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Viel Handel, wenig Wandel

Archivmeldung vom 25.02.2022

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.02.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić

Russland greift ein souveränes und demokratisches Land in Europa an. Die Invasion russischer Bodentruppen in der Ukraine, die Luft- und Raketenangriffe auf Ziele im gesamten ukrainischen Staatsgebiet sind eine historische Zäsur. Sie markieren einen dramatischen Rückfall in dunkelste Zeiten territorial motivierter Geopolitik.

Dass in der Nacht zum Donnerstag der Krieg nach Europa zurückgekehrt sei, diese Wahrnehmung ist freilich falsch. Seit acht Jahren herrscht Krieg in der Ostukraine, sterben Menschen im Konflikt um die von Russland annektierte Krim und um die Separatistengebiete Donezk und Luhansk. In der jüngeren Vergangenheit geschah das allerdings weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit.

Erst als der Aufmarsch von mehr als 100000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine Russlands aggressiven Kurs unübersehbar machte, festigte sich im Westen die Erkenntnis, dass Wladimir Putin zu einem klaren Bruch des Völkerrechts bereit sein könnte. Dass man in der Konzentration auf lukrative Wirtschaftsbeziehungen und eine sichere Rohstoffversorgung die imperialistischen und nationalistischen Ambitionen des Moskauer Regimes unterschätzt hat - sogar noch nach der Annexion der Krim. Und dass die Strategie vom "Wandel durch Handel" zwar sehr viel Handel, aber ziemlich wenig Wandel gebracht hat. Nur war es da schon zu spät, Putin von seinem fatalen Kurs abzubringen.

Entscheidend ist daher nun die Frage, was die westlichen Demokratien Putins Kriegskurs entgegenzusetzen haben. Aktive militärische Maßnahmen verbieten sich angesichts des unkalkulierbaren Eskalationspotenzials von selbst. Also sind Sanktionen das Mittel der Wahl - und zwar das "stärkste und schärfste Paket", das man je geschnürt hat.

Zweifel sind angebracht, ob die EU-Staaten ihre Möglichkeiten tatsächlich ausschöpfen. Am Donnerstagabend wollte ein EU-Gipfel die konkreten Strafmaßnahmen beschließen. Vorgesehen war dabei, russisches Vermögen in der EU einzufrieren, russischen Banken den Zugang zu Finanzmärkten zu verwehren und Russland von der Technologie abzuschneiden, "die notwendig ist, um die Zukunft zu bauen", wie es Kommissionschefin Ursula von der Leyen formuliert.

Das ist eine durchaus härtere Gangart als noch am Montag, als sich das erste Sanktionspaket, neben dem vorläufigen Aus für Nord Stream 2, vor allem gegen Personen richtete, die unmittelbar in den Konflikt in der Ostukraine involviert sind. Doch das Maximum des Möglichen ist auch das noch lange nicht.

Eines der schärfsten Schwerter wäre der Ausschluss Moskaus aus dem globalen Zahlungsabwicklungssystem Swift. Russland würde damit auf einen Schlag von großen Teilen der Weltwirtschaft abgeschnitten. Russische Unternehmen könnten ihre Geschäfte, Banken ihre Transaktionen mit dem Ausland nicht mehr abwickeln. Stand Donnerstagabend sehen aber auch die verschärften Sanktionspläne der EU diesen Schritt nicht vor. Zu groß ist die Sorge vor den milliardenschweren Folgen für europäische Gläubiger, die dann nur noch schwer an ihr Geld von russischen Kunden kämen.

"Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass", ist allerdings keine erfolgversprechende Strategie. Genau das belegt die Ukraine-Invasion, die Putin ungeachtet aller früheren Sanktionen angeordnet hat. Selbstverständlich werden Strafmaßnahmen gegen Russland auch Deutschland, Europa und die Weltwirtschaft empfindlich treffen. In einer wirtschaftlich eng verflochtenen Welt gibt es keine realistischen Sanktionsszenarien, die nur einseitig Wirkung auf Russland entfalten. Wann, wenn nicht jetzt, ist also der Moment erreicht, die Demokratie und das Völkerrecht mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verteidigen?

Nun pauschal das Scheitern oder gar das Ende der Diplomatie zu beschwören, wird der Sache dabei nicht gerecht. Diplomatie ist immer eine Option. Entscheidend ist nur, an wen sie sich wendet - an China beispielsweise. Auch wenn Peking kundtut, dass Russlands Angriff auf die Ukraine nicht in Chinas Interesse sei: Eine klare Verurteilung der Invasion ist nicht zu hören. Stattdessen ruft China "alle Seiten" zur Zurückhaltung auf, wirft den USA Alarmismus vor.

Diese Position ist kein Zufall, Peking hat seine Rolle genau verstanden: Jede Verschärfung von Sanktionen durch den Westen erhöht den Anreiz für Moskau, sich wirtschaftlich China zuzuwenden. Chinas gewaltiger Energie- und Rohstoffbedarf macht Russland längst zu einem immer wichtigeren Handelspartner. Sollen Sanktionen Russlands Präsidenten zu einem Kurswechsel be­wegen, ist eine Verständigung auch mit Peking unerlässlich.

Das illustriert, wie tief Europa wirtschaftspolitisch im Dilemma steckt. Im Konflikt mit dem Autokraten in Moskau ist ein gutes Verhältnis zu anderen autokratischen Regimen notwendig. Europas Staaten, allen voran Deutschland, haben sich in heikle Abhängigkeiten manövriert. Noch am Tag der Ukraine-Invasion wurden hierzulande Stimmen laut, den Ausstieg aus der Atomenergie und der Kohleverstromung zu verschieben. Dabei ist die nachvollziehbare Angst vor explodierenden Energiekosten gerade ein Symptom dafür, dass Deutschland viel zu spät damit begonnen hat, sich von fossilen Energieträgern - und damit auch von den allzu häufig demokratiefeindlichen Lieferanten - unabhängig zu machen.

Russland von Zukunftstechnologien abzuschneiden ist das eine. Sich in Europa konsequent Zukunftstechnologien, einer modernen Wirtschafts- und einer werteorientierten Außenpolitik zu­zuwenden das andere.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Lutz Knappmann

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