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Neue Westfälische (Bielefeld): Die neue Lust am Volksaufstand

Archivmeldung vom 11.09.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.09.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Franzose möchte man manchmal sein. Etwa, wenn sie einen Manager entführen, weil eine Werksschließung droht. Der Franzose darf das, bei dem ist das nicht kriminell, sondern es gehört zur Mentalität. Oder wenn 2,5 Millionen Menschen auf die Straße gehen, um gegen Sarkozys Rentenreform zu demonstrieren. Was in der Heimat der Revolution zu lautstarken Protesten führt, haben wir in Deutschland mit müdem Achselzucken hingenommen - da darf man sich nicht wundern, wenn es Politiker gibt, die bereits von der Rente mit 70 reden, ohne rot zu werden.

Aber es tut sich was im Land der braven Deutschen: Die rasante Zunahme von Protestinitiativen, Demonstrationen und Bürgerentscheiden zeigt, dass wir uns auch nicht mehr alles gefallen lassen wollen. Die Kampagnen schießen wie Pilze aus dem Boden. Menschen, die noch nie in ihrem Leben auf einer Demo waren, gehen plötzlich auf die Straße oder sammeln Unterschriften. "Stuttgart 21" ist überall - ob es um eine Umgehungsstraße, eine Grundschulschließung, das Turbo-Abi, Theo Sarrazin oder längere Akw-Laufzeiten geht. Doch woher kommt die neue Lust am Volksaufstand? Politikwissenschaftler warnen bereits vor der "Empörungsgesellschaft", in der die demokratische Grundordnung durch Populismus und Parteienverachtung beschädigt wird - früher haben sie die Politikverdrossenheit beklagt. Umfragen bestätigen, dass auf die Loyalität der Wähler immer weniger Verlass ist. Man könnte aber auch sagen: Das Vertrauen ist hin. Das passiert, wenn man Parteiprogramme vor der Wahl von jedem Dissens säubert und unpopuläre Themen hinter verschlossene Türen vertagt. Die Geheimverträge zwischen Regierung und Atomindustrie sind nur das jüngste Beispiel für eine Politik, von der sich viele Menschen übergangen und verschaukelt fühlen. Sie fragen sich, wer sie eigentlich regiert: Parlament oder Lobbygruppen? Dass der Bürgerwille in einer parlamentarischen Demokratie nur alle paar Jahre abgefragt wird, war für beide Seiten bequem, solange die Probleme überschaubar und die Lösungen mehrheitsfähig waren. Als guter Demokrat hatte man die Meinung der anderen zu akzeptieren und sich den Entscheidungen zu fügen. Wo es aber keine klaren Mehrheiten gibt, wächst die Unzufriedenheit. Im Internetzeitalter manifestiert sie sich in Unterschriftenlisten und Petitionen, die über soziale Netzwerke wie Facebook  und Co. in Rekordzeiten mit den nötigen Stimmen gefüllt werden - nie war es einfacher, der Politik Beine zu machen. In der Schweiz bringt Facebook den Bundesrat so ins Schwitzen, dass die Regierung prüft, die Hürden für Initiativen zu erhöhen. Auch bei uns wird das Internet zunehmend zur Unterschriftenmaschine - ob die Menschen dann tatsächlich den Weg aus dem Netz auf die Straße finden, wird man spätestens am kommenden Samstag in Berlin bei der Großdemo gegen die Akw-Laufzeitverlängerung sehen. Für die Politiker mag es unbequem sein, aber unserer Gesellschaft wird es nicht schaden, wenn die Bürger den Franzosen in sich rauslassen.

Quelle: Neue Westfälische

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