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Inflation als Hoffnungswert

Archivmeldung vom 16.05.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.05.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

In Sachen Inflationsentwicklung herrscht unter vielen Assetmanagern und Volkswirten die Einschätzung vor, dass die gigantischen Fiskalprogramme, die die Staaten weltweit zur Abmilderung der Covid-19-bedingten Wirtschaftsabschwächung und zur Konjunkturankurbelung auflegen, in Verbindung mit den umfangreichen Notenbankmaßnahmen - sprich weitere Geldflutung der Märkte - eine Folge haben muss: nennenswerter Anstieg der Inflation.

Das ist in der sogenannten Ceteris-paribus-Betrachtung zweifelsfrei korrekt. Wenn alles andere gleich bleibt - so die Definition von ceteris paribus - treffen zusätzliche Ausgaben im Rahmen von Wirtschaftsprogrammen zur Folgenmilderung einer Krise oder Ankurbelung der Konjunktur nach einer Krise auf ein zunächst einmal gleiches Angebot. Die Folge ist, dass Preise steigen.

Mit der Ceteris-paribus-Bedingung ist es aber so eine Sache. In der Theorie kann man alle anderen Einflussfaktoren und Verhaltensweisen konstant halten. Aber in der Praxis lässt sich das nun mal nicht einfach fixieren. Verhaltensweisen verändern sich im Zeitablauf und können nicht einfach festgelegt werden. So lohnt ein Blick auf frühere Krisen und die Wirkungen getroffener Maßnahmen.

Auf die Krisen der vergangenen fast 13 Jahre - Subprime-Hypotheken/US-Immobilienmarktkrise, Banken- und Finanzmarktkrise, Rezession und jahrelange Staatsschuldenkrise - wurde ebenfalls mit Fiskalprogrammen reagiert. Die Notenbanken ergriffen Maßnahmen zur Flutung der Märkte mit Geld. Quantitative Easing (QE) wurde aus der Taufe gehoben und in den Folgejahren - mit kurzlebigen Phasen leichter QE-Reduktion - per saldo immer mehr ausgeweitet. Es hat sicherlich auch Preisanstiege gegeben, und zwar nicht nur auf den Assetmärkten wie etwa bei Aktien, sondern auch in der Realwirtschaft. Aber dass man sich beispielsweise in der Eurozone nachhaltig in Richtung des EZB-Inflationsziels von nahe 2% bewegte oder die Preisniveauentwicklung über dieses Ziel gar hinausschoss, gab es nicht. Inflation blieb nur ein Hoffnungswert. Denn ansonsten hätten Zentralbanken QE wieder zurückfahren können, was offenkundig nicht geschah. Und auch die Inflationserwartungen - sie bewegten sich auch mal seitwärts - gingen in den vergangenen Krisenjahren im Trend zurück.

Wie sieht es heute aus? Die Fiskalmaßnahmen sind noch umfangreicher als früher, die Zentralbanken fluten die Märkte mit noch mehr Geld, allen voran die US-Notenbank und die Europäische Zentralbank. Und es ist auch noch kein Ende der Krise in Sicht; und damit weiß auch noch keiner, ob nachgelegt werden muss. Im Zuge der Covid-19-Krise haben die Inflationserwartungen einen erheblichen Dämpfer bekommen, d. h. sie sind auch im Zuge des Ölpreisverfalls stark gefallen.

Man sollte - auch auf Basis der früheren Krisenerfahrungen - ein anderes Szenario mit einkalkulieren. Die Covid-19-Krise sorgt in der Bevölkerung in gesundheitlicher Hinsicht für Verunsicherung. Dazu kommt angesichts von Kurzarbeit und Arbeitsplatzverlust auch noch die wirtschaftliche Sorge. Das wird nicht einfach wenige Wochen nach Ende des Lockdowns wieder aus den Köpfen verschwinden. Im Gegenteil: Das wird lange Nachwirkung zeigen. Deshalb werden viele private Haushalte vorsorgen, d.h. Sicherheit groß schreiben und Liquidität für "schlechte Zeiten" halten. Liquidität hochfahren bedeutet, Geld zur Seite zu legen, also die Spartätigkeit zu steigern, die im Zuge von negativen Zinsen wegen des Verlustausgleichs noch stärker sein muss, will man gewünschte Summen erreichen. Es ist also zu erwarten, dass der Konsum eben gerade nicht in dem Umfang anspringt, wie es ceteris paribus zu erwarten wäre.

Und die Unternehmen werden die Krise auch nicht einfach so wegstecken, wie sich jetzt schon zeigt. Es kommt zu Kreditausfällen, Redimensionierungen, Insolvenzen. Das hält die Unsicherheit noch lange am Leben. Ein solches Umfeld ist nicht gerade der Garant für eine exzessive Investitionssteigerung. Es wird vielleicht Jahre geben, in denen höchstens Ersatzinvestitionen vorgenommen werden. Zudem werden Unternehmen genauso wie Privathaushalte vorsorgend weiter Liquidität bunkern. Bondemissionen werden hochgefahren. Das war auch jetzt schon nach den enormen Spread-Ausweitungen zu sehen. Dann nimmt auch diese kaufkräftige Nachfrage der Firmen nach Investitionsgütern nicht das gewünschte Maß an. Das wirkt ebenfalls nicht inflationssteigernd. Dieses Szenario sollte man bedenken, wenn man Linker als aussichtsreiches Investment ansieht.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Kai Johannsen


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