LVZ: Chiracs Flickwerk
Archivmeldung vom 21.04.2007
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Freigeschaltet durch Jens BrehlDer alte Mann geht, jüngere Politiker drängen an die Macht. Die Ära des 74-jährigen Jacques Chirac endet am Abend des 6. Mai, wenn die Schlussrunde in der französischen Präsidentschaftswahl den Sieger - Nicolas Sarkozy - oder die Siegerin - Ségolène Royal - ermittelt hat.
Zwölf Jahre lang der erste Mann im Staat, mit einer Machtfülle wie 
der US-amerikanische Staatschef, dies hat Frankreich geprägt. Nicht 
in der Tiefe, sondern an der Oberfläche mit überhasteten Reformen und
mit Flick-werk in den hochdefizitären Sozialsystemen. 
Das wollte Chirac: Den breiter werdenden Spalt zwischen Arm und 
Reich, dem Besitzbürgertum und den unteren Mittelschichten 
verringern. Seine Wahl 1995 verdankte er vor allem dem Versprechen, 
den Bruch in der Gesellschaft zu kitten. Manche sahen in Chirac einen
verkappten Sozialdemokraten. Doch weit kam er nicht. Als die 
Gewerkschaften gegen soziale Veränderungen, die die Regierung Alain 
Juppé vorschlug, auf die Straße gingen, zogen beide das Vorhaben 
zurück. Eine hastig angesetzte Parlamentswahl verlor Chirac, fünf 
Jahre Cohabitation, eine Koalition mit den Sozialisten, folgten.
Negativ wirkten sich Justizuntersuchungen über Korruption im Pariser 
Rathaus aus. Dessen Chef war Chirac und zwar 17 Jahre lang. Von 
fiktiven Jobs, Schwarzgeld und illegaler Parteienfinanzierung war die
Rede. Aber Chirac konnte als Zeu-ge nicht vorgeladen werden, weil er 
als Präsident die Immunität beanspruchte. 
In der Außenpolitik konnte der Staatschef dagegen punkten. Chirac 
sprach sich gegen den Irakkrieg von George W. Bush aus. Seine 
Voraussage eines furchtbaren Chaos in Bagdad hat sich bewahrheitet. 
Er hatte seinen Freund Gerhard Schröder zur 60-Jahr-Feier der Landung
der Alliierten in der Normandie eingeladen - was keine 
Selbstverständlichkeit war. Mutig war auch, vor aller Welt dem 
französischen Staat eine Mitschuld an der Verhaftung französischer 
Juden in den dunklen Jahren des Holocaust zu geben. Nach dem 
gescheiterten EU-Referendum zum Verfassungstext 2005 in Frankreich 
verzichtete Chirac jedoch auf jede Initiative. Angela Merkel ist es 
nun überlassen, das Europaschiff wieder flottzumachen.
Ob ein Präsident Sarkozy mehr Glück hat, wenn er einen abgespeckten 
Verfassungsentwurf vor das französische Parlament bringt - also kein 
Referendum -, wird sich zeigen. Die Sozialistin Royal würde dagegen 
abermals eine Volksbefragung ansetzen, ebenso wie auch der Liberale 
François Bayrou. 
Doch im Juni ist in Frankreich noch Parlamentswahl, also bleibt die 
politische Abwarteposition bestehen. Bundeskanzlerin Merkel wird die 
Europapolitik wohl allein ankurbeln müssen. Dass Paris bis zum Herbst
in der EU-Politik aktiv sein wird, ist ungewiss. Chirac scheidet als 
ein Freund der Deutschen. Ob "Sarko" oder "Sego" das fortsetzen, wird
sich erst zeigen müssen. 
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung

        
        
      
      