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Börsen-Zeitung: Lehren aus dem Fall Sarrazin

Archivmeldung vom 11.09.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.09.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Es ist eine Trennung mit Anstand. Thilo Sarrazin zieht sich, erklärtermaßen im Bewusstsein auch seiner "Verantwortung für die Institution Deutsche Bundesbank", freiwillig aus dem Vorstand der Währungsbehörde zurück. Er verzichtet, soweit bekannt, auf eine Abfindung für die vorzeitige Auflösung seines bis 2014 laufenden Vertrages. Da Sarrazin keine silbernen Löffel geklaut hat, hätte er die geschätzt 800000 Euro mit Aussicht auf Erfolg einfordern können.

Und sollte er nun seine durch die Tätigkeit bei der Notenbank erworbenen Rentenansprüche geltend machen, wäre das kaum vorwerfbar. Der fünfköpfige "Restvorstand" der Bundesbank wiederum nimmt nicht nur den Antrag auf Sarrazins Abberufung zurück, sondern hält auch nicht an den öffentlich erhobenen Vorwürfen fest, der Noch-Kollege habe sich diskriminierend und "nachhaltig provokant" vor allem zu Themen der Migration geäußert (kleiner Tipp am Rande: wenn diese Kritik nicht mehr gilt, sollte die Bundesbank bei Gelegenheit auch die entsprechende Pressenotiz von ihrer Homepage entfernen).

Die einvernehmliche Scheidung einer von Anfang an unglücklichen und entsprechend kurzen Zwangsehe ist nicht nur gesichtswahrend für beide Seiten. Vor allem wird dadurch der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit ein womöglich jahrelanges unwürdiges Schauspiel in Form von unappetitlichen politischen Auseinandersetzungen und Arbeitsgerichtsprozessen erspart. Dem Ansehen der Bundesbank, die in dieser Causa zwar alles andere als unbeteiligt ist, wohl aber daran unschuldig, weil weitgehend wehrlos gegen eine Heimsuchung in Gestalt eines zur falschen Institution beförderten Amtsträgers, hätte ein solches Spektakel auf Dauer gewiss nicht gutgetan.

Indes lässt sich trefflich darüber streiten, inwieweit Sarrazin, wie von politischer Seite hier und da scheinheilig behauptet wird, das Vertrauen der Bevölkerung in die Bundesbank beschädigt hat. Einer derart überwältigenden öffentlichen Vertrauensbezeugung, wie sie Sarrazin aus der breiten Mitte der Gesellschaft zuteil wurde, konnte sich in persona schon lange kein Bundesbanker mehr erfreuen. Sarrazin, der es mit seinen keineswegs ausschließlich schrägen Ansichten geschafft hat, auf evidente Versäumnisse der Integrationspolitik hinzuweisen und eine Debatte darüber anzustoßen, mag die politische Klasse und weite Teile der veröffentlichten Meinung gegen sich haben - im Publikum steht eine kolossale Fangemeinde hinter ihm. Dies ändert freilich nichts daran, dass die Themen und Thesen des Buchautors Sarrazin bei der Bundesbank deplatziert, die nun gezogenen Konsequenzen mithin richtig und notwendig sind.

Wenn aber schon so inflationär von einer Beschädigung der Währungsbehörde die Rede ist, dürfen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Christian Wulff gerne mal an die eigene Nase fassen. Mehr oder weniger deutliche Hinweise an die Adresse der Bundesbank, sie möge im Fall Sarrazin aktiv werden, waren überflüssig wie ein Kropf und sicher nicht dazu angetan, die Unabhängigkeit der Institution zu betonen. Es ist eine der Lehren aus dieser Affäre: Solche öffentlichen und schon deshalb unklugen Ratschläge sollten sich Politiker, zumal wenn sie vielleicht sogar noch in der Sache zu entscheiden haben, einfach mal verkneifen, auch wenn's schwerfällt.

Mehr Zurückhaltung hätte man auf der anderen Seite übrigens nicht nur von Sarrazin erwarten dürfen. Mitunter scheint es fast, als teilten etliche Notenbanker ein bestimmtes Gen, das sie dazu treibt, sich zu fast allem und jedem zu äußern, aber bloß nicht im stillen Kämmerlein. Solche Kommunikationsfreude muss auch bei Themen, die näher an der Geldpolitik liegen als das Bildungsniveau von Zuwanderern, nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Ausgemachter Humbug ist die vorzugsweise im Ausland gestreute Story, durch den Fall Sarrazin sei Bundesbankpräsident Axel Weber derart angeschlagen, dass er nicht mehr Nachfolger von Jean-Claude Trichet an der Spitze der Europäischen Zentralbank werden könne. Was hätten denn Weber und Kollegen dagegen tun sollen und können, wenn die Politik ihnen einen Finanzprofi mit über jeden Zweifel erhabener Kompetenz, wiewohl auch schon in seiner Berliner Zeit notorisch losem Mundwerk in den Vorstand setzt? Dass bei der Berufung von Bundesbankvorständen nicht selten das Parteibuch und andere sachfremde Kriterien eine Rolle spielen (was aber auch oft durch den sogenannten Becket-Effekt geheilt wird), ist ja zweifellos kritikwürdig. Aber die grundsätzlich diskutable Forderung nach einem unpolitischeren Ernennungsverfahren ausgerechnet mit den aktuellen Erfahrungen zu begründen, macht kaum Sinn. Gerade Sarrazin hätte doch wohl jede primär an fachlicher Qualifikation orientierte Auswahlprüfung bestanden.

Es gibt einen weiteren Grund, in der Politik wie in der Währungsbehörde nun nicht hyperaktiv zu werden. Die Bundesbank ist 53 Jahre alt. Es hat in dieser Zeit einen Fall Sarrazin gegeben und keinen weiteren auch nur annähernd vergleichbaren. Das sollte die altehrwürdige Institution gerade noch verkraften. Inflation, außer Kontrolle geratene Staatsfinanzen oder Währungsturbulenzen sind schlimmer als die zeitweilige Koexistenz mit einem querköpfigen Vorstandskollegen, der mit seiner Mission dummerweise bei der falschen Adresse gelandet ist.

Quelle: Börsen-Zeitung

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