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Mittelbayerische Zeitung: Das Schwarze-Peter-Spiel

Archivmeldung vom 23.12.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.12.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Der Streit im Gesundheitswesen erinnert an ein beliebtes Kartenspiel, das offensichtlich nicht nur Kindern gefällt: an das Schwarze-Peter-Spiel, bei dem sich die Akteure gegenseitig die Schuld zuweisen. Das aber hilft niemandem weiter. So behauptet Wolfgang Hoppen-thaller, Chef des bayerischen Hausärzteverbands, Gesundheitsminister Philipp Rösler wolle die Hausärzte vernichten, indem er die Vorteile, die der Hausärztevertrag für die Mediziner bietet, durch die Gesundheitsreform de facto aushebelt.

Die AOK Bayern versklave überdies die Hausärzte, weshalb Hoppenthaller seine Kollegen aufruft, aus dem Kassensystem auszusteigen. Dafür wird er als "Rechtsbrecher" bezeichnet - und sägt zudem den Ast ab, auf dem die Allgemeinmediziner sitzen. Denn allein von Privatpatienten werden die Hausärzte nicht leben können. Die Lösung des Problems kann auch die Rückgabe der Kassenzulassungen nicht sein. Vor allem, weil sie auf Kosten der Versicherten geht - die, wenn sie alt, krank, immobil und nicht besonders reich sind, Schwierigkeiten haben werden, sich behandeln zu lassen. Doch die Aktion kann Anstoß für eine tiefergehende und notwendige Reform sein. Seit Jahrzehnten besteht ein fundamentales Problem im Gesundheitssystem. Das Geld reicht nicht, die Menschen werden zwar erfreulicherweise älter, brauchen aber deshalb immer länger und intensivere medizinische Behandlung, deren Kosten nicht zuletzt durch den rasanten technischen Fortschritt ins Unermessliche steigen. Die Therapie der Politik bisher: Man schröpft meist die Versicherten - durch höhere Zuzahlungen, die Praxisgebühr, den Wegfall von Leistungen aus dem Katalog der Krankenkassen etc. Das aber war nur Kosmetik - und das, obwohl es sich beim Gesundheitssystem um einen schwerkranken Patienten handelt. Ein System, das nur durch einen schwerwiegenden operativen Eingriff geheilt werden kann. Eine grundlegende Reform traut sich die Politik jedoch seit Jahren nicht zu. Zu viele Interessen - die der Ärzte, der (privaten) Krankenkassen, der Pharmaindustrie - sind berührt. Alles mächtige Akteure im Spiel um Macht und Geld. Das, worum sich die Akteure nun streiten, sind die Folgen unzureichender Rezepte, die in der Vergangenheit verschrieben wurden und dem Patienten nur Luft zufächelten. Ob berechtigte Forderung oder Jammern auf hohem Niveau - immerhin verdienen bayerische Hausärzte durch den Hausarztvertrag laut AOK Bayern 18 Prozent mehr als ihre Kollegen im Rest Deutschlands: Die Drohung der Allgemeinmediziner, das System versagen zu lassen, baut zurecht Druck auf die Politik auf. Sie muss dem kranken, weil chronisch unterfinanzierten Gesundheitssystem endlich eine umfassende Therapie verschreiben. Ein erster Ansatz wäre, den in der neuesten Gesundheitsreform eingefrorenen Arbeitgeberbeitrag aufzutauen. Rösler hat einen schweren Fehler begangen, die paritätische Finanzierung, einst Grundpfeiler des Gesundheitshauses, abzuschaffen. Zum zweiten muss die Beitragsbasis der gesetzlichen Krankenkassen verbreitert werden - Selbstständige und Beamte sollen ebenso wie abhängig Beschäftigte ins solidarische System einzahlen. Auf der Ausgabenseite muss durch einen unabhängigen Arznei-TÜV endlich der Selbstbedienungsladen für die Pharmaindustrie geschlossen werden. Ferner muss das System transparenter werden. Vor allem für die Patienten, die durch eine Rechnung, wie sie privat Versicherte vom Arzt erhalten, die tatsächlichen Kosten einer Behandlung einschätzen könnten. Und den Hausärzten muss ausreichende Wertschätzung entgegengebracht werden. Sie haben vom Gesetzgeber einst den wichtigen Auftrag erhalten, die Patienten durch das mehr als komplizierte Gesundheitssystem zu lotsen und damit etwa unnötige und teure Mehrfachbehandlungen zu vermeiden - dafür haben sie zumindest Planungssicherheit verdient.

Quelle: Mittelbayerische Zeitung

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