkt kennt offenbar keine Grenzen. Der Terminkontrakt für ein Barrel Rohöl der US-Sorte West Texas Intermediate kletterte am Freitag erstmals über 142 Dollar. Vor einem Jahr lag der Preis nur in etwa halb so hoch. Den jüngsten Preisschub zum Ende der nun abgelaufenen Handelswoche erklärten Akteure in erster Linie mit der Aussicht darauf, dass Libyen schon bald sein Fördervolumen kürzen könnte. Das nordafrikanische Opec-Mitglied prüft eigenen Aussagen zufolge eine Reduzierung der Fördermenge als Reaktion auf die jüngsten Drohungen der Vereinigten Staaten gegen die erdölexportierenden Länder, wie ein Regierungsvertreter sagte. In den USA wird zur Zeit ein Gesetzesentwurf diskutiert, wonach das Justizministerium Opec-Länder verklagen kann. Im Mai hatte Libyen täglich rund 1,71 Mill. Barrel zur gesamten Opec-Produktion von täglich 32,12 Mill. Barrel beigesteuert.

Der Vorstoß Libyens war im Laufe der Woche nicht die erste Hiobsbotschaft, die der Ölmarkt zu verarbeiten hatte. Zuvor hatte bereits Opec-Präsident Chakib Khelil die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als er für den Sommer einen Anstieg der Ölnotierungen auf 150 bis 170 Dollar vorhersagte.

Nun überrascht eine solche Aussage zunächst einmal nicht. Schließlich ist die Opec als Zusammenschluss der Ölexporteure an einem hohen Ölpreis interessiert. Nach dem enttäuschenden Resultat des Ölgipfels vor Wochenfrist in Saudi-Arabien könnte die Prognose des Präsidenten des Kartells allerdings schon sehr schnell wahr werden. Saudi-Arabien kündigte zwar eine Erhöhung der Produktion um täglich 200000 Barrel an, blieb damit aber am unteren Rand der Erwartungen. Weil zugleich Förderausfälle in Nigeria aufgrund neuer Unruhen bekannt wurden, reagierte der Ölpreis nicht auf die Ankündigung. Laut Unicredit entsteht dadurch das Risiko, dass an den Märkten die "Peak Oil"-Theorie an Überzeugungskraft und Zuspruch gewinnt und es selbst Saudi-Arabien nicht länger zugetraut wird, einem Ölpreisanstieg entgegenzutreten. Dies würde den Druck auf die Aktienkurse weiter erhöhen.

In einer aktuellen Untersuchung belegt die Commerzbank, dass der Anteil der Energiekosten an den Produktionskosten in Deutschland durch die Hausse am Ölmarkt wieder so groß ist wie zu Beginn der achtziger Jahre. Für die privaten Haushalte und die Unternehmen entstünden Belastungen in Höhe von 1% des Bruttoinlandsproduktes. Dies werde die Wirtschaft merklich bremsen, wodurch das Risiko einer Stagflation wächst. Denn der Ölpreisanstieg belastet nicht nur die Erwartungen an die Konjunktur. Eine ebenso bedeutsame Rolle spielt er bei den wachsenden Inflationssorgen.

Wie das Statistische Bundesamt am Freitag nach vorläufigen Berechnungen meldete, kletterten die Verbraucherpreise im Juni im Vergleich zum Vorjahresmonat um 3,3%; dies war die höchste Rate seit 15 Jahren. An den Finanzmärkten geistert daher längst das böse Wort der Stagflation umher, und die Konsumenten halten sich zunehmend zurück. Das stellt nicht zuletzt die Vorhersage eines anziehenden privaten Verbrauchs, der die deutsche Wirtschaft im Laufe des Jahres stabilisiert, in Frage.

Mit großer Spannung blicken die Akteure deshalb der Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) am kommenden Donnerstag und vor allem dem begleitenden Kommentar von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet entgegen - denn eine Anhebung des Leitzinses in der Eurozone um 25 Basispunkte auf 4,25% gilt an den Märkten als ausgemachte Sache. Angesichts der globalen konjunkturellen Abkühlung hatten sich Analysten dagegen für das zweite Halbjahr eher auf sinkende Zinsen in der Eurozone eingestellt.

Allein die Aussicht auf sinkende Leitzinsen hätte Europas Börsen sicherlich Auftrieb gegeben. Stattdessen tritt nun - zumindest vorerst - genau das Gegenteil ein. Auch dies dämpft die Perspektiven für Dividendentitel.

Der letzte Handelstag des ersten Halbjahres am Montag wird die Bilanz für die ersten sechs Monate kaum noch verändern. Somit blickt beispielsweise der deutsche Aktienmarkt auf einen kräftigen Verlust von 20% seit dem Jahreswechsel zurück. Ein ähnlich schwaches Halbjahr war zuletzt in der zweiten Hälfte 2002 zu verzeichnen. Damals ging es allerdings recht schnell ab dem Frühjahr 2003 wieder nachhaltig aufwärts. Eine ähnliche Reaktion der Märkte wie damals erscheint zur Zeit angesichts der zahlreichen Belastungen dagegen nur schwer vorstellbar.

Quelle: Börsen-Zeitung (von Thorsten Kramer)

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