WAZ: Massive Kritik an Kanzlerin Merkel
Archivmeldung vom 14.04.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKaum ein Sozialdemokrat würde es wagen, Angela Merkel öffentlich derart umfassend anzugreifen: Machtkanzlerin, taktisch geschickt, aber ohne inhaltliches Konzept. Ihre Reformbilanz? Ungenügend. Und auch dies: Merkel lässt innerparteiliche Kritiker massiv einschüchtern.
Josef Schlarmann, Mitglied im CDU-Vorstand und Vorsitzender der
Mittelstandsvereinigung der Union, hat das alles in einem
bemerkenswerten Interview gesagt. Damit lenkt Schlarmann Blicke, die
sich in den vergangenen Wochen auf die trostlosen Darbietungen der
SPD konzentrierten, auf den Gesamtzustand der Großen Koalition, auf
die verantwortliche Kanzlerin, sowie auf die CDU und die
verantwortliche Vorsitzende. Folgt man den Ausführungen Schlarmanns,
der viele Mitglieder hinter sich wähnt, dann scheint es seiner Partei
kaum besser zu gehen als der SPD. Es ist nur alles umgekehrt. In der
SPD versuchen die Regierungstätigen, den Reformkurs der Agenda 2010
gegen ihren Vorsitzenden Kurt Beck und Teile der Basis zu
verteidigen. In der CDU kommt der Druck aus der Basis, die
Vorsitzende und Kanzlerin solle sich an ihr Reformprogramm von
Leipzig erinnern und entsprechend regieren.
In der Momentaufnahme präsentiert sich das Regierungsgeschehen
so: Die Bahnreform droht im sozialdemokratischen Machtkampf zu
scheitern oder ungetümliche Formen anzunehmen wie seinerzeit die
Gesundheitsreform. Der Gesundheitsfonds, kleinverhandeltes Ergebnis
des einstigen Großprojekts, steht schon wieder zur Disposition. Durch
die geringe Rentenerhöhung fühlen sich Rentner beleidigt und Jüngere
verunsichert, weil sie bei ungewissen Perspektiven die Kosten werden
tragen müssen. Die Haushaltssanierung provoziert Unhöflichkeiten in
den Verhandlungen zwischen dem Finanzminister und einigen seiner
Kollegen.
Die fehlende Balance bei der Verteilung der Ministerien könnte
sich in der Rückschau als zentrale Schwäche der Großen Koalition
erweisen. Nach den Koalitionsverhandlungen freuten sich die
agendatreuen Sozialdemokraten darüber, alle wichtigen
Reformministerien erobert zu haben. Die ihrem eigenen Reformprofil
untreu gewordene Kanzlerin freute sich, die unpopulären Ressorts
losgeworden zu sein. Einen gemeinsamen Kurs konnte die Koalition
schwerlich entwickeln, weil die Lasten der Reformen zu einseitig bei
den Sozialdemokraten lagen. Heute zeigt die SPD zwei riskant
widerstreitende Profile, Reformwillen und Verteilungssehnsucht, die
Union aber überhaupt keins.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Angela Gareis)