WAZ: Der Papst in Bayern Zwischen Klimawandel und Trendwende
Archivmeldung vom 09.09.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.09.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittVon heute an wird für sechs Tage vor allem ein Mann im Mittelpunkt stehen: Papst Benedikt XVI. Er wird am Nachmittag heimatlichen Boden betreten und schon jetzt steht ganz Bayern Kopf.
Hunderttausende Menschen wollen sich auf den Weg machen, um ihn live
zu erleben. Das Fernsehen wird rund um die Uhr dabei sein. Ein
Medienhype kündigt sich an. Aber ist der Besuch des deutschen Papstes
in seiner Heimat nichts weiter als ein Medienhype? Hat die Kirche
nichts von diesem Besuch?
2005, das bleibt jedenfalls festzustellen, war das Interesse an
der katholischen Kirche groß wie kaum zuvor. Papsttod, Konklave, die
ungeahnte Wir-sind-Papst-Euphorie, der Weltjugendtag - das waren
außergewöhnliche kirchliche Großereignisse. Und es gibt tatsächlich
nicht wenige die sagen, die Kirche habe - auch - davon profitiert.
In dem Land, in dem die Mitgliederzahlen der Kirchen von Jahr zu
Jahr weiter sanken, setzt inzwischen so etwas wie eine ganz zarte
Umkehr ein. Die Kirchenaus-tritts-Welle ist zwar längst nicht
gestoppt, aber sie nimmt erheblich an Schwung ab. Gleichzeitig melden
die neuen "Wiedereintrittsstellen" stetig anwachsende
Eintrittszahlen. Der Herder-Buchverlag ist verblüfft über das große
Interesse an den Büchern aus der Feder von Joseph Ratzinger. Und
Claudia Roth, die Vorsitzende der Grünen, gesteht plötzlich, dass sie
eigentlich Claudia Benedikta heißt. Jetzt könne man das ja offen
sagen, meint sie, es sei "gesellschaftlich anerkannt".
Das alles sind alles Anzeichen eines vorsichtigen Klimawandels.
Die Menschen haben ein neues Bedürfnis nach Religion, Spiritualität
und nach Orientierung. Die entscheidende Frage ist aber, ob die
Kirche, ob Papst Benedikt, dieses Bedürfnis auf Dauer wird
beantworten können, ob aus dem Klimawandel eine echte Trendwende
wird.
Zweifel sind da angebracht. Denn die Menschen strömen zwar dem
Papst entgegen, aber die Kirchenbänke zuhause bleiben häufig leer.
Wenn der Papst predigt, hören sie zu, was jedoch der Priester sagt,
empfinden sie vielfach als banal. Und dass das Kirchenvolk nach der
rigiden Morallehre lebte, glaubt nicht einmal der frömmste
Kirchenmann in Rom. Kirche und Alltag der Menschen klaffen häufig
auseinander.
Metaphysisches Bedürfnis auf der einen Seite, Dogmen auf der anderen - wenn es Papst Benedikt gelänge, beide Pole glaubhaft zu verknüpfen, vielleicht würde das eine Trendwende für die Kirche beflügeln. Benedikt jedenfalls wäre dies zuzutrauen.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung