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Mittelbayerische Zeitung: Chaotische Sammelwut

Archivmeldung vom 19.04.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.04.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Deutschland wird das Gespenst nicht los. Erst voriges Jahr kippte das Bundesverfassungsgericht die Berliner Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Gestern nun die unmissverständliche Drohung aus Brüssel: Wenn Deutschland sich nicht schleunigst an die Durchführung der Richtlinie macht, droht ein Vertragsverletzungsverfahren. Was eindeutig klingt, steckt voller Widersprüche. Denn die EU-Kommission kündigte gestern an, die Richtlinie aus dem Jahr 2006 wegen ihrer zahlreichen Mängel überarbeiten zu wollen.

Berlin muss jetzt die Chance nutzen und Einfluss nehmen. Wie man sich gegenseitig das Leben schwer macht, zeigen derzeit Brüssel und Berlin. Anlass ist die umstrittene Vorratsdatenspeicherung. Während Brüssel trotz Kritik am eigenen Gesetz in Deutschland auf eine Umsetzung pocht, blockiert sich die Berliner Koalition gegenseitig. CDU/CSU drängen auf eine rasche Umsetzung der EU-Richtlinie, die FDP will hingegen erst einmal abwarten. Das Hin und Her macht das europäische Durcheinander um die Datensammelei perfekt. In Tschechien und Rumänien haben die Verfassungsgerichte das Gesetz ebenfalls gekippt, Schweden weigert sich komplett die Vorschriften einzuführen. Und in den übrigen Staaten herrscht bezüglich Speicherdauer, Zugriffsrechte und Regelungen für Provider Chaos. Jeder nutzt seinen Spielraum maximal aus, von Harmonisierung keine Spur. Klar, dass dies der EU-Kommission missfallen muss. Denn wenn sowieso jeder macht, was er will, wozu braucht es dann ein EU-Gesetz? Die Behörde will nun gegensteuern und kündigte gestern eine Neuauflage der Richtlinie an. Dennoch muss nach dem Nutzen solcher Vorschriften gefragt werden. Denn dass mithilfe der gespeicherten Daten terroristische Aktionen oder schwere Verbrechen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität aufgeklärt wurden, konnte Brüssel bis jetzt nicht ausreichend belegen. Statistiken gibt es keine. Zwar zitiert die Behörde Mitgliedsstaaten, die Fahndungserfolge dank der gespeicherten Daten vermeldeten. Doch welche Rolle diese Daten konkret bei der Aufklärung der Verbrechen gespielt haben, bleibt unersichtlich. Unklar ist damit auch, ob die Informationen auf anderem Weg hätten beschafft werden können. Die Datenspeicherei ist nicht verhältnismäßig. Dieser Widerspruch wird sich auch durch eine Neuauflage nicht lösen lassen. Lediglich klarere Vorschriften bei den Zugriffsrechten, Speicherdauer sowie dem Datenschutz werden wohl kommen. Man darf sich nichts vormachen: Die Mehrzahl der EU-Mitgliedsländer will die Vorratsdatenspeicherung, die als Reaktion auf die Terroranschläge auf die Madrider und Londoner U-Bahnen vorgeschlagen wurde. Sie haben 2005 das Gesetz regelrecht eingefordert. Dass es im Übereifer mit zu heißer Nadel gestrickt worden ist, hat sich nun gezeigt. Nichtsdestotrotz wollen EU-Kommission und Mitgliedsstaaten daran festhalten. Damit steht die Bundesregierung vor einem großen Problem. Denn das Kabinett hat darüber noch keine gemeinsame Linie gefunden. Während die Unionsparteien lieber heute als morgen die Richtlinie umgesetzt hätten, spielt die FDP auf Zeit. Man müsse den EU-Zwischenbericht abwarten, eventuell werde die Richtlinie gekippt, so die liberale Justizministerin. Nun liegt der Bericht vor und spielt der Union in die Hände. Doch Jubelschreie sind fehl am Platz. Denn solange sich die Koalition gegenseitig blockiert, kann sie auf die Neufassung aus Brüssel keinen Einfluss nehmen. Damit vertut sie eine wichtige Chance. Denn dass das Gesetz kommen wird steht außer Frage. Deutschland muss sich nun für höchstmögliche Bürgerverträglichkeit und Datenschutz einsetzen.

Quelle: Mittelbayerische Zeitung

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