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Mittelbayerische Zeitung: Auf Leben und Tod

Archivmeldung vom 08.07.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.07.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

In der öffentlichen Wahrnehmung ging es um Leben oder Tod. Die 594 Abgeordneten, die sich für oder gegen die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik aussprechen mussten, standen vor einer nahezu unmöglichen Entscheidung. Sie entstand aus einer hochkomplexen Gemengelage, angesiedelt zwischen verfassungsrechtlicher Notwendigkeit, privatem Erleben, religiösen Überzeugungen und Realitätssinn. Selten wird in Berlin mit so großer Emotionalität, so viel Betroffenheit und über alle Parteischranken hinweg diskutiert.

Umso glaubwürdiger ist das Votum des Bundestags. Und es ist richtig. Ein striktes Nein zur PID hätte bedeutet, Paare in einer schwierigen, angstbesetzten Situation allein zu lassen. Alle wünschen sich gesunde Kinder. Doch die Natur meint es eben nicht mit allen gut. Es gibt schwere Erbkrankheiten, auch solche, die unausweichlich tödlich sind. Wer wollte über werdende Eltern, erst recht wenn sie bereits ein Kind verloren haben oder für ein behindertes Kind Verantwortung tragen, den Stab brechen? Sie wollen Sicherheit - für das Kind, das leben soll, und auch für sich, wenn sie fürchten, die schwere Bürde nicht tragen zu können. Karin Evers-Meyer (SPD), die selbst einen schwer behinderten Sohn hatte, hat bei ihrem Plädoyer für eine begrenzte Zulassung der PID die eigene Biografie in die Waagschale geworfen. Das wiegt schwerer als alle theoretischen Erwägungen. Ein striktes Nein zur PID hätte nicht bedeutet, dass - wie gerne zugespitzt formuliert wurde - ungeborenes Leben gerettet wird. In der Diskussion wurde oft übergangen, dass das deutsche Recht auch bei "natürlichen" Schwangerschaften die Möglichkeit vorsieht, legal einen Abbruch vorzunehmen, wenn eine Fruchtwasseruntersuchung ergibt, dass die Gesundheit von Mutter oder Kind bedroht ist. Und niemand kann doch ernsthaft verlangen, dass eine Frau bereits den Ansatz eines Bäuchleins haben muss, um sich für oder gegen eine Schwangerschaft entscheiden zu können. Der Gesetzgeber hat sich mit der Neuregelung des Abtreibungsparagrafen 218 schon zu weit hinausgelehnt, als dass er bei der PID nun weit dahinter hätte zurückfallen können. Ein striktes Nein zur PID wäre vielleicht moralisch erhabener gewesen, aber es hätte die deutsche Gesetzgebung zu einer weltfernen Insel gemacht. Noch mehr Paare würden zur künstlichen Befruchtung ins benachbarte Ausland gehen. In weniger als zwei Stunden Fahrzeit ist man in einer tschechischen Klinik, die damit wirbt, bei Embryonen auch Mukoviszidose und das Fragile X-Syndrom feststellen zu können. Die Flucht ins Ausland kann aber nicht das Ziel sein, wenn fachkundige, verantwortungsvolle Beratung in deutschen Kinderwunschzentren möglich ist. Das Ja zur begrenzten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik bedeutet sicher nicht, dass Paare, die auch auf natürlichem Wege Kinder zeugen können, nun die In-Vitro-Fertilisation vorziehen. Wer diesen langwierigen und körperlich wie psychisch schmerzhaften Weg eines Paares einmal miterlebt hat, der weiß, dass niemand ihn ohne Not geht. Vor allem aber bedeutet das Ja nicht, dass der Bundestag den Paaren in Deutschland die Entscheidung für oder gegen ein Baby abgenommen hätte. Denn das ist letztlich nicht Sache der Politik, sondern immer des Individuums. Jede Schwangere steht schon heute vor der Frage: Will ich eine Fruchtwasseruntersuchung? Wenn ja, was werde ich tun, wenn das Kind krank oder behindert ist? Tatsächlich ist dies eine Frage auf Leben und Tod. Der Staat kann keine Antwort darauf geben.

Quelle: Mittelbayerische Zeitung (ots)

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